III Die Athen

Kurs Sudwest und dann Sud, tagaus, tagein, unter fast pausenloser, knochenbrechender Arbeit. Endlich war die schwere, unbeholfene Gorgon aus dem engen, schwierigen Armelkanal heraus und nahm Kurs auf die beruchtigte Biskaya. Wahrend dieser Zeit schlossen sich Bolitho und seine neuen Kameraden enger aneinander. Sie brauchten ihre vereinte Kraft, nicht nur im Kampf gegen die See, sondern auch, um sich innerhalb des Schiffs zu behaupten. Bolitho hatte einmal gehort, wie Turnbull, der Segelmeister, schwor, das sei fur diese Jahreszeit das schlechteste Wetter, an das er sich erinnern konnte; und wenn das jemand sagte, der einige drei?ig Winter bei der Koniglichen Flotte verbracht hatte, so war das eine ernst zu nehmende Feststellung. Besonders jetzt, da Bolithos vorubergehende Arbeit in der Kapitanskajute zu Ende war. Marracks Arm, den er sich bei jenem ersten Sturm verletzt hatte, war geheilt, und er tat wieder Dienst als Hilfs-Kapitansschreiber. Und so hingen Bolitho und Dancer wieder zusammen im Vormast, sobald» Alle Mann «gepfiffen wurde, um Segel zu setzen oder zu reffen.

Wenn Bolitho ausnahmsweise Zeit fand, uber sein Leben auf dem neuen Schiff nachzudenken, dann hatte er dabei eher seinen korperlichen als seinen seelischen Zustand im Sinn. Standig verspurte er Hunger. Alle Knochen und Muskeln schmerzten vom ewigen Aufentern oder von der Schinderei bei der Geschutzausbildung an den schweren Zweiund-drei?igpfundern der unteren Batterie. See und Wind hatten sich etwas beruhigt, das Schiff zog unter fast vollen Segeln seinen Kurs nach Suden. Jetzt war die Mannschaft vorwiegend unter Deck beschaftigt und schwitzte Blut und Wasser beim Drill an den schweren, unhandlichen Kanonen. Da? es im unteren Geschutzdeck am allerschlimmsten war, lag zu einem erheblichen Teil an dem Leutnant, der dort das Kommando hatte.

Grenfell, der dienstalteste Midshipman, hatte Bolitho bereits vor diesem gewarnt; und als aus langen Tagen noch langere Wochen wurden und das Schiff seinen Schnabel zwischen Madeira und der marokkanischen Kuste hindurchschob, die beide nicht einmal der Ausguck im Mastkorb zu sehen bekam, erhielt der Name des Vierten Leutnants, Mr. Piers Tergorren, des Beherrschers der vierundzwanzig schwersten Geschutze an Bord, eine neue und ganz besondere Bedeutung.

Der Vierte war ein Mann von massivem Korperbau, mit schwarzlichem Kinn und strahnigem Haar, das eher zu einem Zigeuner oder Spanier gepa?t hatte als zu einem britischen Seeoffizier. Die Decksbalken uber dem dusteren Geschutzraum waren so niedrig, da? Tergorren standig in die Knie gehen mu?te, wenn er nach vorn oder achtern schritt, um das Laden und Ausrennen jedes einzelnen Geschutzes zu kontrollieren. Er war gro?, kraftig, aggressiv und hatte keine Geduld ein harter und schwieriger Vorgesetzter. Selbst Dancer, der sich die gro?te Muhe gab, nicht aufzufallen, der uberma?ige Anstrengungen zu vermeiden wu?te und seine Krafte in der Hauptsache furs Essen und Schlafen aufsparte, hatte gemerkt, da? Tergorren einen Piek auf Bolitho hatte. Das war seltsam, dachte Bolitho, denn auch Tergorren stammte aus Cornwall, und zwischen engeren Landsleuten bestand gewohnlich eine Bindung, die sogar die Wunden und Beulen der Disziplin vertragen konnte.

Infolge dieser Abneigung des Leutnants hatte Bolitho bereits dreimal Extradienst machen mussen, und bei einer anderen Gelegenheit war er bei schwerem Wind in die Vormastsaling geschickt worden und mu?te so lange oben bleiben, bis der Wachoffizier ihn wieder abentern lie?. Aber diese Bestrafung, so hart und unfair sie sicherlich war, brachte eine andere Seite des Lebens auf See an den Tag: der junge Eden kam mit einem Topf Honig, den ihm seine Mutter mitgegeben hatte und den er fur eine besondere Gelegenheit aufhob. Tom Jehan, der Stuckmeister, ein rechtes Ekel von Deckoffizier, der hinter dem Wandschirm hauste und nur selten geruhte, mit einem lumpigen Midshipman zu reden, brachte einen gro?en Becher Brandy aus seinen Privatbestanden, damit Bolitho wieder etwas Leben in seine froststarren Glieder bekame.

