Bolitho fiel es nicht leicht, ein Dienstgesicht zu bewahren. Da stand Partridge und verrenkte sich fast den Hals, um ihn hinter der Reihe der Marine-Infanteristen sehen zu konnen.»Sie haben wohl gedacht, ich kame nicht wieder, he?«rief er ihm zu.

Hastig erwiderte Keverne:»Nein, Sir; er dachte, Sie wurden schon gestern eintreffen.»

Bolitho blickte in die Masse der Gesichter rundum. Sie hatten alle miteinander einen langen Weg hinter sich gebracht. Einmal, wahrend der scheu?lichen Affare mit der Auriga, hatte er Feindseligkeit zu spuren geglaubt. Enttauschung uber das, was er getan oder zu tun versucht hatte. Aber tatsachlich kannten sie ihn besser, als er vielleicht angenommen hatte, und das bewegte ihn tief.

«Ich mu? dem Admiral Meldung machen«, sagte er. Selbst Keverne, das las er aus seinen dunklen Zugen, war ehrlich froh, ihn wieder an Bord zu haben. Dabei hatte er es ihm nicht ubelgenommen, wenn er andere Gefuhle gehegt hatte, besonders nach den fruheren Enttauschungen.

«Sir Lucius hat mich beauftragt, Ihnen zu sagen, da? er die Depeschen von der Coquette liest«, erwiderte Keverne.»Er deutete an, Sir, Sie wurden vielleicht gern eine halbe Stunde fur sich haben, um sich, ah, ein wenig frisch zu machen. «Jetzt flog sein Blick ungeniert uber Bolithos zerfetzten Rock.»Er hat Sie von seinem Kajutbalkon aus kommen sehen.»

In diesem Moment wurde Witrand durch die Fallreepspforte eskortiert, und Bolitho sagte:»Das ist Monsieur Paul Witrand. Er ist Kriegsgefangener, aber ich wunsche, da? er anstandig behandelt wird.»

Keverne sah den Franzosen mi?trauisch an und sagte dann:»Ich werde dafur sorgen, Sir.»

Witrand machte eine steife Verbeugung.»Danke sehr, capitaine.«Er blickte nach oben auf die machtigen Rahen und die schlagenden Segel.»Kriegsgefangener vielleicht — aber fur mich ist dieses Schiff immer noch ein Stuck Frankreich.»

Leutnant Cox von der Marine-Infanterie, ein geschmeidiger junger Mann, dessen Uniform so eng sa?, da? Bolitho der Meinung war, er konne sich unmoglich bucken, trat vor und beruhrte Witrands Arm; dann gingen sie zusammen zum Niedergangsluk.

«Kommen Sie mit nach achtern, Mr. Keverne«, sagte Bolitho.»Erzahlen Sie mir, was es Neues gibt, wahrend ich mich umziehe.»

Keverne ging hinter ihm her an den neugierig starrenden Matrosen vorbei.»Viel ist da nicht zu berichten, Sir. Sir Hugo Draffen ist wieder beim Geschwader; er hat seinen Agenten getroffen und Informationen uber die Verteidigungsanlagen von Djafou bekommen. Einzelheiten wei? ich nicht.»

In der Kajute war es im Gegensatz zu der Vormittagshitze auf dem Achterdeck ziemlich kuhl. Bolitho war uberrascht, einige Mobelstuk-ke zu sehen, die vorher nicht dagewesen waren.

«Captain Fourneaux war wahrend Ihrer Abwesenheit stellvertretender Flaggkapitan, Sir«, erlauterte Keverne.»Aber er ist wieder auf die Valorous ubergewechselt, als uns die Coquette Ihre Ruckkehr signalisierte.»

Bolitho warf ihm einen raschen Blick zu, aber in Kevernes Zugen war keine Spur von Schadenfreude zu entdecken. Fourneaux hatte offenbar gedacht, er wurde als planma?iger Flaggkapitan an Bord bleiben.»Lassen Sie ihm die Sachen bei passender Gelegenheit wieder zustellen«, sagte er.

An das Heckfenster gelehnt, sah Keverne zu, wie Bolitho sich auszog und seinen muden Leib mit kaltem Wasser erfrischte. Trute, der Steward, nahm das schmutzige Hemd und warf es nach kurzem Zogern aus dem Fenster. Bolithos Aussehen hatte ihn offensichtlich tief beeindruckt, er konnte kaum die Augen von ihm losrei?en.

Bolitho zog ein reines Hemd an, setzte sich dann in einen Sessel, und Trute drehte ihm geschickt das Haar zu einem kurzen Zopf im Nacken zusammen.

«Also war weiter nichts los, seit ich von Bord gegangen bin?»

