XVIII Zwei tapfere Manner

Als Bolitho auf das feindliche Vorderkastell sprang, hatte der Bugspriet der Hyperion Enternetze und Wanten des Franzosen durchsto?en und ragte wie die Lanze eines Riesen uber den Steuerborddecksgang. Er sah sich nach den zum Sprung geduckten Matrosen und Marine-Infanteristen um.»Hinuber mit euch, Jungs!«rief er. Und dann, als beide Rumpfe kollidierten, sprang er von einem Kranbalken ab, teilte mit wilden Degenhieben die Netze und suchte wankend nach einem Halt fur seine Fu?e.

Auf der anderen Seite leistete die entmastete, steuerlose Zenith immer noch verbissen Widerstand; vor einer starken Welle feindlicher Enterer hatten sich die englischen Matrosen jedoch schon bis zum Achterdeck zuruckziehen mussen. Entermesser und — beile blitzten im Rauch, die Luft erzitterte von Kampf- und Wutgebrull; immer mehr verloren sie an Boden und mu?ten uber die Leichen ihrer gefallenen Kameraden weiter zuruckweichen.

Aber als Bolithos Entermannschaft an Deck sprang, kam der franzosische Angriff ins Stocken, und auf ein Trompetensignal hin lie?en eine ganze Anzahl Franzosen ab und sprangen auf ihr eigenes Schiff zuruck, um es gegen die Enterer zu verteidigen.

Leutnant Shanks von der Marine-Infanterie, dem der Sabel am Handgelenk baumelte, zog sich an dem schlaffen Netz hoch und feuerte seine Manner durch lauten Zuruf an. Ein schnurrbartiger franzosischer Soldat kam uber den Decksgang gerannt und bohrte, ehe Shanks aus dem Netz springen konnte, sein Bajonett tief in den Leib des Offiziers. Mit einem schrillen Aufschrei fiel Shanks wie ein Stein ins Wasser.

Bolitho sah noch die Beine des Leutnants uber der Wasseroberflache, doch als die Schiffsrumpfe gegeneinandertrieben, fa?ten sie den Korper im Zangengriff, zerquetschten ihn und hielten ihn fest — noch ein paar Sekunden zuckten die Beine wie im Krampf, dann war es vorbei.

Mit einem letzten Degenhieb kam Bolitho vom Netz frei und sprang aufs Oberdeck. Schon wandte sich derselbe franzosische Soldat ihm entgegen, aber ein Bootsmannsmaat stie? Bolitho beiseite; mit wutendem Gebrull hieb er den Franzosen nieder — durch die Schulter bis fast in die Achselhohle fuhr die Schneide des Enterbeils.

Immer mehr Manner sprangen von der Hyperion heruber, so da? es schwer wurde, Freund und Feind zu unterscheiden. Bolitho feuerte einen Pistolenschu? nach dem Ruder ab, und der letzte Ruderganger sturzte zuckend auf die zersplitterten Planken. Dann stellte er sich mit dem Rucken gegen die Kampanjeleiter und kreuzte die Klinge mit einem wildaugigen Unteroffizier, wahrend um ihn herum der schreckliche Kampf tobte.

Bolitho parierte den schweren Sabel und stie? nach dem Hals des Franzosen. Er fuhlte den Schock des Widerstands bis ins Handgelenk und fuhr herum, um sich einen anderen Gegner zu suchen, wahrend der Mann, dem das Blut aus der gro?en Halswunde spritzte, uber der Reling hing.

Ein paar Schritte weiter rannte ein franzosischer Seesoldat sein Bajonett einem schreienden Midshipman in den Leib; da wirbelte Tomlin, der Bootsmann, sein machtiges Enterbeil wie ein Spielzeug und schlug sich einen Pfad durch das Oberdeck, die Schultern voller Blut — ob sein eigenes oder das seiner Opfer, war nicht zu sagen.

Ein franzosischer Leutnant hatte den Degen weggeworfen, schlaff vor Schrecken stand sein Mund offen, und er versuchte, Bolithos Arm zu ergreifen. Er wollte sich ergeben, vielleicht sogar mit dem ganzen Schiff, aber daraus wurde nichts. Die britischen Matrosen waren noch nicht in der Stimmung fur Pardon. Stohnend schlug der Mann die Hande vors Gesicht, da sah Bolitho einen Entersabel blitzen, der die Hande des Offiziers an den Gelenken abtrennte und ihn selber auf die Planken streckte.

Sergeant Best, der eine kurze Lanze wie eine Keule schwang, arbeitete sich durchs Kampfgetummel zu Bolitho und zerrte einen franzosischen Offizier mit.»Das ist der Admiral, Sir«, brullte er und fuhrte dabei einen wutenden Hieb nach einem bereits ve rwundeten Matrosen, der schreiend uber einem verlassenen Schwenkgeschutz zusammenbrach.

