«Alles wohlauf, Sir«, meldete er.»Danke.»

Bolitho wu?te nicht, wie der Mann hie?, noch nicht. In den nachsten hundert Tagen wurde er von seinen Leuten mehr als nur die Namen erfahren. Und umgekehrt sie von ihm.

Mit einem Seufzer ging er wieder in seine Kajute. Die Wangen prickelten ihm vor Kalte. Noddall war nicht zu sehen, aber die Koje war bereit, und daneben stand ein Becher mit einem hei?en Trunk. Eine Minute, nachdem er den Kopf aufs Kissen gelegt hatte, war er eingeschlafen.

Der nachste Tag stieg so grau auf wie der vorige; doch der Regen hatte in der Nacht aufgehort, und der Wind kam stetig aus Sudost.

Der ganze Vormittag verging mit pausenloser Arbeit. Die Deckoffiziere kontrollierten immer wieder die Namenslisten, machten sich mit den Gesichtern vertraut und sorgten dafur, da? erfahrene Seeleute zwischen die unausgebildeten plaziert wurden. Bolitho diktierte seinem Schreiber, einem vertrockneten Mann namens Pope, den Abschlu?bericht und unterschrieb, damit er mit dem letzten Boot noch an Land gelangte. Er fand Zeit, mit seinen Offizieren zu sprechen, den Stuckmeister Mr. Tapril in seiner Pulverkammer aufzusuchen und mit ihm die Verlagerung gewisser Geschutzteile und sonstigen Zubehors ins Vorschiff zu besprechen, um die Trimmung des Schiffes zu verbessern, bis der entsprechende Gewichtsanteil an Proviant aufgebraucht und damit ein Ausgleich geschaffen war.

Er war gerade dabei, seinen Galaanzug mit der Seeuniform, einem alten Rock mit ausgebleichten Tressen und glanzlosen Knopfen, zu vertauschen; da kam Herrick in die Kajute und meldete, er habe funfzehn neue Leute von den Gefangnishulken mitgebracht.

«Wie war es?»

«Die Holle, Sir«, seufzte Herrick.»Ich hatte dreimal soviel bringen konnen, eine komplette Besatzung, wenn ich auch ihre Frauen und Kinder hatte mitnehmen wollen.»

Bolitho antwortete nicht gleich, weil er gerade mit dem Anlegen seiner Halsbinde beschaftigt war.»Frauen?«fragte er dann.»In den Gefangnishulken?»

«Aye, Sir. «Ein Schauder uberlief Herrick.»Ich hoffe zu Gott, da? ich so etwas nie wieder zu sehen kriege.»

«Na schon. Lassen Sie sie die Musterrolle unterzeichnen, aber geben Sie ihnen vorlaufig noch keine Arbeit. Die sind wahrscheinlich zu schlapp, um auch nur einen Belegnagel zu halten, nachdem sie so lange unter Deck wie Vieh zusammengepfercht waren.»

Ein Midshipman erschien in der offenen Tur.»Mr. Davy meldet mit allem Respekt, Sir, da? der Anker kurzstag ist. «Neugierig und aufmerksam lie? er die Augen in der Kajute schweifen.

«Danke«, lachelte Bolitho.»Nachstesmal bleiben Sie ein bi?chen langer und sehen sich hier richtig um.»

Der Junge verschwand, und Bolitho blickte Herrick an.»Na, Thomas?»

Herrick nickte zufrieden.»Aye, Sir, ich bin soweit. Wir haben ja lange genug warten mussen.»

Sie stiegen miteinander zum Achterdeck hinauf. Wahrend Herrick mit seinem Sprachrohr an die Reling des Vorschiffes trat, blieb Bolitho achtern in einiger Entfernung von den anderen, die sich eifrig an ihre Stationen begaben.

Klickend drehte sich das Gangspill — immer langsamer, bis die Rucken der Manner fast waagerecht gebeugt waren, um den schweren Anker klarzubekommen.

Bolitho warf einen Blick auf die ungefuge Gestalt des Steuermanns neben dem doppelten Steuerrad. Er hatte vier Rudergasten eingeteilt — anscheinend wollte er kein Risiko eingehen, weder mit dem Ruder noch mit der Seemannschaft seines neuen Kapitans.

«Bringen Sie das Schiff in Fahrt. «Er sah, wie Herrick sein Megaphon hob.»Sobald wir aus dem kustengebundenen Schiffsverkehr drau?en sind, gehen wir auf Backbordbug und nehmen Kurs Westsudwest.»

Der alte Mudge nickte gewichtig, das linke Auge hinter der vorspringenden Nase verborgen.

«Aye, aye, Sir.»

Herrick brullte:»Klar bei Ankerspill!«Er beschattete die Augen mit der Hand, um den Wimpel im Masttopp besser sehen zu konnen.»Vorsegel los!»

