»Ich glaube, er wei? gar nicht mehr, welchen Tag wir eigentlich haben, wo er doch standig auf der Flucht ist«, sagte Ron.»Ihm war nicht klar, da? heute Halloween ist. Sonst ware er hier reingeplatzt.«

Hermine schauderte.

Um sie her erklang immer wieder die eine Frage:»Wie ist er hereingekommen?«

»Vielleicht wei? er, wie man appariert«, sagte ein Ravenclaw in der Nahe.»Einfach aus dem Nichts auftaucht, wi?t ihr.«

»Hat sich wahrscheinlich verkleidet«, sagte ein Funftkla?ler aus Hufflepuff.

»Er konnte reingeflogen sein«, schlug Dean Thomas vor.

»Also ehrlich mal«, sagte Hermine entrustet zu Harry und Ron,»bin ich denn die Einzige, die Eine Geschichte von Hogwarts gelesen hat?«

»Kann schon sein«, sagte Ron.»Wieso?«

»Weil das Schlo? nicht allein durch Mauern geschutzt ist, wie ihr eigentlich wissen solltet«, sagte Hermine.»Es ist mit allen moglichen Zauberbannen und Fluchen umgeben, damit niemand heimlich reinkommt. Hier kann man nicht einfach reinapparieren. Und die Tarnung, mit der man diese Dementoren tauschen kann, mocht ich gern mal sehen. Die bewachen doch jeden Eingang auf dem Gelande. Die hatten ihn auch reinfliegen sehen. Und Filch kennt alle Geheimgange. Auch die werden sie bewachen…«

»Wir loschen jetzt die Lichter!«, rief Percy.»Alle in die Schlafsacke und kein Getuschel mehr!«

Gleich darauf gingen die Kerzen aus. Das einzige Licht kam jetzt noch von den silbern schimmernden Geistern, die umherschwebten und in ernstem Ton mit den Vertrauensschulern sprachen, und von der verzauberten Decke, die wie der Himmel drau?en von Sternen ubersat war. Dies und das Gefluster, das immer noch die Halle erfullte, gab Harry das Gefuhl, bei einer leichten Brise unter freiem Himmel zu schlafen.

Stundlich erschien ein Lehrer, um nachzusehen, ob alles ruhig war. Gegen drei Uhr morgens, als viele Schuler endlich eingeschlafen waren, kam Professor Dumbledore herein. Harry beobachtete, wie er nach Percy suchte, der zwischen den Schlafsacken umherstreifte und alle tadelte, die sich noch unterhielten. Percy war nicht weit von Harry, Ron und Hermine entfernt; jetzt horten sie Dumbledore naher kommen und taten schleunigst so, als wurden sie schlafen.

»Irgendeine Spur von ihm, Professor?«, flusterte Percy.

»Nein. Alles in Ordnung hier?«

»Alles unter Kontrolle, Sir.«

»Gut. Es hat keinen Zweck, sie jetzt aufzuscheuchen. Fur das Portratloch oben bei den Gryffindors habe ich vorubergehend einen anderen Wachter gefunden. Morgen konnen sie wieder nach oben.«

»Und die fette Dame, Sir?«

»Versteckt sich oben im zweiten Stock auf einer Landkarte von Argyllshire. Sie hat sich offenbar geweigert, Black ohne Pa?wort einzulassen, deshalb hat er sie attackiert. Sie ist immer noch ziemlich durcheinander, aber sobald sie sich beruhigt hat, werde ich Filch anweisen, sie zu restaurieren.«

Harry horte, wie die Tur zur Halle quietschend aufging und jemand eintrat.

»Direktor?«Das war Snape. Harry hielt den Atem an und lauschte angestrengt.»Wir haben den gesamten dritten Stock durchsucht. Keine Spur von ihm. Und Filch war in den Kerkern; dort ist er auch nicht.«

»Was ist mit dem Astronomieturm? Das Zimmer von Professor Trelawney? Die Eulerei?«

»Alles durchsucht…«

»Na gut, Severus. Ich hatte ohnehin nicht erwartet, da? Black lange trodelt.«

»Haben Sie eine Idee, wie er hereingekommen ist?«, fragte Snape.

Harry hob sachte den Kopf vom Arm, um auch mit dem anderen Ohr horen zu konnen.

»Einige, Severus, und eine unsinniger als die andere.«

Harry offnete einen winzigen Schlitzbreit die Augen und spahte zu den dreien empor; Dumbledore kehrte ihm den Rucken zu, doch er konnte Percys atemlos gespannte Miene und Snapes zornerfulltes Profil sehen.

»Sie erinnern sich an das Gesprach, das wir hatten, Direktor, kurz vor – ahm – Beginn des Schuljahres?«, sagte Snape durch zusammengepresste Lippen, als ob er Percy aus dem Gesprach ausschlie?en wollte.

»In der Tat, Severus«, sagte Dumbledore, und etwas Warnendes lag in seiner Stimme.

