Die beiden Schiffe trieben langsam und schwerfallig vom Geleitzug weg. Nun hatte Herrick eine Chance, die aber nicht besonders gro? war, es sei denn… Bolitho sah, wie mehrere Matrosen von einer Drehbasse niedergemaht wurden.
«Nehmen Sie das Schiff, Val! Geben Sie's nicht mehr frei!»
schrie Bolitho. Er merkte, da? Keen die Konsequenzen begriff, und fugte hinzu:»Ohne Rucksicht auf Verluste!«Dann hastete er mit dem Sabel in der Hand das SteuerbordSeitendeck entlang, gefolgt von Allday und Bankart. Er fand noch Zeit, sich zu fragen, warum Bankart sich nicht unter Deck verkrochen hatte.
«Mein Gott, sie sind schon an Bord!«rief Allday heiser.
Bolitho rief Page am Fockmast zu:»Raumen Sie das untere Batteriedeck! Alle Mann an Deck!»
Dann fand er sich am Steuerbord-Kranbalken wieder und sah diese Stelle bereits mit Leichen ubersat. Matrosen und Seesoldaten, Freunde und Feinde, suchten auf dem Bugspriet nach Halt oder rutschten an Stagen und Leinen herunter, um aufeinander loszugehen. Sie stie?en mit Bajonetten zu; andere hieben mit allem, was sie finden konnten, mit Pieken, Axten und Entermessern, auf die Franzosen ein; ein Kanonier schwang gar einen Ladestock wie eine Keule, bis er von einer Musketenkugel getroffen wurde und zwischen die knirschenden Rumpfe sturzte.
Vom Achterdeck aus sah Keen verzagt immer mehr feindliche Uniformen aus dem Rauch auftauchen, einige sogar schon auf dem Backbord-Seitendeck. Er fuhr herum, als Hogg, sein Bootsfuhrer, an Deck sturzte und hilfesuchend eine Hand ausstreckte, ehe das Licht in seinen Augen verlosch.
Sie starben alle, und nur wegen zweier Schiffe voll verdammtem Gold.
Er brullte:»Eroffnen Sie das Feuer mit den Neunpfun-dern, Mr. Valancey! Zielen Sie auf die Poop!»
Da — schwache Hochrufe! Mehr Manner schwarmten vom unteren Batteriedeck aus, angefuhrt von Leutnant Chaytor mit gezucktem Degen.
Die Neunpfunder ruckten an ihren Taljen binnenbords und feuerten Kartatschen in den Bauch. Keen sah einen Matrosen auf sich zurennen und stellte verdutzt fest, da? es sich um einen Feind handelte, einen einsamen Seemann, der vom Rest der Entermannschaft abgeschnitten worden war.
Keen sprang auf ihn los, obwohl er den Fremden nur wie durch einen Schleier von Schmerz und Wut sah. Hogg war tot, und Bolitho wurde bei der Fuhrung des Gegenangriffs bald fallen oder gefangen werden.
Der franzosische Matrose zielte mit einer Pistole auf Keen, aber der Hammer klickte leer. Er starrte die nutzlose Waffe wild an, warf sie weg und hob dann das Entermesser.
Er war jung und leichtfu?ig, rechnete aber nicht mit Keens Geschick. Dieser parierte die schwere Klinge, wahrend die Wucht des eigenen Schlages den Angreifer an ihm vorbeitaumeln lie?. So konnte Keen ihm ins Genick hacken, und als er schreiend sturzte, hieb er noch einmal zu.
Als er sich abwandte, fiel sein Blick aufs Vorschiff. Dort spielte sich die gra?lichste Szene von allen ab.
Der verwundete Kapitan Inch, nackt bis auf die Breches, eilte zum Backbord-Schanzkleid, und sein blutiger Armstumpf zuckte, als er mit der anderen Hand den Degen schwang und schrie:»Haltet stand, Manner der Helicon!«Muhsam rang er sich die Worte ab, der Wundschmerz lie? sie gepre?t klingen. Doch seine Stimme hob sich uber das Klirren der Waffen und die Schreie der Sterbenden:»Zu mir, Jungs! Verjagt die Enterer von unserer Helicon!»
Keen wischte sich mit dem Armel die Tranen aus den Augen.
«Mein Gott, er glaubt, wieder auf seinem eigenen Schiff zu sein!»
Lange konnte es nicht mehr dauern. Die dichtgedrangte, trampelnde Masse der Verteidiger wurde zuruckgedrangt, franzosische Enterer kampfen schon zwischen den Leichen auf dem Hauptdeck.
Ein unbewaffneter Midshipman hielt sich die Ohren zu und rannte wie von Sinnen auf einen Niedergang zu.