Noch schwereren Zoll forderte das harte, endlose Exerzieren an Segeln und Geschutzen. Vor Gibraltar fielen zwei Mann uber Bord und ertranken, und ein dritter sturzte von der Gro?rah, brach sich das Ruckgrat an einem Achtzehnpfunder und starb. Sein Leichnam wurde in seine Hangematte genaht, mit einer Kanonenkugel beschwert und, wahrend die Gorgon in einer steifen Nordostbrise krangte, dem Meer ubergeben — eine kurze, aber fur die Neuen herzbewegende Zeremonie.

Und wie Risse im Metall zeigten sich weitere Folgen der standigen Uberanstrengung. Es gab Streit unter den Matrosen, manchmal harmlos, manchmal weniger harmlos. Ein Mann war auf den Bootsmannsmaat losgegangen, der ihn zum drittenmal in einer Wache in die Takelung schickte, um ein durch-gescheuertes Tau zu splei?en. Die Folge war, da? er zur Bestrafung nach achtern gebracht wurde.

Bolitho war zwolfeinhalb gewesen, als er zum erstenmal eine Auspeitschung mitansah. Er hatte sich nie an den Anblick gewohnen konnen, aber er wu?te wenigstens, wie es dabei zuging. Die neuen jungeren Midshipmen wu?ten das nicht.

Zuerst wurde gepfiffen:»Alle Mann achteraus zum Strafvollzug!«Dann wurde bei der Gangway eine Grating angeschlagen; inzwischen marschierten die Seesoldaten querschiffs uber die Kampanje, und ihre scharlachroten Rocke mit den wei?en Koppeln und gekreuzten Schulterriemen hoben sich scharf gegen den dunkelgrau verhangenen Himmel ab. Aus allen Niedergangen, aus jedem Winkel quoll die Mannschaft hervor, bis das Deck, die Wanten und sogar die Bootsgestelle dicht mit stummen Zuschauern besetzt waren.

Und dann schritt die kleine Prozession auf gewundenem Weg zu der angeschlagenen Grating. Voran Hoggett, der Bootsmann, und Beedle, der finstere Waffenmeister, dann Bunn, der Schiffsprofo?, mit dem Delinquenten; der Schiffsarzt Doktor Laidlaw machte den Schlu?. Auf dem Achterdeck, dessen ausgebleichte Planken mit Schaum und Spruhwasser getupfelt waren, nahmen die Offiziere und Deckoffiziere, je nach Rang und Wurden, ihre Platze ein. In Lee, etwas abseits, bildeten die zwolf Midshipmen eine kurze Doppelreihe.

Der Oberkorper des Delinquenten wurde entblo?t, dann band man ihn an der Grating fest. Sein muskuloser Rucken hob sich bleich vom geschrubbten Holz ab, das Gesicht war nicht zu sehen. Ernst und gemessen verlas der Kapitan die betreffenden Kriegsartikel und schlo? mit dem Befehl:»Zwei Dutzend, Mr. Hoggett.»

Und so wurde, unter dem Stakkatowirbel eines einzelnen Trommlers, der wahrend des ganzen Vorgangs starr nach oben in die Hauptrahe blickte, die Strafe vollzogen.

Der Bootmannsmaat, der die neunschwanzige Katze schwang, war von Natur aus kein brutaler Mensch. Aber er war von machtigem Korperbau, und sein Arm war wie ein Eichenast. Au?erdem wu?te er genau, da? er sich, wenn er den Unglucksvogel schonte, moglicherweise an dessen Platz wiederfinden konnte. Nach acht Schlagen war der Rucken des Matrosen eine blutige Masse. Nach einem Dutzend war er kaum noch als eines Menschen Rucken zu erkennen. Und so ging es weiter. Immer ein kurzer Trommelwirbel, und gleich darauf das Klatschen der Peitsche auf dem nackten Rucken.

Eden, der jungste Midshipman, wurde ohnmachtig, und der zweitjungste, ein bleichgesichtiger Knabe namens Knibb, brach in Tranen aus; die anderen Midshipmen und nicht wenige der zuschauenden Matrosen waren starr und steif und stumm vor Entsetzen.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Hoggett mit heiserer Stimme rief:»Zwei Dutzend, Sir!»

Bolitho bemuhte sich, sehr langsam und tief ein- und auszuatmen, wahrend der Mann von der Grating geschnitten wurde. Sein Rucken war zerfetzt wie von den Klauen eines Raubtieres, die Haut, soweit sie nicht aufgerissen war, schwarz von der Wucht der Peitschenschlage. Er hatte nicht ein einziges Mal geschrien, und einen Augenblick hatte Bolitho gedacht, er sei unter der Peitsche gestorben. Aber der Schiffsarzt zwangte die Kiefer des Mannes auseinander, nahm den Lederriemen heraus, auf den er gebissen hatte, und meldete:»Ohnmachtig, Sir.»