Eine Stimme sagte dringlich:»Er ist bei Bewu?tsein. Helfen Sie mir, ihn hinuberzuheben.»

Irgend etwas Rotes verschwand uber ihm, er erkannte es als Major Clintons Uniformrock. Er und einige seiner Leute mu?ten ihn unter Deck getragen haben. Kalter Schwei? lief ihm uber die Brust. Nach unten getragen! Er war tief unten im Orlopdeck, und der Schrei kam von jemandem unter dem Messer des Chirurgen.

Er horte Allday, seine Stimme war kaum zu erkennen, als er sagte:»Wir sollten ihn nach achtern bringen, Herr Major.»

Eine andere Stimme flehte in wahnsinniger Angst:»O nein, o nein! Bitte nicht!»

Bolitho fuhlte, da? sein Kopf von einer hilfreichen Hand leicht angehoben wurde. Wasser tropfelte zwischen seine Lippen, und wahrend er zu schlucken versuchte, bemuhten sich seine Augen, die halbe Finsternis des Orlopdecks zu durchdringen. Ein Bild wie in der Unterwelt: Manner, die gegen die soliden Planken der Benbow lehnten. Leblose Gestalten und andere, die sich in schrecklichen Schmerzen wanden.

Unter einer Traube von Laternen arbeitete Loveys, der Schiffsarzt, uber den provisorischen Operationstisch gebeugt, seine Schurze blutbespritzt wie die eines Metzgers.

Der Mann, der geschrien hatte, lag ausgestreckt auf dem Tisch und hatte jetzt einen Lederknebel zwischen den zusammengepre?ten Zahnen, wodurch das Schreien aufgehort hatte. Er war nackt und wurde von Loveys Gehilfen energisch festgehalten. Nur seine Augen rollten wie Murmeln, als er den Arzt flehentlich anstarrte.

Bolitho sah, da? der Arm des Mannes zerschmettert war. Eine feindliche Kugel oder ein gro?er Eisensplitter hatte ihn aufgeschlitzt.

Das Messer in Loveys Hand schimmerte, als er die Scheide einen Augenblick, der ihm wie eine Ewigkeit vorkam, uber das wei?e Fleisch oberhalb der Wunde hielt, wenige Zentimeter unterhalb der Schulter. Er nickte seinen Gesellen kurz zu, schnitt dann mit steinernem Gesicht hinein und einmal rundherum. Ein anderer Gehilfe reichte ihm eine Sage, und in wenigen Minuten war es geschafft, das abgetrennte Glied in einen bereitstehenden Eimer unter den kreisenden Laternen geworfen.

Jemand murmelte:»Gott sei Dank, er ist ohnmachtig geworden, der arme Kerl.»

Allday stand hinter Bolithos Kopf.»Lassen Sie sich von uns nach achtern tragen, Sir. Bitte, dies ist kein Ort fur Sie!»

Bolitho muhte sich, den Kopf zu drehen und ihn anzusehen. Er wollte ihn trosten, ihm erklaren, da? er hierbleiben musse, und sei es nur, um Anteil an den Schmerzen der Manner ringsum zu nehmen,

Schmerzen, die er verursacht hatte. Doch er brachte keine Worte heraus, sah nur mit Schrecken, wie Tranen uber Alldays Backen liefen.

Kaum horbar brachte Bolitho hervor:»Wo ist Kapitan Herrick?»

Browne kniete neben ihm.»Er mu? sich um das Geschwader kummern, Sir. Er wird gleich wieder unten sein.»

Wieder? Obwohl so viel an Deck zu tun war? Da waren die Toten beizusetzen, Reparaturen auszufuhren, bevor ein Sturm sie uberfiel, und doch war Herrick schon einmal hier gewesen, um nach ihm zu sehen!

Loveys schaute auf ihn herab, sein strahniges Haar glanzte im Lampenschein.»Nun, Sir, lassen Sie mich mal sehen. «Er kniete nieder, sein Totenschadelgesicht zeigte kein Zeichen von Ermudung oder Entsetzen. Eben hatte er den Arm eines Mannes amputiert, und Gott wei? wie viele davor. So schwach er aussah, schien er doch mehr Kraft zu besitzen als viele andere.

Bolitho schlo? die Augen. Der Schmerz war schon so stark, da? er weder die tastenden Finger spurte noch das Messer, das seine Hose aufschlitzte.

Loveys sagte:»Eine Gewehrkugel, aber sie mu? irgendwie abgelenkt worden sein. «Langsam stand er auf.»Ich werde tun, was ich kann, Sir.»

Browne flusterte:»Ihr Neffe kommt, Sir. Soll ich ihn wegschik-ken?«»Nein.»

Selbst dieses Wort bereitete ihm Pein. Das war es also, was er immer befurchtet hatte. Diesmal war es keine Schramme, keine Kugel von weither, welche die Schulter nur angekratzt hatte. Dies hier sa? tief im Schenkel. Sein Bein und sein Fu? brannten. Er versuchte, nicht an den Mann zu denken, den er gerade auf dem Tisch gesehen hatte.