Das war Hext, sah Keen, einer der Jungsten an Bord. Als er das Luk erreichte, glitt er in einer Blutlache aus und fiel platt hin. Ein gro?er Franzose sprang mit langen Satzen auf ihn los und schwang schon das Entermesser. Der Junge drehte sich auf den Rucken und starrte ihn an. Er wehrte sich weder, noch flehte er um Gnade; er lag einfach da und wartete auf den Tod.
Doch Inch war zur Stelle, stie? dem Matrosen die Klinge in die Rippen und ri? ihn herum, wobei das Gewicht des Mannes ihm den Degen entwand. Der Seemann fiel neben Hext hin, und seine nackten Fu?e trommelten auf die Planken.
Keen sah eine Pike aus dem Rauch vorsto?en. Sie traf Inch im Rucken. Als er in die Knie brach, wurde die Pike herausgezogen und noch einmal in ihn hineingetrieben.
Auch Bolitho wurde Zeuge, wie Inch fiel. Uber die wankenden, erschopften Gestalten hob er den Blick zu Keen, der ihn anschaute. Einen Augenblick schien die Schlacht zu verstummen. Dann drangte sich das Gebrull wieder dazwischen. Bolitho fuhr herum und fand sich einem franzosischen Leutnant gegenuber.
Grimmig hieb er die Klinge des jungen Offiziers beiseite, packte ihn dann am Rockaufschlag und rammte ihm den Handschutz gegen den Unterkiefer. Der Leutnant torkelte zur Seite und schrie vor Entsetzen auf, als Alldays breites Entermesser herabzuckte wie ein Schatten vor der Sonne.
Allday ri? die Klinge aus dem Sterbenden und keuchte:»Wir konnen sie nicht aufhalten!»
Bolitho sah seine Manner zuruckweichen; sie selbst waren hier vorn abgeschnitten, denn auf beiden Seitendecks kampften schon Franzosen.
«Haltet aus, Leute!«schrie Bolitho. Ein Matrose fiel auf die Knie und versuchte, eine blitzende Klinge von sich abzuwehren. Dann sah er seine abgehackte Hand neben sich an Deck fallen und schrie auf. Bolitho machte einen Ausfall uber den Verwundeten hinweg und spurte zunachst Widerstand, doch dann glitt die Spitze seiner Waffe an dem Kreuz-bandelier des Franzosen ab und in seine Brust.
Er drehte sich um, wollte Matrosen und Seesoldaten um sich sammeln, sah dann aber einen riesigen Schatten uber die Rauchwolken ragen.
«Es geht langsseits!«krachzte Allday.»Noch so ein verdammtes Schiff!»
Einer der franzosischen Zweidecker mu?te sich freigekampft haben und seinem Admiral zu Hilfe gekommen sein.
Wilder Jubel klang auf. Bolitho sah, da? der Neuankommling den Besanmast verloren hatte. In seiner Bordwand brullten die Geschutze auf, und die Wucht ihres Rucksto?es ubertrug sich bis aufs Deck der Argonaute.
Es war unglaublich, ein Traum! Aber die strenge Galions-figur mit Brustpanzer und vorgerecktem Schwert lie? keinen Zweifel mehr zu: Das war die Admiral Benbow!
Unter Hochrufen und Geschrei sturmten Herricks Seesoldaten und Matrosen, die den Kampf um den Geleitzug offenbar gewonnen hatten, heruber wie eine Flutwelle.
Jah wurde Bolitho von der neugewonnenen Kraft der Argonauten vorangetragen und fiel beinahe ins strudelnde Wasser, als zwei Seeleute ihn grob packten und uber die Reling auf den Bugspriet hoben. Die Franzosen, von Ben-bows Mannern und Keens Besatzung in die Zange genommen, zogen sich bereits auf ihr eigenes Schiff zuruck, waren aber dem Feind gegenuber, der tiefer als sie stand, noch im Vorteil.
Bolitho horte Bouteiller brullen:»Seesoldaten, legt an!«Die Manner in den roten Rocken mochten benommen und wie von Sinnen sein, aber die vertraute Disziplin war starker als alles. Sie standen oder knieten auf dem gegenuberliegenden Seitendeck und hoben die Musketen wie ein Mann. Einer sank tot aus dem Glied, doch niemand zuckte mit der Wimper. Die Vergeltung kam spater. »Feuer!«brullte Bouteiller.
Die Salve fegte in die dichtgedrangten Enterer. Ehe sich die Uberlebenden von den Toten befreit hatten, griffen die Seesoldaten schon kreischend wie Damonen mit aufgepflanzten Bajonetten an.
Bolitho suchte auf dem breiten Bugspriet mit den Beinen Halt und starrte unglaubig auf das Deck unter sich, die Back der Leopard. Den Degen mit einer Schlinge am Handgelenk, lie? er sich hinunter.