Er horte die anderen sich ausstrecken, dann das Gerausch einer Feldflasche, die geschuttelt wurde. Was hatte er jetzt fur den klaren Rheinwein gegeben, den Ozzard in der Bilge kuhl hielt!
Bolitho griff unter sein Hemd und beruhrte seine nasse Haut. Es fiel ihm nur zu leicht, sie sich in seinen Armen vorzustellen. Ihre Hande auf seiner Haut, ihr Flustern, das lustvolle Wolben ihres Ruckens, wenn er in sie eindrang… In jaher Verzweiflung faltete er die Karte zusammen. An wen dachte er eigentlich?
«Schauen Sie sich blo? diese Masse Vogel an«, sagte Stayt.
Ein riesiger Schwarm Mowen stie? wie von Faden zusammengehalten aufs Wasser nieder. Es mu?ten Tausende sein. Als sie im Sturzflug die verankerte Supreme passierten, sah Bolitho rasche, zuckende Bewegungen im Wasser und entsann sich der Fische. Die Mowen griffen zum richtigen Zeitpunkt an, und Bolitho konnte selbst uber die weite Entfernung ihr Kreischen horen.
Auf dem Deck des Kutters war die Arbeit zum Erliegen gekommen. Die Seeleute sahen zu, wie eine Mowe nach der anderen wild flatternd und mit einem silbrigen Fisch im Schnabel an Hohe gewann.
«Unser Ausguckposten ist gut, Sir«, merkte Stayt an.»Er hat keinen Blick an die Mowen gewandt. Dabei habe ich noch nie gesehen, da? Vogel sich so.»
«Der Ausguck?«fragte Bolitho abrupt. Er griff hastig nach seinem Fernrohr und zog es rasch auseinander. Als er es ubers helle Wasser und den Mowenschwarm schwenkte, brannte ihm der Schwei? in den Augen. Aus unerfindlichem Grund schmerzte ihn die alte Narbe. Was ist nur mit mir los? dachte er.
Dann entspannte er sich zogernd, denn der braungebrannte Ausguck war noch auf seinem Posten.»Jagen Sie eine Kugel in die Felsen unter ihm«, befahl er.»Der Kerl ist eingeschlafen.»
Stayt winkte argerlich einem Matrosen. Der Mann ging auf ein Knie nieder und hob die Muskete an die Schulter. Der Schu? mochte die anderen aufschrecken, aber ein schlafender Ausguck stellte eine gro?e Gefahr dar.
Auf den Knall hin kreisten die Vogel zuerst wild und flogen dann davon. Hier und dort fiel ein Fisch zuruck ins Meer.
Bolitho schob das Fernrohr zusammen und richtete sich auf. Sein Gesicht blieb ausdruckslos, obwohl er glaubte, ihm musse das Herz im Leib bersten. Der Ausguck hatte sich nicht geruhrt; die Sonne spiegelte sich noch immer in seinem Teleskop.
«Dieser Mann schlaft nicht, er ist tot. «Er war bemuht, gelassen zu sprechen.»Ich furchte, wir sind in Gefahr. «Die Manner reagierten nicht, sahen ratlos erst den treibenden Pulverdampf an und dann in sein Gesicht.
«Hier, Sir?«rief Stayt verdutzt aus.
«Mr. Sheaffe, Sie sind der Jungste«, bellte Bolitho.»Laufen Sie hinunter zum Strand und warnen Sie Leutnant Hallowes.»
Der Midshipman starrte ihn an und sprach stumm die Worte nach, als traue er seinen Ohren nicht.»Und Sie, Bankart, gehen mit.»
Als die beiden bergab sprangen und zwischen den Baumen verschwanden, befahl Bolitho:»Ladet eure Waffen.»
Er machte sich Vorwurfe, weil er keine Pistole mitgebracht hatte. Aber wer hatte ausgerechnet hier mit Gefahr gerechnet?
Vorsichtig schritten sie den Hang hinunter, lauschten angestrengt in alle Richtungen, horten aber nur das Rascheln der Baume; es klang, als habe sich eine versteckte Armee in Bewegung gesetzt.
Am Waldrand sagte Bolitho:»Wir gehen um den Hugel herum. «Er sah den Zweifel in Stayts dunklen Augen. Die beiden bewaffneten Matrosen steckten die Kopfe zusammen.
«Nach dem Musketenschu? haben sie uns gesehen«, erklarte Bolitho.»Aber jetzt sind wir au?er Sicht. Sie nehmen bestimmt an, da? wir den kurzesten Weg zum Landeplatz einschlagen.»
«Aber wer sind sie?«zischte Stayt.
Bolitho zog seinen Degen.»Franzosen wahrscheinlich.»
Der Feind schien ihnen immer zuvorzukommen. Niemand konnte wissen, da? er auf den Kutter umgestiegen war, aber Supreme gehorte zu seinem Geschwader. Und sie war vor einer Leekuste in eben jene Lage geraten, die Barracouta beinahe zum Verhangnis geworden ware.
