Er war sechsundzwanzig Jahre alt, hatte trugerisch sanfte Augen und einen Gesichtsausdruck, der zwischen Leere und leichter Verwirrung wechselte.

Der Ehrenwerte Leutnant Oliver Browne, den ihm abzunehmen Admiral Beauchamp Bolitho gebeten hatte, besa? das Aussehen eines Aristokraten, der eine gehobene Lebensart gewohnt war. Er war nicht der Typ eines Offiziers, den man an Bord eines Kriegsschiffes erwartet hatte.

Yovell machte ein fluchtige Verbeugung.»Guten Morgen, Sir. Ich habe Ihren Namen schon auf die Liste der Offiziersmesse gesetzt.»

Der Flaggleutnant warf einen kurzen Blick auf das Abrechnungsbuch und sagte ruhig:»Aber Browne mit einem >e< hinten. «Bolitho lachelte.»Mogen Sie eine Tasse Kaffee?«Er beobachtete, wie Browne seine Kuriertasche auf den Tisch legte, und setzte hinzu:»Was Neues?»

«Nein, Sir. Sie konnen in See gehen, sobald Sie soweit sind. Keine weiteren Befehle von der Admiralitat. «Er setzte sich vorsichtig hin.»Ich wunschte, wir kamen in warmeres Klima.»

Bolitho nickte. Seine Befehle lauteten, da? er sein Geschwader einige funfhundert Seemeilen nordwarts an die Westkuste Danemarks fuhren und sich dort mit jenem Teil der Kanalflotte treffen sollte, der vor dem Eingang zur Ostsee patrouillierte, und das bei jedem Wetter und unter allen Bedingungen. Sobald er mit dem Admiral dieses Verbandes Verbindung aufgenommen hatte, wurde er weitere Befehle erhalten. Er hoffte, genugend Zeit zu haben, um sein Geschwader in Form zu bringen, bevor er seinen neuen Vorgesetzten traf.

Gerne hatte er gewu?t, wie seine Offiziere daruber dachten. Sicherlich ahnlich wie Browne, nur da? sie mehr Grund hatten zu murren. Die meisten von ihnen waren seit Jahren im Mittelmeer oder angrenzenden Gewassern gewesen. Fur sie mu?te Danemark und die Ostsee im Winter ein schlimmer Tausch sein.

Yovell schob Bolitho die Papiere mit der Geduld eines Dorfschulmeisters zur Unterschrift hin. Dazu sagte er:»Die anderen Abschriften werde ich bis zum Auslaufen fertig haben, Sir. «Dann ging er, wobei sich seine rundliche Gestalt den Schiffsbewegungen wie eine gro?e Kugel anpa?te.

«Ich denke, damit lauft alles. «Bolitho schaute in Brownes ausdrucksloses Gesicht.»Oder?«Er war es noch nicht gewohnt, Gedanken wie Zuversicht oder Zweifel mit anderen zu teilen.

Browne lachelte hoflich.»Wir haben heute vormittag Kommandantensitzung, Sir. Wenn der Wind so bleibt, konnen wir danach jederzeit auslaufen, hat mir der Master versichert.»

Bolitho stand auf und lehnte sich auf die Brustung der hohen Fenster. Es war beruhigend, da? sie den alten Grubb an Bord hatten. Als Sailing Master der Lysander war er so etwas wie eine legendare Figur gewesen. Allein mit Signalen aus seiner Batteriepfeife hatte er — wahrend um ihn herum Blut uber das Deck stromte — das Schiff so dirigiert, da? es die feindliche Schlachtlinie durchbrach. Ein Brocken von einem Mann, so breit wie drei andere, mit ziegelrotem, vom Wind wie vom Alkohol gegerbtem Gesicht. Was er nicht von seemannischen Erfahrungen in tropischen Orkanen oder im Eismeer wu?te, das brauchte man nicht zu wissen.

Herrick war begluckt gewesen, als er Grubb wieder als Navigator bekam. Er hatte gesagt:»Ich bezweifle jedoch, da? er davon Notiz genommen hatte, wenn die Entscheidung anders ausgefallen ware.»

«Gut«, sagte Bolitho nun.»Machen Sie ein entsprechendes Signal fur das Geschwader. Bei vier Glasen zur mir an Bord. «Er lachelte.»Sie warten sowieso darauf.»

Browne raffte seine Sammlung verschiedener Papiere und Signale zusammen und zogerte, als Bolitho ihn plotzlich fragte:»Dieser Ad-miral, mit dem wir zusammentreffen sollen. Kennen Sie ihn?»

Er war erstaunt, wie leicht ihm das von den Lippen ging. Fruher hatte er eher nackend einen Tanz auf der Hutte aufgefuhrt, als einen Untergebenen nach dessen Ansichten uber einen Vorgesetzten zu fragen. Aber man hatte ihm gesagt, er musse einen Flaggleutnant haben, der in der Marine-Diplomatie bewandert war, also wollte er das nutzen.

