Das Wachboot machte Platz, der verantwortliche Offizier zog aufstehend den Hut, wahrend die Ruderer zum Gru? ihre Riemen hochstellten. Allday bekam einen Schreck, als sich Bolitho ihm zuwandte, eine Hand uberm Auge, um es vor der Helligkeit zu schutzen. Er sagte nichts, aber sein Blick war so deutlich, als ob er laut gerufen hatte: eine dringende Bitte, die alle anderen ausschlo?. Allday war eine simple Seele, aber er erinnerte sich dieses Blickes noch lange, nachdem Bolitho die Barkasse verlassen hatte. Er machte ihm Sorge und ruhrte ihn zugleich.

Er sah, da? die Bootscrew ihn anstarrte, und brullte:»Ich hab' schon geschicktere Kerls als ihr aus'm Puff geschmissen. Bei Gott, nachstes Mal strengt euch lieber mehr an, sonst sollt ihr mich kennenlernen!»

Flaggleutnant Jenour stieg an Land und lachelte uber den Fahnrich, der bei der Schimpfkanonade des Bootssteurers verlegen errotete. Der Flaggleutnant war erst einen Monat bei Bolitho, begann aber schon, die ungewohnliche Ausstrahlung des Mannes, dem er beigeordnet war, zu begreifen. Wie fur den Fahnrich war er auch fur ihn ein Held.

Bolithos Stimme ri? ihn aus seinen Gedanken.»Kommen Sie, Mr. Jenour, das Boot kann warten, der Krieg nicht.»

«Aye, aye, Sir Richard. «Jenour grinste und dachte an seine Eltern in Hampshire, die den Kopf geschuttelt hatten, als er ihnen seine Absicht eroffnete, eines Tages Bolithos Adjutant zu werden.

Bolitho sah Jenour lacheln und merkte, wie seine Melancholie zuruckkehrte. Er wu?te, was der junge Leutnant fuhlte, weil er fruher selbst so gewesen war. In der begrenzten Welt der Navy hing man sehr stark an Freunden. Wenn sie fielen, ging mit ihnen etwas verloren, und das eigene Uberleben ersparte einem nicht die Trauer um ihr Verschwinden.

Bolitho blieb abrupt an der Treppe zur Pier stehen. Der Erste Leutnant der Hyperion war ihm eingefallen. Sein zigeunerhaft gutes Aussehen. Naturlich, es erinnerte ihn an Keverne, an Charles Keverne, einst sein Erster auf der Euryalus, der vor Kopenhagen als Kommandant gefallen war.

«Ist Ihnen nicht wohl, Sir Richard?»

«Verflucht noch mal, doch!»

Aber Bolitho drehte sich sofort um und beruhrte bedauernd Jenours Armel.»Entschuldigen Sie. Mein Rang bringt viele Vorrechte, doch schlechte Manieren gehoren nicht dazu.»

Er stieg die Treppe hoch, wahrend Jenour ihm nachstarrte. Yovell seufzte, als er schwitzend hinterherkletterte. Der arme Leutnant, er hatte noch eine Menge zu lernen. Man konnte nur hoffen, da? ihm die Zeit dazu vergonnt wurde.

Der gro?e Raum war nach der Hitze drau?en bemerkenswert kuhl. Bolitho sa? auf einem Stuhl mit steifer Lehne, nippte an einem Glas Rotwein und wunderte sich, da? er so kalt blieb. Leutnant Jenour und Yovell sa?en an einem Nebentisch, der mit Akten und Folianten bedeckt war. Sonderbar, da? in einem anderen Teil desselben Gebaudes Bolitho einmal besorgt auf die Beforderung zum Kommandanten gewartet hatte.

Der Wein war gut und sehr leicht. Er merkte, da? sein Glas von einem farbigen Diener sofort nachgefullt wurde, und nahm sich vor, auf der Hut zu sein. Bolitho geno? einen guten Schluck, doch war es ihm bisher leicht gefallen, dem verbreiteten Laster der Navy, der Trunksucht, zu entgehen. Es fuhrte zu oft zur Schande und dem Kriegsgericht.

Er hatte es nur in jenen schwarzen Tagen in Falmouth, als er erwartungsvoll zuruckkam, nicht geschafft. Trotzdem — was hatte er eigentlich erwartet? Wie konnte er besturzt sein und verbittert uber Belindas Kalte, wenn in Wahrheit sein Herz bei Cheney geblieben war?

Wie still das Haus dalag, als er ruhelos durch seine tiefen Schatten wanderte, mit einer Hand die Kerze vor den strengen Portrats hochhaltend, die er schon kannte, seit er so klein wie Elizabeth gewesen war.

