Yovell schrak von seinem Schreibtisch auf, als er Bolitho durch die Tur schreiten sah.

«Ich mochte Instruktionen fur Kapitan Inch von der Heli-con diktieren. Anschlie?end werde ich den Gentleman an Bord empfangen, ehe wir uns wieder trennen«, sagte er. Beflissen zog Yovell Schubladen auf und suchte nach einer neuen Feder.»Und dann soll Midshipman Hickling bei mir erscheinen.»

Yovell nickte.»Ich verstehe, Sir Richard.»

Bolitho musterte ihn scharf. Nichts verstehst du, aber das macht nichts.

«Der Arzt erwartet Sie, Sir«, sagte Yovell.

Bolitho stutzte sich mit beiden Handen auf den Sessel und betrachtete sein Spiegelbild. Die kleinen Schnittwunden waren fast verheilt, sein Auge sah beinahe normal aus. Selbst das gelegentliche Brennen war weniger spurbar.

«Schicken Sie ihn rein. «Er zupfte am Verband.»Ich habe gleich eine Aufgabe fur ihn.»

Allday kam durch die andere Tur und sah besorgt zu, wie Bolitho sich anschickte, selbst den Verband abzunehmen.»Sind Sie auch ganz sicher, da? das klug ist, Sir?»

«Sie konnen sich spater als Barbier betatigen.»

Allday warf einen Blick auf Bolithos schwarzes Haar. Sieht doch noch ganz passabel aus, dachte er, wollte aber Bolithos neugefundene Energie nicht dampfen.

Tuson dagegen nahm kein Blatt vor den Mund, als er Bolitho untersuchte.»Wenn Sie schon nicht auf mich horen wollen, Sir«, sagte er zornig,»dann warten Sie wenigstens ab, bis Sie von einem Fachmann untersucht worden sind!»

Der Verband fiel zu Boden, und Bolitho mu?te sich zusammennehmen, um nicht zu zucken oder die Fauste zu ballen, als der Arzt sein Auge zum hundertsten Mal untersuchte.»Es hat sich nicht gebessert«, sagte Tuson nach einer Weile.»Wenn Sie sich nur schonen wollten…»

Bolitho schuttelte den Kopf. Er konnte auf dem Auge nur undeutlich sehen, aber die Schmerzen waren nicht zu schlimm.»Ich fuhle mich besser, und darauf kommt es an.»

Tuson schlo? heftig seine Tasche.»Wenn Sie ein gemeiner Matrose waren, Sir Richard, wurde ich Sie einen verdammten Narren hei?en. «Er zuckte die Achseln.»Aber da Sie Admiral sind, schweige ich.»

Bolitho wartete, bis sich die Tur geschlossen hatte, und massierte sich dann das Auge. Anschlie?end starrte er sich mehrere Sekunden lang im Spiegel an. Er wurde Joberts Geschwader ausfindig machen und vernichten, ganz gleich, was geschah. Und wenn seine Manner im Gefecht zu ihm aufschauten, mu?ten sie bei seinem Anblick Mut fassen, nicht ihn verlieren.

Wahrend der funfeinhalbtagigen Uberfahrt nach Malta verbrachte Bolitho den Gro?teil seiner Zeit in der Kajute, um Keen freie Hand fur die Reparaturen und Anderung der Wacheinteilung zu lassen, fur das Exerzieren an Segeln und Geschutzen. Die Besatzung mochte ihren Kommandanten verfluchen, aber Bolitho war zufrieden, wenn er das Quietschen der Geschutzlafetten auf den Decks horte oder die Rufe der Offiziere, die zaghafte Landratten in schwindelnde Hohen scheuchten. Allerdings kamen sie nur sehr langsam voran, manchmal mit sechs Knoten oder weniger. Ihm war deutlich bewu?t, da? die Ruckkehr auf ihre Station ebensoviel Zeit in Anspruch nehmen wurde.

Zu seinem Vertreter Inch, einem geschickten und erfahrenen Kommandanten, hatte er kein unbegrenztes Vertrauen. Er besa? zwar genug Initiative, zogerte aber oft, sie zu ergreifen. Das machte Bolitho, dem der pferdegesichtige Inch uber die Jahre ans Herz gewachsen war, Sorgen.

Keen kam und meldete, da? der Ausguck die Insel Malta gesichtet hatte.»Einlaufen werden wir erst am Spatnachmittag oder vielleicht wahrend der Hundewache, Sir«, erganzte er.»Es sei denn, der Wind frischt auf.»

Bolitho merkte, da? Keen sich alle Muhe gab, nicht in sein unverbundenes Auge zu starren. Uber die Verletzung wurde nie gesprochen, doch man war sich ihrer immerzu bewu?t.

«Gut. Wenn wir auf der Reede sind, komme ich an Deck.»