«Admiral Sir Samuel Damerum ist lange Jahre als Flaggoffizier in Indien gewesen und zuletzt in Westindien, Sir. Man hatte erwartet, da? er in ein hoheres Amt in Whitehall berufen wurde, sogar Sir George Beauchamps Posten wurde genannt.»

Bolitho sah ihn mit gro?en Augen an. Das war eine andere Welt als die seinige.

«Und das hat Ihnen Sir George Beauchamp alles erzahlt!»

Doch Sarkasmus war an Browne verschwendet.»Naturlich, Sir. Als Flaggleutnant mu? ich solche Dinge wissen. «Er machte eine wegwerfende Gebarde.»Statt dessen bekam Admiral Damerum sein jetziges Kommando. Er ist gut beschlagen in Angelegenheiten des Handels und seines Schutzes. Ich wei? allerdings nicht, was diese Kenntnisse mit Danemark zu tun haben.»

«Machen Sie bitte weiter.»

Bolitho setzte sich wieder und wartete, da? Browne den Raum verlie?. Er bewegte sich leicht und elegant wie ein Tanzer. Oder mehr noch: wie ein Fechter, ein Duellant, dachte Bolitho grimmig. Es war ganz Beauchamp, ihm einen erfahrenen Adjutanten zu geben und diesen Mann damit gleichzeitig vor unerfreulichen Nachforschungen zu retten.

Er dachte uber Damerum nach. Den Namen hatte er langsam auf der jahrlichen Beforderungsliste der Marine aufsteigen sehen; ein einflu?reicher Mann, aber offenbar immer am Rande der Ereignisse, nie da, wo gekampft und gesiegt wurde.

Vielleicht waren seine Kenntnisse des Handels der Grund fur sein jetziges Kommando. Seit Beginn dieses Jahres hatte es unerwartete Spannungen zwischen Britannien und Danemark gegeben.

Sechs danische Handelsschiffe, begleitet von der Freya, einer Fregatte mit vierzig Kanonen, hatten es abgelehnt, sich von einem britischen Geschwader anhalten und nach Konterbande durchsuchen zu lassen.

Danemark war in einer schwierigen Lage. Nach au?en hin galt es als neutral, aber es hing nichtsdestoweniger von seinem Handel ab. Vom Handel mit seinen machtigen Nachbarn, Ru?land und Schweden, ebenso wie mit Britanniens Feinden.

Das Ergebnis dieses Zusammentreffens war hart und argerlich gewesen. Die danische Fregatte hatte Warnschusse auf die britischen Schiffe abgefeuert, aber nach einer halben Stunde harten Kampfes hatte sie die Flagge streichen mussen. Die Freya und ihre sechs Schutzlinge waren in die Downs eingebracht worden, aber nach eiligen diplomatischen Verhandlungen hatten die Briten sich der demutigenden Aufgabe gegenubergesehen, die Freya auf ihre Kosten ausbessern zu lassen und mit ihrem Konvoi nach Danemark zuruckzuschik-ken.

Der Friede zwischen Britannien und Danemark, zwei seit jeher befreundeten Nationen, war bewahrt worden.

Vielleicht hatte Damerum seine Hand bei der ursprunglichen Konfrontation im Spiel gehabt und wurde nun mit seinem Geschwader zur Strafe in See gehalten. Oder vielleicht glaubte die Admiralitat auch, da? die standige Anwesenheit ihrer Schiffe vor den Ostseezugangen, Bonapartes Hintertur, wie die Gazette sie genannt hatte, weitere Pannen verhindern wurde.

Es klopfte kurz an die Tur, und Herrick trat, seinen Hut unter den Arm geklemmt, in die Kajute.»Setzen Sie sich, Thomas.»

Bolitho betrachtete seinen Freund mit Warme. Dasselbe derbe, runde Gesicht, dieselben klaren blauen Augen wie damals, als sie hier in Spithead einander auf ihrem ersten Schiff begegnet waren. Es gab wohl schon ein paar graue Tupfer auf seinem Haar, die aussahen wie Rauhreif auf einem Gebusch, aber sonst war es immer noch der alte Herrick.

Herrick seufzte tief.»Die brauchen anscheinend immer langer, um fertig zu werden, Sir. «Er schuttelte den Kopf.»Einige haben offenbar zwei linke Hande. Da wird mit viel zu vielen Verordnungen und Verboten vor den Pre?kommandos herumgewedelt. Wir brauchen gute Seeleute, aber dann hei?t es: >Hande weg von Indienfahrern, Kustenschiffern und Bootsleuten<. Verdammt noch mal, Sir, es ist doch auch deren Krieg.»

Bolitho lachelte.»Das haben wir schon ein paarmal festgestellt, Thomas. «Er deutete mit weit ausholender Gebarde auf den Raum mit seinen grunen Lederstuhlen und dem soliden Mobiliar.»Hier ist alles sehr behaglich. Sie haben an der Benbow ein schones Schiff.»