Was dachte sich Bolitho eigentlich? Er hatte eine schone Frau und eine gesunde Tochter, darauf konnte er stolz sein. Jeder aktive Offizie r mu?te ihn um seine Conduite beneiden. Er hatte Ge-fechte durch eigenen Einsatz gewonnen, aber auch nie den Wert seiner Manner au?er acht gelassen. Seine Seeleute nannten ihn» Gleichheits-Dick«, ein Spitzname, den die popularen Massenblatter im Lande aufgegriffen hatten, wenn auch einige von ihnen jetzt eine andere Geschichte erzahlten. Namlich vom Vizeadmiral, dem mehr an einer Lady als an seiner Reputation lag.

Godschale hatte in seinem Brief drumherum geredet.»Ich wei?, da? Sie beide alte Freunde sind, aber Sie mogen es jetzt schwer finden, unter ihm zu dienen, zumal Sie erwarten durften, abgelost zu werden.»

Indem er nichts sagte, hatte Godschale alles gesagt. War es eine Warnung oder eine Drohung? Man konnte es so oder so auslegen.

Er horte, wie die Seesoldaten an der Relingspforte antraten, wahrend ihr Offizier sie inspizierte. Kapitan Gossage kam wieder zu ihm und begutachtete die Formation der verankerten Schiffe.»Sie sehen gut aus, Sir«, meinte er.

Herrick nickte. Seine eigenen Schiffe hatten ebenfalls abgelost werden mussen, wenn auch nur fur eine schnelle Uberholung. Er hatte immer nur jeweils ein Schiff zum Wasserfassen und zur Erganzung des Proviants entlassen konnen; der unerwartete Befehl, der ihn nun Bolithos Kommando unterstellte, uberraschte jeden und verursachte viel Arger.

Gossage erzahlte weiter.»Ich diente vor wenigen Jahren unter Edmund Haven, Sir.»

«Haven?«Herricks ri? sich aus seinen Gedanken.»Bolithos Flaggkapitan?»

Gossage bejahte.»Ein langweiliger Bursche. Er bekam Hyperion nur, weil sie nicht viel mehr als ein Wrack war.»

Herrick druckte sein Kinn in die Halsbinde.»Das wurde ich nicht Sir Richard horen lassen. Er teilt diese Ansicht bestimmt nicht.»

Der Offizier vom Dienst rief:»Boot legt ab, Sir!«»Also gut, besetzt die Seite.»

In ihrem letzten Brief hatte Dulcie wenig uber Belinda gesagt. Sie standen zwar in Verbindung, aber es schien, da? sie alles Vertrauliche zuruckhielt. Er lachelte trube: auch vor ihm.

Herrick gedachte des Madchens, das Bolitho einmal geliebt und geheiratet hatte — Cheney Seton. Er hatte der Hochzeit beigewohnt, und es war auch seine schreckliche Aufgabe gewesen, Bolitho die Kunde von ihrem tragischen Tod zu ubermitteln. Er hatte gewu?t, da? Belinda keine zweite Cheney war, aber Bolitho schien sich dreingefunden zu haben, vor allem seit sie ihm eine Tochter geschenkt hatte. Herrick bemuhte sich, aufrichtig zu sein. Auch bevor Dulcie uber das Alter hinaus gewesen war, ihm Kinder zu schenken, hatten sie schmerzlich an ihrer Kinderlosigkeit gelitten. Im Geist horte er die Worte: Warum sie und nicht wir?

Und nun gab es also Catherine. Geruchte ubertrieben immer ma?los, wie schon bei Nelson. Auch dieser wurde es noch bedauern. Wenn er einmal den Degen endgultig aus der Hand legte, wurden viele alte Feinde nur zu schnell seine Triumphe vergessen. Herrick entstammte einer armen Familie und wu?te, wie schwer es war, Vorurteile von Vorgesetzten zu uberwinden, ganz zu schweigen von deren offener Feindschaft. Bolitho hatte ihm das erspart, hatte ihm eine Chance geboten, die er sonst nie bekommen hatte. Das durfte er nicht leugnen. Und doch.

Gossage ruckte seinen Hut zurecht.»Boot nahert sich, Sir!«Eine Stimme schrie:»Oberdeck frei!»

Ein von Mu?iggangern bevolkertes Oberdeck hatte nicht gut ausgesehen, wenn Bolitho an Bord kam. Aber einige schlichen sich doch dort hinauf, trotz verlockender Geruche aus der Kombuse. Die Pfeifen schrillten, und die Floten der Seesoldaten intonierten das» Herz aus Eiche«, wahrend die Ehrenwache die Gewehre prasentierte. Bolitho, vom seidigen Blau der See eingerahmt, nahm seinen Hut ab.

Er hat sich nicht verandert, dachte Herrick. Obgleich ein Jahr alter als Herrick, hatte er noch keine grauen Haare. Bolitho deutete auf die Seesoldaten.»Schmucke Wache, Major.»