Keen lie? ihn allein, und Bolitho setzte sich. Was war der nachste Schritt? Wurde man ihn wegen seiner Verletzung vorubergehend ablosen oder ihm sein Kommando gar ganz nehmen? Keen meinte, er bilde sich diese Intrige nur ein, aber es waren einfach zu viele Zufalle auf einmal. Bolitho zog die Stirn kraus, als er sich seine Offiziere und Kommandanten vorstellte. Houston von der Icarus war der wahrscheinlichste Kandidat, da er zum Zorn neigte und einen Groll gegen Keen hegte. Auch seinen Admiral liebte er nicht gerade.

Er fa?te einen Entschlu?. Wenn er mit keinem Argument die Anschuldigungen vom Tisch fegen und auch das Madchen nicht retten konnte, mu?te er zum au?ersten bereit sein.

«Ozzard, sagen Sie Allday, er soll Zenoria zu mir bringen. «Er trat an die Fenster und sah achteraus ein kleines Fischerboot auf den Wellen tanzen. Malta, immer wieder umkampft, erobert und verloren, hatte den Schutz der britischen Marine eher aus Angst vor den Franzosen als aus Loyalitat zu Gro?britannien angenommen.

Bolitho stie? eine stumme Verwunschung aus, als das Schiff beim Kurswechsel uberholte. Fast hatte er wieder das Gleichgewicht verloren. Das war ebenso entnervend wie der Nebel, der vor seinem Auge hing wie feine Seide.

Die Tur ging auf, und Allday kam mit Zenoria herein.

«Es ist fast soweit. «Bolitho geleitete sie zu einem Sessel und sah, wie sie die Armlehnen umklammerte, was ihre Fassung Lugen strafte. Er trat hinter sie und beruhrte ihr langes Haar.»Sind Sie auch ganz sicher, Sie tapferes Madchen?»

Sie nickte und packte die Lehnen noch fester.

«Na, dann Kopf zuruck, Miss«, murmelte Allday heiser.

Sie legte den Kopf auf die Rucklehne, knopfte nach kurzem Zogern ihr Hemd auf und legte ihren Hals frei. Bolitho ergriff ihre Hand. Kein Wunder, da? Keen sie anbetete.

«Ich bringe es nicht fertig, Sir«, sagte Allday verzweifelt.

«Fangen Sie an«, sagte sie leise.»Sofort!»

Allday stie? einen tiefen Seufzer aus, ergriff ihr Haar und zuckte die Schere.

Bolitho sah die schwarzen Locken zu Boden fallen.»Ich gehe jetzt an Deck. «Er druckte ihre Hand, die trotz der Schwule in der Kajute eiskalt war.»Allday kummert sich um Sie. «Dann beugte er sich vor und ku?te sie sanft auf die Wange.»Ihr Mut wird uns allen Kraft geben, Zenoria.»

Spater, als er zu Keen aufs Achterdeck trat und zusah, wie sich der Hafen mit den wei?en Festungsanlagen vor ihnen offnete, mu?te er seine Besorgnis mit Gewalt unterdrucken.

Salutschusse begannen uber das stille Wasser zu hallen, und auf der nachstgelegenen Batterie dippte man die Flagge. In Malta lagen zahlreiche Kustenfahrzeuge und mehrere gro?e Kriegsschiffe. Bolitho hob ein Teleskop und hielt es vorsichtig an sein gutes Auge. Am nachsten zum Kai lag ein eleganter Zweidecker, von dessen Besanmast mude die Flagge eines Konteradmirals flatterte.

Ihm schnurte es die Kehle zu, denn das war eindeutig die Benbow. Vor seinem inneren Auge tauchten Bilder auf. Wann war er selbst Konteradmiral gewesen? Vor drei Jahren in der Ostsee, als sein Neffe Adam Dritter Offizier und Herrick Flaggkapitan seines Schiffes gewesen war.

Von dem schweren, schwarzbraunen Rumpf wanderte sein Blick zu einer stammigen Brigg, die viel naher zu ihnen verankert war. Ungeduldig wartete er, bis sie in der sanften Brise an ihrem Ankertau herumgeschwojt war und die Sonne ihr vergoldetes Heck aufblitzen lie?. Dann erkannte er aufatmend ihren Namen: Lord Egmont. Sie war eines der altesten Falmouth-Frachtschiffe, und er hatte sie schon als Fahnrich gekannt. Mit ihrer Anwesenheit hatte er gerechnet, da ihr Name in seinen Instruktionen von der Admiralitat aufgetaucht war. Doch Wind und See oder der Feind hatten alles andern konnen. Und selbst jetzt noch.

Er setzte das Glas ab, und die Brigg verschwand wieder in der dunstigen Ferne.

Der Pulverdampf des Saluts hing noch uber den Rahen, als Matrosen herbeigepfiffen wurden, um die beiden Kutter zu Wasser zu lassen fur den Fall, da? der Wind fur die Wende am Ankerplatz nicht stark genug war. Ein Wachboot lag reglos im glitzernden Wasser; wahrscheinlich interessierte sich nur seine Besatzung fur ihre Ankunft. Kriegs — schiffe waren hier eine alltagliche Erscheinung, Aufmerksamkeit erregten nur die Truppentransporter und Postschiffe aus England.