Trotzdem war es notig gewesen, da? drei Leute ausgepeitscht wurden, nachdem Herrick die entsprechenden Kriegsartikel verlesen hatte, wahrend das Schiff sich durch Wellentaler und gegen uberkommende Brecher nordwarts vorkampfte.

Bolitho war der Bestrafung ferngeblieben. Sogar das zahlte nicht mehr zu seinen Angelegenheiten. Er marschierte in seiner Kajute auf und ab und horte dabei das gleichma?ige Klatschen der» Neun-schwanzigen «auf nacktem Rucken, begleitet vom dumpfen Trommelschlag des Spielmanns, der zur Prozedur dazugehorte.

Aber dann, ganz plotzlich, flaute der Wind leicht ab, und kleine blaue Flecken tauchten zwischen den Wolkenbergen auf.

Seeleute und Soldaten hielten inne, um nach oben zu schauen und tief Luft zu holen. Warmes Essen wurde durch die Decks getragen, als hatten sie eine kurze Gefechtspause oder als wolle der Smutje es nicht glauben, da? er seine Kombuse langere Zeit benutzen konnte.

Bolitho ging kurz vor Mittag an Deck und spurte den Unterschied. Die Midshipmen zeigten angemessen ausdruckslose Gesichter, als der Master und seine Steuermannsmaate ihre Bemuhungen uberwachten, mit Hilfe des Sextanten die Mittagsbreite zu bestimmen. Die Manner hoch oben uber Deck klammerten sich nicht mehr so krampfhaft an bebende Stengen oder Wanten, sondern bewegten sich bei ihren verschiedenen Arbeiten leicht und sicher. Der Erste Offizier fuhrte eine kleine Prozession von Fachleuten an, die den Backbord-Laufgang herunterkamen und nach allem schauten, was eine Reparatur, einen Schlag Farbe oder einen Splei? benotigte. In seinem Gefolge befanden sich Drodge, der Stuckmeister, Big Tom Swale, der fast zahnlose Oberbootsmann, Tregoye, der Schiffszimmermann, und einige ihrer Maate.

Am vorderen Niedergang stand Purvis Spreat, der Zahlmeister der Benbow, im vertraulichen Gesprach mit Manley, dem Funften Offizier. Ging es um mehr Lebensmittel fur die Offiziersmesse? War zuviel Madeira verbraucht worden? Irgend so etwas wurde es sein. Spreat sah wie ein typischer Zahlmeister aus, dachte Bolitho. Verschlagen, mi?trauisch, gerade ehrlich genug, um nirgendwo anzusto?en. Er hatte jeden Mann an Bord zu ernahren, zu kleiden und mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen, ungeachtet, ob das Wetter schlecht oder die Navigation mangelhaft war.

Die Seesoldaten standen in zwei scharlachroten Reihen, die — den Schiffsbewegungen folgend — hin und her pendelten. Bolitho beobachtete sie, versuchte, Namen mit Gesichtern in Ubereinstimmung zu bringen, das Plus oder Minus ihrer Fahigkeiten zu beurteilen. Major Clinton schritt mit Leutnant Marston, seinem Gehilfen, langsam die Front ab und horte sich dabei an, was Sergeant Rombilow ihm uber jeden Mann und seine Funktion an Bord zu sagen hatte.

Seesoldaten waren eine seltsame Rasse, dachte Bolitho. Sie waren genauso eng in den dicken Bauch der Benbow hineingepfercht wie die Seeleute, aber doch ganz anders in ihrer Haltung. Bolitho hatte sie in Amerika wahrend der Revolution erlebt. Damals war er noch ein junger Leutnant gewesen, der die ersten Schritte auf ein eigenes Kommando hin wagte. Ob dort oder im Mittelmeer, in der Karibik oder in Ostindien, uberall hatten sich die Seesoldaten durch ihre Zuverlassigkeit bewahrt.

Bolitho sah, wie die Nachmittagswache sich vor dem Achterdeck versammelte und auf die Ubernahme des Schiffes fur die nachsten vier Stunden vorbereitete. Hier und da kaute noch einer an der ersten guten, warmen Mahlzeit seit Tagen. Einige Augenpaare musterten den Himmel mit prufendem Blick oder — soweit es neue Leute waren — mit offensichtlicher Erleichterung.

Die meisten aber warfen ihrem Admiral verstohlene Blicke zu, der ruhelos auf der Luvseite des Achterdecks auf und ab ging. Wenn Bo-litho sich ihnen zuwandte, schauten sie schnell weg. Es war das ubliche: Neugier, Interesse, Ablehnung. Bolitho wu?te aus Erfahrung, da? er es sich erst verdienen mu?te, wenn er mehr von ihnen erwartete.

Er horte Pascoes Stimme, als er nach achtern kam und seinen Hut vor Speke, dem Zweiten Offizier, den er ablosen wollte, luftete.