Beim Flappen und Rauschen der fallenden Leinwand blickten sich einige der Neuen verwirrt um. Ein Deckoffizier gab einem ein Ende in die Hand und schnauzte:»Hol dicht, du Esel! Steh nicht da und glotze wie ein Frauenzimmer!»

Ein Bootsmannsmaat sa? rittlings auf dem Bugspriet und signalisierte durch Armzeichen, wie die Ankertrosse sich immer mehr spannte und ihr Winkel unter der vergoldeten Gallionsfigur immer stumpfer wurde.

«Aufentern! Marssegel los!»

Bolithos Spannung loste sich etwas, als die leichtfu?igen Toppsgasten zu beiden Seiten in den Wanten emporkletterten. Es hatte keinen Zweck, beim erstenmal auf besondere Eile zu drangen. Die kritischen Beobachter an Land mochten denken, was sie wollten. Er hatte keine Lust zu riskieren, da? ihm das Schiff abtrieb.

«An die Brassen!»

Herrick hing halb uber der Reling und schwenkte das Sprachrohr im Halbkreis wie ein Kutscher seine Donnerbuchse bei einem Raububerfall.»Fix da! Mr. Shellabeer, scheuchen Sie diese verdammten Faulpelze gefalligst!»

Shellabeer war der Bootsmann: wortkarg und tiefbrunett, sah er eher wie ein Spanier als wie ein Mann aus Devon aus.

Bolitho lehnte sich, die Hande in den Huften, etwas zuruck und beobachtete die Manner, die mit affenartiger Geschicklichkeit auf den schwankenden Rahen ausschwarmten. Die schwindelnde Hohe schien ihnen uberhaupt nichts auszumachen, aber ihm wurde fast ubel bei diesem Anblick.

Eines nach dem anderen losten sich die machtigen Segel und schlugen an die Masten, wahrend die Matrosen sich auf den Rahen festhielten, untereinander und mit ihren Kameraden auf den anderen beiden Masten Zurufe tauschend.

«Anker ist klar, Sir!»

Noch unsicher wie ein von seinen Ketten befreiter Gefangener, taumelte die Fregatte durch die tiefen Wellentaler; die Manner an den Brassen kampften verzweifelt, um die machtigen Rahen herumzuholen und den Wind zu fangen. Manche fielen dabei hin und wurden uber die glatten Planken geschleift.

«Hol dicht bei Leebrassen!«Herrick war schon fast heiser.

Bolitho bi? die Zahne aufeinander und zwang sich, reglos zu bleiben, wahrend die Undine mehr und mehr vor den Wind ging. Hier und da hieb ein Bootsmannsmaat mit einem Tampen dazwischen oder schubste einen Mann an Brassen oder Fallen.

Mit donnerndem Krachen sprang der Wind voll und stetig in die Segel, das Deck neigte sich und blieb gekrangt, die Rudergasten warfen sich in die Speichen.

Bolitho zwang sich dazu, mit aller Gelassenheit von Midshipman Keen ein Fernrohr entgegenzunehmen, richtete es achteraus und beherrschte seine Mimik eisern, obwohl er vor Aufregung und Erleichterung beinahe zitterte. Das Segelsetzen klappte noch sehr schlecht; die Plazierung der wenigen erfahrenen Matrosen war noch sehr verbesserungswurdig; aber sie waren klar von der Kuste!

Am Portsmouth Point standen tatsachlich ein paar Menschen und beobachteten, wie die Undine uber Stag ging; und da war auch das Verdeck einer glanzenden Equipage zu sehen, gerade unterhalb der Mauer: vielleicht Mrs. Armitage, die dem Schiff nachsah, das ihren Sohn entfuhrte.

Heiser meldete der Steuermann:»Westsudwest liegt an, Sir!»

Bolitho wandte sich um und sah gerade noch, wie der Alte mit widerwilliger Anerkennung nickte.

«Danke, Mr. Mudge. Wir werden gleich noch Fock- und Gro?segel setzen.»

Er ging zum Vorschiff, wo Herrick noch an der Reling stand, schrag vorgeneigt, um die Krangung auszugleichen. Das Durcheinander war erst zum Teil beseitigt; die Manner stolperten uber das noch herumliegende Tauwerk wie Uberlebende einer Schlacht.

Herrick blickte ihn melancholisch an.»Es war furchtbar, Sir!»

«Ganz meine Meinung, Mr. Herrick. «Er konnte sich ein Lacheln nicht verkneifen.»Aber es wird schon besser werden, wie?»

Am spaten Nachmittag war die Undine klar von der Insel Wight und schon ein ganzes Stuck im Armelkanal.

Abends konnte man von Land aus nur noch ihre gerefften Royalsegel sehen, und wenig spater waren auch die verschwunden.