Yovell kam herein, als der Midshipman verschwand.»Schlimm,

Sir.»

Herrick blickte auf die runden Schriftzuge nieder und den Platz, wo er unterschreiben sollte.

«Ich mochte meiner Frau eine Nachricht schicken, denn ich glaube kaum, da? ich heute an Land gehen kann.»

Er lauschte auf die Gerausche des Bootes, aber es hatte schon von der Benbow abgelegt.

Pascoe schritt durch die so- und sovielte Gasse. Ein steifer Wind blahte seinen Bootsumhang. Er kannte Portsmouth nicht besonders gut, aber der Offizier der Hafenwache hatte ihm erklart, wo das Lokal >The Grapes< lag. Er hatte ihm au?erdem geraten, diesem Hollenloch besser fernzubleiben. Pascoe hatte ihm gesagt, da? er sich mit einer Abteilung bewaffneter Seesoldaten in der Nahe des Lokals treffen wolle und hoffte, ein paar Rekruten einzufangen. Er war selber uberrascht gewesen, wie leicht ihm die Luge uber die Lippen kam. Der Offizier der Wache schien auch nicht weiter interessiert zu sein. Wer toricht genug war anzunehmen, da? er in Portsmouth noch Leute pressen konnte, mu?te schon mehr als ein Riesengluck haben.

Eine Gasse sah aus wie die andere: eng, schmutzig, aber nie ohne Leben. In Durchgangen und unter Torbogen, aus Fenstern oder unsichtbar horte man vielerlei Gerausche, Gelachter von Betrunkenen, Schreie und schreckliche Fluche. Als ob die elenden Hauser und nicht die Bewohner ihrem Herzen Luft machten.

Einmal streckte ein Madchen den Arm aus und beruhrte Pascoes Schulter, als er vorbeiging. Selbst in dem Halbdunkel konnte er erkennen, da? sie nicht alter als vierzehn oder funfzehn war. Pascoe stie? sie weg und horte darauf ihre schrille Stimme, die ihn noch um die nachste Ecke verfolgte.»Verdammter Mistkerl! Hoffentlich schie?en sie dir die Gedarme aus deinem dreckigen Leib!»

Auf einmal war er am Ziel: ein wuchtiges, dusteres Gebaude, beid-seits von kleineren Hausern flankiert, die Stra?e davor voller Dreck und wie eine Kloake stinkend.

Pascoe war von zu Hause Armut gewohnt, und auch als Midship-man hatte er genug Not und Elend erlebt. Aber dieser widerliche Unrat mu?te nicht sein und war abscheulich, dachte er. Er schaute zu einem halb abgeblatterten Schild uber dem Haupteingang empor und fuhlte dabei, wie der Regen auf sein Gesicht prasselte: >The Grapes.<

Er lockerte seinen Marinedolch unter dem Umhang und pochte dann mit der Faust an die Tur. Eine Klappe offnete sich so schnell, da? es schien, der Mann dahinter habe auf ihn gewartet.

«Wer ist da?«Zwei wei?e Augapfel blickten suchend uber Pascoes Schultern und senkten sich erst, als sie dahinter weder bewaffnete Seeleute noch Seesoldaten entdeckten.»Ein junger Herr und allein?»

Schon der naselnde Tonfall des Mannes verursachte Pascoe Ubelkeit.

«Sie sind wohl stumm, he? Na schon, wir werden schon was Passendes fur Sie finden.»

Die Klappe wurde zugeschlagen, aber Sekunden spater offnete sich die gro?e Tur, und Pascoe trat ein. Es war, als wurde er hineingezogen und erstickt.

Fruher mu?te es ein schones Haus gewesen sein, dachte er. Eine breite Treppe, jetzt bruchig und verstaubt, fuhrte nach oben. Uberall Teppiche, die einmal dick und farbenprachtig gewesen sein mochten, jetzt aber abgewetzt und voller Flecken und Locher waren. Wahrscheinlich hatte das Haus einem wohlhabenden Kaufmann gehort, als Portsmouth noch ein lebhafter Handelsplatz gewesen war und noch nicht von Franzosen und Kaperschiffen geplagt wurde.

Ein machtiges Frauenzimmer trat aus einem Nebenraum. Sie war nicht nur gro?, sondern auch muskulos und bar jeder Weiblichkeit. Selbst ihr hochgeturmtes Haar und der feuerrot geschminkte Mund lie?en sie eher wie einen Ackerknecht wirken, der sich zur Kirmes herausgeputzt hatte.

Der Portier sagte unterwurfig:»Ein Offizier, Ma'am!»

Ihre tiefliegenden Augen musterten Pascoes Gesicht und schienen ihn — wie das Haus — zu verschlingen. Er sah die Haut auf ihrem halbentblo?ten Busen und fuhlte ihre Macht. Er konnte sie sogar riechen: eine Mischung aus Gin und Schwei?.