Als er am nachsten Morgen aufwachte, ruhte seine Stirn in vergossenen Weinlachen auf dem Tisch. Mit trockenem Mund bemerkte er die leeren Flaschen, konnte sich aber nicht erinnern, sie aus dem Keller geholt zu haben. Das Personal mu?te Bescheid gewu?t haben. Ferguson hatte ihn noch in Reisekleidung vorgefunden und war hin und her geeilt, um ihm zu helfen. Bolitho mu?te die Wahrheit spater fast mit Gewalt aus Allday herausholen. Er entsann sich nicht, ihn fortgeschickt zu haben, weil er in seinem Elend allein sein wollte, horte aber, da? Allday die Nacht gleichfalls vertrunken hatte, in jener Taverne, wo die Wirtstochter immer noch auf ihn wartete.

Er horte, da? der andere Offizier auf ihn einsprach. Das war Kommodore Aubrey Glassport, Direktor der Marinewerft von Antigua und bis zu Hyperions Einlaufen der ranghochste Marineoffizier am Ort. Er erlauterte ihm die Standorte und unterschiedlichen Aufgaben der hiesigen Streitkrafte.

«Bei einem so ausgedehnten Seegebiet, Sir Richard, tun wir uns schwer, Blockadebrecher oder Piraten zu verfolgen und aufzubringen. Die Franzosen und ihre Verbundeten andererseits…»

Bolitho zog die Seekarte heran. Dieselbe alte Geschichte. Nicht genug Fregatten, zu viele Linienschiffe weggeschickt, um die Flotten im Kanal und im Mittelmeer zu verstarken. Uber eine Stunde lang hatte er jetzt die Berichte durchgesehen, den tage-und wochenlangen Patrouillen zwischen den zahllosen Inseln die mageren Resultate gegenubergestellt. Gelegentlich riskierte ein wagemutiger Kommandant Leib und Leben, erschien mit seinem Schiff auf einem feindlichen Ankerplatz, brachte eine Prise auf oder veranstaltete ein schnelles Bombardement. Das las sich gut, trug aber wenig dazu bei, den uberlegenen Feind ernstlich zu lahmen. Bolithos Mund wurde hart. Nur zahlenma?ig uberlegen.

Glassport hielt Bolithos Schweigen fur Zustimmung und redete weiter. Er war ein rundlicher, bequemer Herr mit gelichtetem Haupthaar und einem Mondgesicht, das mehr von gutem Leben zeugte als vom Kampf gegen die Elemente oder die Franzosen. Er sollte langst verabschiedet sein, wu?te Bolitho, aber er hatte Beziehungen im Stutzpunkt, also lie? man ihn hier. Seinem Weinkeller nach zu urteilen, unterhielt er ebenso gute Beziehungen zu den Zahlmeistern.

Glassport sagte gerade:»Angesichts Ihrer fruheren Erfolge, Sir Richard, fuhle ich mich geehrt durch Ihren Besuch. Bei Ihrem ersten Hiersein war Amerika wohl ebenfalls gegen uns aktiv? Mit vielen Freibeutern und auch mit der franzosischen Flotte.»

«Die Tatsache, da? wir uns mit Amerika nicht langer im Krieg befinden«, entgegnete Bolitho,»verhindert nicht zwangslaufig internationale Einmischung, auch nicht die zunehmenden amerikanischen Nachschublieferungen an den Feind. «Er legte die Karte aus der Hand.»In den nachsten Wochen wunsche ich mit jeder Patrouille Kontakt aufzunehmen. Haben Sie zur Zeit eine Kurierbrigg hier?«Er bemerkte Glassports plotzliches Erstaunen und seine Unsicherheit. Eine ruhige Existenz ging hier wohl zu Ende.»Ich mochte jeden Kommandanten personlich sprechen. Konnen Sie das einrichten?»

«Ah, hm — jawohl, Sir Richard.»

«Gut.»

Bolitho ergriff sein Weinglas und beobachtete die Sonnenreflexe im Stiel. Er neigte es ein wenig nach links und wartete, fuhlte Yovells Augen auf sich gerichtet. Und Jenours Neugier. Er fugte hinzu:»Man hat mir gesagt, da? sich Seiner Majestat Generalinspekteur noch in Westindien befindet?»

Glassport murmelte unglucklich:»Mein Flaggleutnant wei? genaueres.»

Bolitho stutzte, als sich das Bild des Glases zu verwischen begann. War der trube Schleier diesmal schneller gekommen, oder hatte das standige Drandenken.

«Meine Frage war einfach genug, glaube ich«, fuhr er auf.»Ist er noch hier oder nicht?»

Zitterte seine Hand? War er hartherzig, verargert? Keines von beiden. Nur unsicher wie auf der Pier, als er Jenour angefahren hatte. Ruhiger sprach er weiter:»Er ist doch mehrere Monate hier drau?en gewesen, glaube ich.»

«Viscount Somervell befindet sich noch in Antigua«, erwiderte Glassport und setzte defensiv hinzu:»Ich habe Grund anzunehmen, da? er mit dem Vorgefundenen zufrieden ist.»