Dann schritt er mit ausgestreckter Hand auf Herrick zu. Herrick, der wu?te, wie wichtig dieser Augenblick auch fur Bolitho war, packte sie schnell.»Willkommen, Sir Richard!»

Bolitho lachelte mit wei?en Zahnen im braunen Gesicht.

«Schon, da? wir uns wiedersehen, Thomas. Ich furchte nur, da? die geanderten Plane dir nicht sonderlich behagen.»

Zusammen begaben sie sich nach achtern zur gro?en Kajute, wahrend die Wache abtrat und Allday das Boot loswarf, um die Zeit im hohen Schatten der Benbow angenehm zu vertrodeln.

Nach der Hitze des Oberdecks wirkte die Kajute kuhl. Herrick schaute Bolitho erwartungsvoll an, der sich auf die Heckbank setzte. Er sah dessen Blick umherwandern. Wahrscheinlich erinnerte er sich, wie es hier einmal gewesen war: sein eigenes Flaggschiff. Aber es hatte sich verandert, nicht nur das letzte Gefecht hatte dafur gesorgt.

Der Diener brachte Wein, und Bolitho bemerkte:»Es scheint also, da? sich Nelson noch im Atlantik befindet.»

Herrick schluckte seinen Wein, ohne ihn zu schmecken.»So sagt man. Ich horte, da? er moglicherweise nach England zuruckkehren und seine Flagge einholen wird, weil es nicht so aussieht, als ob die Franzosen eine Kraftprobe wollen. Jedenfalls nicht mehr in diesem Jahr.»

«Das denkst du also?«Bolitho betrachtete das Glas. Herrick war gereizter, als er erwartet hatte.»Es ist naturlich auch moglich, da? der Feind wieder durch die Stra?e von Gibraltar schlupft und sich nach Toulon begibt.»

Herrick runzelte die Stirn.»In dem Fall werden wir ihn fassen, eingezwangt zwischen uns und Nelsons Flotte.»

«Aber angenommen, Villeneuve beabsichtigt, in eine andere Richtung vorzusto?en? Bevor Ihre Lordschaften uns informiert hatten, wurde er durch den Kanal fegen, wahrend wir uns hier ahnungslos die Beine in den Bauch stehen.»

Herrick fuhlte sich unbehaglich.»Ich schicke standig meine Aufklarer aus und…»

«Ich wei?. Hast du ein Schiff zuwenig?»

Herrick war uberrascht.»Ja, die Absolute. Ich schickte sie nach Gibraltar. Sie ist so verrottet, ein Wunder, da? sie uberhaupt noch schwimmt. «Er versteifte sich.»Es geschah auf meine Verantwortung. Ich wu?te damals noch nicht, da? du hier den Oberbefehl ubernimmst.»

Bolitho lachelte.»Keine Sorge, Thomas. Es war nicht als Kritik gedacht. Ich hatte wohl das gleiche getan.»

Herrick schaute zu Boden.»Ich wurde gern deine Absichten erfahren.»

«Gleich, Thomas. Vielleicht konnen wir zusammen soupieren?»

Herrick sah, wie die grauen Augen baten. Er entgegnete:»Es ware mir ein Vergnugen. «Dann stockte er.»Du konntest Kapitan Haven mitbringen, wenn du wunschst, obgleich ich meine.»

Bolitho starrte ihn an. Naturlich, er konnte es noch nicht wissen.»Haven ist unter Arrest, Thomas. Zu gegebener Zeit wird er sich vor Gericht verantworten mussen, wegen versuchten Mordes an seinem Ersten Leutnant.»

Herricks Erstaunen war verstandlich, es klang wirklich verruckt. Deshalb fugte er hinzu:»Haven bildete sich ein, da? der Leutnant eine Affare mit seiner Frau hatte. Sie bekam ein Kind. Wie sich herausstellte, hatte Haven unrecht. Aber der Schaden war schon geschehen.»

Herrick fullte sein Glas aufs neue und vergo? dabei Wein, ohne es zu beachten. Er kampfte mit sich.

«Ich mu? daruber sprechen, Sir Richard«, begann er.

Bolitho spitzte die Ohren.»Bitte keinen Rang oder Titel, wenn wir unter uns sind, Thomas.»

Herrick gab sich einen Sto?.»Dieses Weib. Was kann es dir schon bedeuten, au?er.»

Bolitho beherrschte sich.»Wir sind Freunde, Thomas, la? uns das bleiben. «Er sah an ihm vorbei.»Ich liebe Catherine, ist das so schwer zu verstehen? Wie wurde es dir gefallen, wenn jemand von deiner Dulcie als von >diesem Weib< sprechen wurde?«Er versuchte, den bitteren Unterton zu unterdrucken.

Herrick packte die Armlehnen fester.»Verdammt noch mal, Richard, warum verdrehst du die Wahrheit? Du mu?t doch wissen, was sich jeder erzahlt: da? du ihr verfallen bist, Frau und Kind versto?en hast, um deiner Leidenschaft zu leben — und zum Teufel mit allen, die sich um dich sorgen!»