«Sind Sie von einem Pre?kommando, junger Freund?«Sie fa?te ihn unter das Kinn und sah ihn forschend an.»Bist ein hubscher Junge. Nein, du willst dich selber ein wenig vergnugen, stimmt's?»

Pascoe sagte vorsichtig:»Ich glaube, ein Mann von unserem Schiff verbirgt sich hier. «Er sah ihre Augen gefahrlich aufblitzen und fugte schnell hinzu:»Ich mochte kein Aufsehen. Wenn ich ihn zum Schiff zuruckbringen kann, hat er nichts zu befurchten.»

Sie schuttelte sich vor Lachen, bis es schlie?lich wie Gebrull aus ihr herausbrach.

«Nichts zu befurchten! Das ist verdammt gut! Ist 's das nicht, Charlie?»

Der Portier kicherte unsicher.»Ja, Ma'am. «Pascoe stand ganz still, als die Frau seinen Umhang loste und ihm von den Schultern nahm.

«Ich habe zwei nette Madchen fur Sie, Leutnant. «Aber es klang unsicher, als ob sie beeindruckt sei.

Pascoe legte die Linke auf seinen Dolch und zog ihn langsam aus der Scheide. Ihre Augen blieben dabei fest auf seine gerichtet, und er wu?te, da? es rundherum Zuschauer gab, bereit, ihn niederzuschlagen, wenn er seinen Dolch zu benutzen versuchte.

Er drehte ihn in der Hand und hielt ihn ihr mit dem Griff nach vorn entgegen.

«Sehen Sie, ich bin jetzt unbewaffnet.»

Sie warf die Klinge achtlos dem glotzaugigen Portier zu und sagte:»Komm mit, Liebling, und trink ein Glas Genever, wahrend ich nachdenke. Dieser Mann, dem du zu helfen versuchst, «sie konnte ein Lacheln nicht unterdrucken,»wie hei?t er?»

«Babbage.»

«Und Sie sind Mr.?»

Eine schmutzige Madchenhand tauchte aus dem Dunkel auf und reicht Pascoe ein Glas Gin. Er sagte:»Pascoe, Ma'am.«»Verdammt, ich glaube Ihnen sogar.»

Sie ging aus dem Raum.»Bleib hier, Liebling. Ich sage nicht, da? ich den Mann kenne. Aber wenn er hier ist, ohne da? ich davon wu?te, werde ich ihm selbstverstandlich Ihr Anliegen vortragen. «Sie drehte sich noch einmal um und sah ihn gerade an.»Keine Angst, hubscher Junge. Er wird nicht wegrennen, wenn ich es ihm nicht befehle.»

Es war warm in dem muffig riechenden Raum, und doch empfand Pascoe den Schwei? auf seinem Rucken als eiskalt. War das Ganze nicht nur eine dumme, verruckte Geste? Und wofur eigentlich? Um Penels zu helfen, oder um sich selber etwas zu beweisen? Sein Dolch war futsch, und jeden Augenblick konnte er uberwaltigt und allein schon seiner Kleider wegen getotet werden.

Wahrend er wartete, wurde er das ubrige Haus gewahr. Er horte unterdruckte Gerausche und gedampfte Stimmen. Jeder Raum schien besetzt zu sein.

Er musterte das Madchen, da? immer noch die irdene Ginflasche an die Brust gepre?t hielt. Es hatte dunkel umrandete Augen und war spindeldurr und abgeharmt, wahrscheinlich zu allem Elend auch noch krank. Die Kleine fing seinen Blick auf und lachelte, wobei sie ihr schabiges Kleid von einer Schulter rutschen lie?. Dadurch sah sie eher mitleiderregend als herausfordernd aus.

Eine Tur im oberen Stockwerk sprang auf, und verargerte Mannerstimmen erklangen.

Pascoe verlie? den Raum und schaute die Treppe hinauf. Oben standen drei Manner, und an der Mauer kauerte ein vierter: Babbage.

Der Gro?te der drei zeigte auf Pascoe und bellte:»Ist er das?»

Pascoe bemerkte, da? der Gro?e die wei?e Kniehose und das Hemd eines Marineoffiziers trug. Wahrscheinlich war er gerade bei seinem Vergnugen gestort worden. Wie auch immer: es beruhigte ihn zu wissen, da? er hier nicht vollig allein war.

Babbage sagte:»Ja, Sir. Das ist Mr. Pascoe.»

Der Mann kam langsam die Treppe herunter. Er war kraftig gebaut und mochte Mitte Zwanzig sein, hatte dickes lockiges Haar und ein hartes, herausforderndes Gesicht.

«Na schon. «Er hielt am Fu? der Treppe an und schaukelte auf den Absatzen vor und zuruck.»Ich wollte Sie schon immer mal kennenlernen, Mr. Pascoe, aber da? Sie derart vom Himmel fallen wurden, hatte ich nicht gedacht.»

«Ich verstehe nicht.»