Auch Stayt hatte seinen Degen gezogen, und gemeinsam hielten sie auf den Hang zu, mieden Lichtungen, um sich nicht zu verraten. Bolitho fragte sich, ob Sheaffe den Strand schon erreicht hatte.
Er bi? die Zahne zusammen, um nicht laute Verwunschungen auszusto?en. Wo war ich mit meinen Gedanken? Ich hatte doch erkennen mussen, da? dies genau die Art Falle ist, die sich Jobert einfullen la?t.
«Da!«Stayt ging in die Knie. Zwei Manner schlenderten gemachlich durch den Wald, offenbar Matrosen. Als sie naherkamen, horte Bolitho sie franzosisch sprechen.
Sie mu?ten einen gro?eren Trupp verlassen haben, um das Teleskop des Ausguckpostens vom Hugel zu holen. Bolitho konnte sich noch genau an ihn erinnern, er war ein guter, zuverlassiger Mann gewesen. Nun trug ein anderer sein Fernrohr, und am Futteral waren Blutspuren.
«Drauf!»
Bolitho setzte ubers Gebusch und ging auf den ersten Mann los. Der starrte ihn zunachst vollig verdutzt an und machte dann Anstalten, sein Entermesser zu ziehen; doch das Teleskop war ihm hinderlich. Bolitho hieb ihm quer ins Gesicht und stie? ihm die Klinge unter der Achselhohle in die Seite. Der Mann sturzte lautlos zu Boden. Sein Kamerad fiel auf die Knie und streckte flehend die Hande aus. Doch der Ausguckposten mu?te beliebt gewesen sein, denn einer der beiden Matrosen schwang die Muskete und schlug dem zweiten Franzosen den Schadel ein. Die Muskete wurde erneut erhoben, aber Stayt bellte:»Genug, du Narr, der ruhrt sich nicht mehr.»
Der Mann mit der Muskete hob das Teleskop auf und folgte Bolitho bergab. Hatten sie den Umweg nicht gemacht, waren sie in einen Hinterhalt geraten. Er horte den dumpfen Knall einer Kanone. Endlich hatte man auf der Supreme erkannt, was geschah, und rief die Manner zuruck.
Dann jah eine Musketensalve, wilde Schreie, ein kurzes Aufeinanderprallen von Stahl. Bolitho fiel in Laufschritt, brach durch die letzten Busche und erreichte den Strand. In wenigen Sekunden uberblickte er alles: Die Jolle lag auf dem Trockenen, die Gig war auf halbem Weg zwischen Strand und Kutter. Leutnant Okes stand mit gezogenen Pistolen unten am Wasser. Eine hatte er gerade abgefeuert, die andere richtete er auf eine Gestalt, die mit mehreren anderen im Zickzack auf seine Handvoll Manner lossturmte. Bolitho fand die Zeit, festzustellen, da? Okes trotz des Geschreis und gelegentlichen Musketenfeuers dabei ganz still stand, eher einem Jager vergleichbar als einem Seeoffizier. Die Pistole knallte, die laufende Gestalt sturzte, wuhlte den Sand auf wie ein Pflug und blieb reglos liegen.
Das schien die anderen abzuschrecken, zumal Bolitho und seine drei Begleiter nun auf sie losgingen. Stayt, dessen Pistole zwei Laufe haben mu?te, feuerte zweimal, und jede Kugel traf ihr Ziel.
Okes fuhr sich mit dem Armel ubers Gesicht.»Dem Himmel sei gedankt, Sir. Ich dachte schon, die Kerle hatten Ihnen den Garaus gemacht.»
Bolitho sah Bankart im Boot. Okes lud seine Pistole nach und bemerkte dabei:»Wenn dieser Junge nicht gewesen ware, hatten sie uns uberrascht.»
Bolitho schaute an ihm vorbei.»Wo ist Mr. Sheaffe?»
Okes zog seine andere Pistole.»Ich dachte, er ware bei Ihnen, Sir.»
Bolitho winkte Bankart herbei.»Wo ist Midshipman Sheaffe?»
«Gesturzt, Sir«, erwiderte Bankart.»Da hinten war ein Loch, er sturzte und rollte einen Steilhang hinunter.»
Bolitho starrte ihn an.»Steilhang? So etwas gibt es hier doch gar nicht.»
Die anderen kletterten in die Boote; bis auf den Ausguckposten hatte es keine Verluste gegeben. Aber wo steckte Sheaffe? Vier Franzosen, deren Blut bereits im Sand versik-kerte, lagen, wo sie gefallen waren.
Stayt warf seinen Degen in die Luft und fing ihn an der Klinge auf, ehe er ihn in die Scheide gleiten lie?.»Ich gehe ihn holen«, sagte er und betrachtete Bankart kalt.»Zeig mir, wo er liegt.»
Als sie das Gebusch erreichten, sahen sie Sheaffe in die Sonne torkeln. Er hatte eine Platzwunde im Gesicht und blutete, schien aber sonst unversehrt.