Sekundenlang starrte Bolitho den kleinen Admiral an, ehe er in der Erregung des Kampfes begriff, was das bedeutete.»Bringen Sie ihn nach achtern, Sergeant!«Er sah noch, wie sich das angstverzerrte Gesicht des Admirals etwas entspannte, und fuhr fort:»Und dann holt um Gottes willen die Flagge runter und hi?t unsere eigene!»

Der Admiral setzte zum Sprechen an. Vielleicht war er sogar froh, da? alles vorbei war, oder aber er wollte gegen Bests rauhen Zugriff protestieren, der ihn wegzerrte wie einen Sack. Wahrscheinlich, dachte Bolitho, ware er bereits tot, hatte ihn der starke Arm des Marine-Infanteristen nicht beschutzt.

Da horte er Tomlins Stiergebrull:»Zuruck da! La?t sie leben!«Und als Bolitho, einen Toten mit dem Fu? beiseite schiebend, auf den Decksgang rannte, sah er zu seiner Uberraschung, da? die franzosischen Matrosen ihre Waffen wegwarfen und sich zum Bug zuruckzogen. Von der Zenith kam wildes Hurrageschrei, und die Kanoniere der Hyperion standen neben ihren rauchenden Rohren und brullten mit.

Doch der Anblick der Schaden auf der Hyperion ernuchterte ihn rasch. Von dem hohen Dreidecker aus waren sie nur allzu deutlich zu sehen. Wo er hinblickte, lagen Tote und Sterbende. Die Bordwand war furchtbar zerschossen, doch auf dem Unterdeck steckten die Matrosen die Kopfe aus den Stuckpforten und stimmten in das wilde Siegesgeschrei ein.

Ein wie betrunken schwankender Leutnant ergriff Bolithos Hand und bearbeitete sie wie einen Pumpenschwengel. Seine Augen glanzten vor Freude.»Ich bin von der Zenith, Captain. O Gott, was fur ein Sieg!»

Brusk schob Bolitho ihn beiseite.»Ubernehmen Sie hier das Kommando, Leutnant!«befahl er, denn eiskalt durchfuhr der Schreck sein Hirn: dort druben kam ein weiteres franzosisches Schiff vor dem Wind auf die Hyperion zu.

«Zu mir, Leute!«brullte er seinen Mannern zu.»Zuruck auf die Hyperion!»

Der Leutnant lief ihm nach.»Was soll ich tun, Sir?«Bolitho antwortete nicht gleich, sondern beobachtete, wie seine Manner eiligst auf ihr Schiff hinubersprangen. Aber der Leutnant blieb hartnackig.

«Captain Steward ist gefallen, als wir die franzosische Gefechtslinie durchbrachen, Sir!»

Bolitho wandte sich ihm zu und musterte ihn nachdenklich.»Also — treiben Sie die Franzosen unter Deck zusammen und stellen Sie Posten an die Niedergange. «Er blickte zu den zerfetzten Segeln hoch.»Am besten holen Sie jeden gesunden Mann von Ihrem Schiff heruber und machen alles klar, um die Zenith ins Schlepptau zu nehmen. «Er schlug dem verwirrten Leutnant auf die Schulter.»Dabei konnen Sie viel lernen!«Damit wandte er sich ab und sprang hinter seinen letzten Mannern her ubers Schanzkleid.

Herrick hatte bereits befohlen, die Enterhaken am Rumpf des franzosischen Schiffes zu kappen. Als er Bolitho sah, keuchte er:»Gott sei Dank, Sir! Ich hatte Sie druben aus den Augen verloren.»

Bolitho grinste und deutete mit seinem Degen nach Luv.»Sehen Sie da druben, Thomas! Das mu? das funfte Schiff der Franzosen sein. Das vierte ist mit dem Wind abgetrieben und wird uns mit seinen Buggeschutzen jedenfalls nicht mehr argern.»

Von Deck erscholl Rookes Ruf:»Wir kommen nicht klar, Sir!»

«Verdammt!«Herrick eilte an die Netze und spahte zu dem eroberten Schiff hinuber.»Wir mussen starker gedriftet sein, als ich dachte, Sir. «Mit plotzlichem Schrecken starrte er uber Bolithos Schulter.»Bei Gott, der Kerl geht uber Stag!«Er winkte den Mannern der Steuerbordbatterie:»Feuer eroffnen! Aber schnell, wenn ihr das nachste Morgenrot noch sehen wollt!»

Der Kommandant des ansegelnden Linienschiffes hatte reichlich Zeit gehabt, seinen nachsten Zug zu planen. Wahrend die Zenith und die Hyperion in den Nahkampf verwickelt waren und Dash die beiden anderen Schiffe zusammenscho?, hatte er stark angeluvt; und da ihn dichter Rauch verbarg, hatte niemand gemerkt, da? er sich so den Windvorteil verschaffte.