«Die Wache ist angetreten, Sir.»

Druben, auf den anderen Schiffen, spielte sich jetzt das gleiche ab. Routine und Tradition. Wie ein gut eingeubtes Theaterstuck, in dem jeder bei vielen Gelegenheiten jede Rolle gespielt hatte und jedes Wort auswendig wu?te.

Die beiden Offiziere pruften den Kompa?, das Logbuch, den Stand der Segel, wahrend die anderen Mitspieler sich zu ihren Platzen bewegten: die Ruderganger, der Quartermaster, der Midshipman der Wache. Bolitho runzelte die Stirn. Wie hie? er doch noch? Penels, ja, das war der Name. Der Jungste an Bord. Gerade zwolf Jahre alt und aus Cornwall. Ein Cornishman. Er lachelte. Kaum schon ein Mann.

«Ubergeben Sie das Ruder, bitte!»

Acht Glockenschlage klangen vom Vorschiff heruber, und die Manner von der Vormittagswache eilten in ihre Wohnraume zu einer guten Mahlzeit und einem kraftigen Schluck.

Bolitho kam uber das Achterdeck und sagte:»Du siehst gut aus, Adam.»

Sie entfernten sich vom Doppelrad und den drei Rudergangern und gingen Seite an Seite zu den Luv-Netzen.

«Danke, Sir. «Pascoe warf ihm einen Seitenblick zu.»Du auch, Onkel.»

Als Bolitho schlie?lich seine Taschenuhr herausholte, stellte er fest, da? er sich eine volle Stunde mit seinem Neffen unterhalten hatte. Es schienen nur Minuten gewesen zu sein. Und doch hatten sie ein Bild heraufbeschworen, das sich betrachtlich von dem unterschied, das sie umgab. Nicht Meer und Himmel, Gischt und pralle Segel, sondern Landwege, niedrige Bauernhauser und der graue Klotz von Pendennis Castle.

Pascoe war sehr gebraunt, fast so dunkel wie ein Zigeuner.

Bolitho sagte:»Unser Geschwader wird sich bald zerstreuen. Aber vielleicht konnen wir hier auch mal den Fu? an Land setzen. Deswegen konnte ich den Blockadedienst in der Biskaya nicht ausstehen. Unsere Landsleute bekommen feuchte Augen, wenn sie von >unserem holzernen Schutzwall< sprechen, von den sturmerprobten Schiffern, die Frankreichs Flotte in ihre Hafen eingeschlossen haben. Sie wurden sich weniger enthusiastisch au?ern, wenn sie wu?ten, welche Holle da an Bord sein kann.»

Midshipman Penels rief aufgeregt:»Signal von Styx, Sir. «Er blickte Pascoe auffordernd an.»Mann uber Bord, Sir.»

«Verstanden. Ich werde es sofort dem Kommandanten melden.»

Bolitho beobachtete, wie sich der Umri? der Fregatte verkurzte, als sie in den Wind drehte, wobei ihre Segel killten oder backschlugen. Hoffentlich bekam sie ihr Boot am Heck schnell genug zu Wasser, um den Unglucklichen zu retten.

Er beobachtete Pascoes Gesicht, der das schnelle Manover der Fregatte verfolgte. Au?erdem dachte er an John Neale, ihren Kommandanten. Er war in Penels Alter gewesen, als die Meuterei an Bord seiner Phalarope ausbrach, damals wahrend der amerikanischen Revolution. Ein kleiner, rundlicher Junge, er sah ihn deutlich vor sich. Heute konnte er sogar daruber lachen, wie er und Herrick den nackten Midshipman mit ranziger Butter eingeschmiert hatten, um ihn durch das Luftungsrohr schieben zu konnen. Die Meuterer hatten sie eingesperrt, und er sollte Hilfe herbeiholen. Es war ein hartes Stuck Arbeit gewesen.

Jetzt diente Neale als Kommandant, und es war klar, was Pascoe dachte, als er durch das Glas beobachtete, wie jener sein Schiff handhabte. Bolitho sagte ruhig:»Sobald es geht, Adam. Ich tue, was ich kann. Du hast es verdient.»

Pascoe sah ihn erstaunt an.»Du hast es erraten, Onkel?»

Bolitho lachelte.»Ich war auch mal Kommandant einer Fregatte, Adam. Das vergi?t man nie.»

Er schaute zu seiner Konteradmiralsflagge empor, die vom Besan-mast kraftig auswehte.»Auch wenn es einem weggenommen ist.»

«Vielen Dank«, rief Pascoe aus.»Ich mochte zwar gern bei dir bleiben, das wei?t du. Aber ich verliere zu viel Zeit auf einem Linienschiff.»

Bolitho sah Ozzard auf dem Achterdeck herankommen, die dunne Gestalt gegen den feuchten Wind zusammengekrummt. Es war Zeit zum Essen.