«Lassen Sie ihn zu mir.»

Pascoe kniete neben ihm. Sein Gesicht wirkte sehr beherrscht, unbewegt wie eines der alten Portrats in Falmouth.

«Ich bin hier, Onkel. «Er nahm Bolithos Hand.»Wie geht's?»

Bolitho schaute zu den Decksbalken hoch. Oben schwiegen die Kanonen. Er sprach muhsam:»Es ging mir schon besser, Adam. «Er fuhlte, da? Pascoes Griff fester wurde.»Ist beim Geschwader alles in Ordnung?»

Er sah, wie Pascoe sich bemu hte, einen Mann zu verdecken, der den

Eimer mit amputierten Gliedma?en hinaustrug.

Pascoe nickte.»Du hast sie besiegt, Onkel. Hast es ihnen gezeigt!»

Bolitho versuchte, die Schmerzen zu unterdrucken und abzuschatzen, welchen Schaden er seinem Korper zugefugt hatte.

Loveys kam zuruck.»Ich mu? Sie ausziehen, Sir.»

Allday sagte:»Das mache ich!«Er konnte Bolitho kaum anschauen, als er sich ungeschickt mit dem Hemd und der aufgeschlitzten Hose abmuhte.

Loveys sah geduldig zu.»Den Rest uberlassen Sie besser meinen Sanitatsgasten. «Er winkte seinen Gehilfen.»Los, Leute!»

Gerade jetzt hatte Bolitho seinem Neffen gern vieles gesagt. Uber seinen Vater, und was wirklich mit ihm geschehen war. Aber schon hoben ihn fremde Hande uber ein paar leblose Gestalten hinweg. Sie hatten — vollgepumpt mit Rum und gegen Infektionen verbunden — immerhin eine Chance zu uberleben. Plotzlich packten ihn Angst und Entsetzen.

Er rief:»Du sollst das Haus in Falmouth haben, Adam. Alles. Da ist ein Brief..»

Pascoe schaute verzweifelt Allday an.»O Gott, ich kann's kaum noch ertragen.»

Allday sagte gebrochen:»Er wird doch wieder gesund werden, oder?»

Seine Worte machten Pascoe hellwach. Wie schon oft war es der kraftige Bootssteurer, bei dem Pascoe sich Zuversicht holte.

Er packte Allday am Armel.»Ganz bestimmt!»

Bolitho lag auf dem Tisch und blickte in den schwingenden Lichtkreis der Laternen. Er hatte immer vorausgesetzt, da? es schnell gehen wurde, wenn es ihn einmal traf. Heute rot, morgen tot. Aber nicht so etwas: ein nutzloser Kruppel, bemitleidet oder verlacht.

Loveys sagte ruhig:»Ich will Ihnen nichts vormachen, Sir. Sie sind in gro?ter Gefahr, das Bein zu verlieren. Aber ich will mein Bestes tun. «Eine Hand steckte Bolitho einen Lederballen zwischen die Zahne. Er war mit Brandy getrankt.

Loveys sagte:»Bei?en Sie kraftig zu, Sir.»

Bolitho fuhlte Entsetzen in sich hochsteigen. Der Augenblick war da, an dem er vor all diesen unsichtbaren Zuschauern seine Angst zeigen wurde.

Hande packten seine Arme und Beine wie Schraubstocke. Er sah

Loveys rechte Schulter zuruckweichen und sich dann plotzlich herabsenken, und in diesem Augenblick steigerte sich der Schmerz in seinem Schenkel, als ware flussiges Blei hineingegossen worden.

Er versuchte, den Kopf seitwarts zu drehen, aber Loveys Leute verstanden ihr Geschaft. Weiter und weiter ging es, sondierend und schneidend, mit kleinen Pausen, wenn das Schiff uberholte, und der schreckliche Schmerz breitete sich immer weiter aus.

Durch den Schleier von Furcht und halber Bewu?tlosigkeit horte er eine Stimme rufen:»Halte durch, Dick! Es ist gleich vorbei!»

Der Zuruf des unbekannten Matrosen oder Soldaten gab Loveys die Sekunden, die er noch brauchte.

Mit einer letzten Drehung seines dunnen Handgelenks beforderte er die platte Musketenkugel aus dem geschwarzten Fleisch und lie? sie in eine Schale fallen.

Sein Sanitatsmaat murmelte:»Er ist ohnmachtig geworden, Sir.»

«Gut. «Loveys stach noch einmal und tiefer hinein.»Da ist noch ein Stuck!«Er wartete, bis der Maat das Blut weggewischt hatte.»Haltet ihn jetzt fest.»

Herrick naherte sich langsam dem Tisch, und seine Leute traten beiseite, um ihn durchzulassen. Es war nicht richtig, Bolitho so zu sehen, nackt und hilflos. Aber im tiefsten Innern wu?te er, da? Bolitho es nicht anders gewollt hatte. Er mu?te erst den Klo? aus seiner Kehle wegrauspern, bevor er etwas sagen konnte.