Keverne zuckte die Achseln.»Wir haben ein paar Segel gesichtet, Sir, aber die Restless konnte nicht nahe genug heran. Also werden auch sie uns wahrscheinlich nicht erkannt haben. Ich habe mit dem Kommandanten der Korvette gesprochen, aber der hatte Sir Hugos Agenten gar nicht gesehen. Er kam in einem arabischen Fischerboot, und Sir Hugo ist allein an Bord gegangen. Er bestand darauf. »

Bolitho wartete ungeduldig, bis Trute ihm das Halstuch gebunden hatte, und stand dann auf. Das Waschen und Umziehen hatte die lahmende Mudigkeit verscheucht; die bekannten Stimmen und Gesichter bewirkten, da? er sich wieder ganz wohl fuhlte.

Immerhin waren Kevernes Neuigkeiten, oder vielmehr der Mangel daran, hochst beunruhigend. Wenn nicht sehr bald etwas geschah, wurden sie in ernste Schwierigkeiten kommen. In Spanien und Frankreich mu?te man bald wissen, da? sie hier waren; schon jetzt konnte ein starkes Geschwader unterwegs sein und nach ihnen suchen.

Allday kam mit Bolithos Degen in die Kajute. Er warf Trute einen wutenden Blick zu und sagte:»Ich habe die Scheide geolt, Captain. «Er zog den geschwarzten Griff ein Stuckchen heraus und lie? ihn wieder einschnappen.»Ist jetzt wie neu, jawohl.»

Lachelnd legte sich Bolitho das Koppel um. Stirnrunzelnd schnallte Allday den Verschlu? ein Loch enger, und Bolitho wu?te, da? er, wenn Keverne nicht dabeigewesen ware, geknurrt hatte, es ware schon das dritte in einem Monat und Bolitho musse mehr essen; denn wie die meisten Seeleute war Allday der Uberzeugung, da? man so oft wie moglich so viel wie moglich essen und trinken solle.

Oben schlug eine Glocke die volle Stunde, und Bolitho schritt zur Tur.»Tut mir leid, da? ich Ihnen bei der Beforderung nicht behilflich sein konnte, Mr. Keverne. Aber ich zweifle nicht daran, da? sich bald eine Gelegenheit ergeben wird.»

Keverne lachelte gemessen.»Danke, Sir, da? Sie sich um mich Sorgen machen.»

Eilig schritt Bolitho den Niedergang zum mittleren Deck hinunter und dachte dabei an Kevernes Zuruckhaltung, seine standige Defensive gegen die eigenen Gefuhle. Eines Tages mochte er einen guten Kommandanten abgeben, besonders wenn er seine Neigung zum Jahzorn uberwinden konnte.

Die beiden Wache stehenden Marine-Infanteristen nahmen stampfend Haltung an; ein Korporal offnete ihm die gro?e Doppeltur. Schon lange bevor er an der Achterkajute war, hatte er Broughtons Stimme vernommen und sich entsprechend zusammengerissen.

«Hol der Teufel Ihre Augen, Calvert, das ist unerhort! Gehen Sie doch zu einem Midshipman und lernen Sie bei dem Orthographie!»

Beim Eintreten sah Bolitho Broughtons schwarze Silhouette vor dem hohen, sonnenhellen Fenster. Der Admiral warf ein zusammengeknulltes Schriftstuck nach dem Leutnant, der am Tisch dem Schreiber gegenubersa?.»Mein Schreiber schafft doppelt so viel wie Sie und in der halben Zeit!«brullte er. Bolitho sah nicht hin; er schamte sich fur Calvert und wollte diese Demutigung nicht mitansehen. Calvert, dem der Schreiber mit offensichtlicher Schadenfreude ins Gesicht grinste, zitterte vor Nervositat und Wut.

Jetzt sah der Admiral Bolitho.»Ah, da sind Sie ja«, sagte er kurz.»Gut. Ich bin gleich fertig. «Er ri? Calvert ein weiteres Schriftstuck aus den Fingern und uberflog rasch die fahrige Schrift. Er hatte dunkle Ringe um die Augen und schien machtig wutend zu sein.

Wieder starrte er Calvert bose an.»Mein Gott, warum sind Sie blo? als solch ein Narr auf die Welt gekommen?»

Calvert stand halb auf. Seine Schuhsohlen machten ein kratzendes Gerausch auf dem Leinenteppich.»Ich habe nicht darum gebeten, auf die Welt zu kommen, Sir!«Es klang, als wurde er im nachsten Moment in Tranen ausbrechen.

Bolitho beobachtete den Admiral verstohlen in der Erwartung, da? er bei dieser seltenen Bekundung von Widerstand explodieren wurde. Aber er antwortete nur obenhin:»Wenn Sie's getan hatten, dann ware Ihre Bitte hoffentlich nicht erhort worden. «Er zeigte zur Tur.»Jetzt gehen Sie und arbeiten Sie diese Orders durch. In einer halben Stunde sind sie fertig zur Unterschrift!«Dann fuhr er herum und schnauzte seinen Schreiber an:»Und Sie horen auf zu grinsen wie ein altes Weib! Los, helfen Sie dem Leutnant!«Der Schreiber eilte zur Tur, und Broughton rief ihm nach:»Oder ich lasse Sie auspeitschen, verstanden?»