»Es scheint – fast unmoglich – da? Black ohne Hilfe aus dem Schlo? hereingekommen ist. Ich habe damals wegen dieser Stellenbesetzung meine Vorbehalte zum Ausdruck gebracht -«

»Ich glaube nicht, da? auch nur ein Einziger hier im Schlo? Black geholfen hat«, sagte Dumbledore, und sein Tonfall zeigte unmi?verstandlich, da? er das Thema fur abgeschlossen hielt, so da? Snape nicht antwortete.»Ich mu? runter zu den Dementoren«, sagte Dumbledore.»Ich sagte, ich wurde ihnen berichten, wenn die Suche beendet ist.«

»Wollten die nicht helfen, Sir?«, sagte Percy.

»O doch«, sagte Dumbledore kuhl.»Aber solange ich hier Schulleiter bin, kommt kein Dementor uber die Schwelle dieses Schlosses.«

Percy schien ein wenig verdutzt. Rasch und leise ging Dumbledore hinaus. Snape stand einen Moment schweigend da und blickte dem Schulleiter mit einem Ausdruck tiefen Widerwillens nach, dann verlie? auch er die Halle.

Harry linste aus den Augenwinkeln zu Ron und Hermine hinuber. Beide lagen mit offenen Augen da, und in ihnen spiegelte sich das Sternengewolbe.

»Worum ging es da eigentlich?«, hauchte Ron.

Wahrend der nachsten Tage sprachen sie in der Schule uber nichts anderes. Immer abstruser wurden die Theorien daruber, wie Sirius Black in das Schlo? eingedrungen sein konnte. Hannah Abbott von den Hufflepuffs erzahlte in der nachsten Stunde Krauterkunde jedem, der es horen wollte, da? Black sich in einen bluhenden Busch verwandeln konne.

Das zerschlitzte Gemalde der fetten Dame wurde von der Wand genommen und durch das Portrat Sir Cadogans und seines fetten grauen Ponys ersetzt. Damit war niemand so recht zufrieden. Sir Cadogan forderte sie standig zu Duellenheraus oder dachte sich lacherlich komplizierte Pa?worter aus, die er mindestens zweimal am Tag anderte.

»Der ist doch komplett verruckt«, sagte Seamus Finnigan wutend zu Percy.»Konnen wir keinen anderen kriegen?«

»Keines von den anderen Bildern wollte den Job haben«, sagte Percy.»Angst wegen der Geschichte mit der fetten Dame. Sir Cadogan war der Einzige, der mutig genug war und sich freiwillig meldete.«

Sir Cadogan jedoch war Harrys geringste Sorge. Man bewachte ihn jetzt auf Schritt und Tritt. Lehrer begleiteten ihn unter irgendwelchen Vorwanden durch die Korridore und Percy Weasley (auf Anweisung seiner Mutter, wie Harry argwohnte) folgte ihm uberallhin wie ein au?erst wichtigtuerischer Leibwachter. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, bestellte Professor McGonagall Harry mit einem derart dusteren Gesichtsausdruck in ihr Buro, da? er glaubte, jemand ware gestorben.

»Es hat keinen Zweck, es Ihnen langer zu verheimlichen, Potter«, sagte sie in sehr ernstem Ton.»Ich wei?, das wird ein Schock fur Sie sein, aber Sirius Black -«

»Ich wei?, da? er hinter mir her ist«, sagte Harry genervt.»Ich habe mitbekommen, wie sich Rons Eltern daruber unterhalten haben. Mr Weasley arbeitet fur das Zaubereiministerium.«

Professor McGonagall schien es die Sprache verschlagen zu haben. Sie starrte Harry eine ganze Weile an, dann sagte sie:

»Ich verstehe! Gut, wenn das so ist, Potter, werden Sie einsehen, warum ich es nicht fur gut halte, wenn Sie abends Quidditch trainieren – drau?en auf dem Spielfeld, nur mit den anderen aus dem Team, das ist ziemlich gefahrlich, Potter -«

»Am Samstag haben wir unser erstes Spiel!«, sagte Harry emport.»Ich mu? trainieren, Professor!«

Professor McGonagall musterte ihn nachdenklich. Harry wu?te, da? ihr die Zukunft des Gryffindor-Teams keineswegs gleichgultig war; schlie?lich war sie es gewesen, die ihn als Sucher vorgeschlagen hatte. Er wartete mit angehaltenem Atem.

»Hm…«Professor McGonagall stand auf und blickte aus dem Fenster hinuber zum Spielfeld, das durch den Regen hindurch gerade noch zu sehen war.»Nun… soll mich der Teufel holen, ich will, da? wir endlich mal den Pokal gewinnen… und trotzdem, Potter… mir ware wohler, wenn ein Lehrer dabei ware. Ich werde Madam Hooch bitten, ihr Training zu beaufsichtigen.«