Herrick kam nach achtern gerannt, den Hut schief auf dem Kopf. Seine Augen glanzten vor Aufregung.»Sie haben es ihnen gegeben, Sir! Mein Gott, Sie haben ihnen eins versetzt. «Unfahig, sich zu beherrschen, pre?te er Bolithos Hand. Sogar Proby grinste.
Bolitho nahm alle Kraft zusammen.»Ich danke Ihnen, meine Herren. «Er blickte uber die verwusteten Decks, spurte Schmerz und blindes Frohlocken zugleich.»Nachstes Mal machen wir es besser. «Er machte kehrt und drangte sich durch die Hurra rufenden Seesoldaten zum dunklen Kajutsniedergang.
Wie durch einen Nebel horte er hinter sich Herricks Ausruf:»Ich denke nicht an das nachste Mal, Jungs. Das reicht mir fur eine Weile.»
Bolitho stand in dem engen Gang, atmete schwer und lauschte auf das erregte Reden und Lachen. Sie sind dankbar, ja sogar glucklich, wurde ihm langsam klar. Vielleicht war die Rechnung alles in allem doch nicht zu hoch.
Es gab viel zu tun, ehe das Schiff wieder einsatzfahig sein wurde. Er betastete den abgegriffenen Degengriff und starrte erschopft auf die Decksbalken. Aber das mu?te noch etwas warten. Wenigstens einen Augenblick.
Herrick lehnte schwer an der Vordeckreling und wischte sich mit dem Handrucken die Stirn. Nur die schwache Andeutung einer Brise krauselte die ruhige See vor dem sanft eintauchenden Bug. Die Sonne senkte sich zum Horizont, ihr gluhendes Spiegelbild wartete bereits darauf, sie zu empfangen. Bald wurde die Nacht heraufkommen und die Wunden der Phalarope verbergen.
Herrick spurte, wie ihm die Beine zitterten. Wiederum versuchte er sich einzureden, da? es von der Mudigkeit herruhrte, von der Anstrengung, die der Tag mit seiner fortwahrenden Arbeit gebracht hatte. Kaum eine Stunde nach dem Verschwinden des Kaperschiffs war Bolitho, das dunkle Haar wieder sauberlich im Nacken zusammengebunden, frisch rasiert und ohne ein Staubchen auf der Uniform, auf das Achterdeck zuruckgekehrt. Nur die Falten um die Mundwinkel und die Ruhelosigkeit in seinen Augen verrieten etwas von seinen Gefuhlen, als er seine Befehle erteilte und daranging, den Schaden, den Schiff und Mannschaft erlitten hatten, zu beheben.
Anfanglich hatte Herrick das fur unmoglich gehalten. Die Erleichterung der Manner war nach und nach in Ermattung umgeschlagen. Manche Matrosen lagen auf den schmutzigen Decks wie Marionetten, deren Schnure gerissen waren. Andere standen einfach herum und starrten gleichgultig auf die Nachwirkungen des Alptraums.
Mit Bolithos plotzlichem Auftauchen hatte eine Aktivitat eingesetzt, die sich niemand richtig erklaren konnte. Offiziere und Mannschaften waren durch die kurze, doch schreckliche
Begegnung mit dem Feind zu erschopft, um sich dagegen auflehnen zu konnen. So waren die Toten an die Leereling gebracht und in Segeltuch eingenaht worden, armselige, namenlose Bundel.
Von der Back bis zum Achterdeck waren die Leute schrubbend auf den Knien uber die Decks gerutscht. Begleitet vom Klicken der Pumpen und dem gleichgultigen Rauschen des Seewassers, hatten sie die dunklen Flecke von den Planken entfernt.
Die zerfetzten und nutzlosen Segel wurden abgeschlagen und durch neue ersetzt. Tozer, der Segelmacher, und seine Leute hockten an jedem nur verfugbaren Platz. Die Nadeln blitzten, wahrend sie alles, was noch brauchbar war, flickten und ausbesserten.
Ledward, der Zimmermann, ging langsam von einer Stelle zur anderen, machte sich hier eine Notiz, nahm dort Ma?, bis er zuletzt soweit war, seinen Teil zur Wiederherstellung der Seetuchtigkeit der Fregatte beizutragen. Sogar jetzt, wahrend Herrick die Schrecken des Bombardements noch einmal durchlebte und nochmals die Schreie und das Stohnen der Verwundeten horte, waren die Hammer und Sagen geschaftig, und ganze Teile der Au?enhaut wurden neu geplankt und sollten am folgenden Morgen geteert und bemalt werden.
Wieder uberlief Herrick ein Schauer, und er fluchte, als die Beine fast unter ihm nachgaben. Es war nicht nur Ermudung, es war der Schock. Das wu?te er nun.
Er rief sich seine Eindrucke wahrend der Schlacht zuruck, seine stupide Erleichterung und seine laut geau?erten, spa?haften Bemerkungen, als der Feind abdrehte und verschwand. Es war ihm vorgekommen, als hore er einem anderen zu, der weder schweigen noch Haltung bewahren konnte. Am Leben und unverletzt zu sein, hatte einfach mehr bedeutet als alles andere.
Wahrend der Himmel hinter dem sich langsam bewegenden Schiff dunkler wurde, prufte er seine wahren Empfindungen und versuchte, seine Erinnerungen zu ordnen.
Er hatte sogar den kurzen Kontakt, den er zu Bolitho gefunden hatte, wiederzugewinnen versucht. Er war zum Achterdeck gegangen, von dem der Kapitan auf die arbeitenden Leute sah, und hatte gesagt:»Sie haben uns gerade rechtzeitig gerettet, Sir. Noch eine Minute, und man hatte uns mit einer vollen Breitseite bedacht. Eine geschickte List, beizudrehen. Dieser Freibeuter war verschlagen, kein Zweifel.»
Bolitho hatte den Blick nicht vom Hauptdeck gelost. Seine Antwort hatte geklungen, als sprache er zu sich selber.»Die Andiron ist ein altes Schiff und seit zehn Jahren hier drau?en. «Und mit einer knappen Geste zum Hauptdeck:»Die Phalarope aber ist neu. Jede Kanone ist mit dem neuen Steinschlo? ausgestattet, und Karronaden sind bisher fast nur in der Kanalflotte bekannt. Nein, Mr. Herrick, da gibt es nicht viel zu gratulieren.»
Herrick hatte Bolithos Profil studiert. Zum erstenmal war er sich des Kampfes bewu?t geworden, den der Kapitan ausfocht.»Wie dem auch sei, Sir, die Andiron war uns batteriema?ig weit uberlegen. «Er hatte nach einem Zeichen jenes Bolitho Ausschau gehalten, den er mit dem Degen in der Hand an Deck gesehen hatte, wahrend ihn die Kugeln wie Hagel umpeitschten. Aber das erwartete Zeichen war ausgeblieben. So hatte er lahm hinzugefugt:»Sie werden sehen, Sir, nach dieser Geschichte sieht alles anders aus.»
Bolitho hatte sich aufgerichtet, als schuttele er ein unsichtbares Gewicht ab. Seine grauen Augen waren kalt und gefuhllos, als er ihn schlie?lich ansah.
«Hoffentlich haben Sie recht, Mr. Herrick. Was mich betrifft, so hat mich das Durcheinander angewidert. Ich wage nicht daran zu denken, was bei einem Kampf bis zum bitteren Ende geschehen ware.»
Herrick hatte gespurt, da? er rot wurde.»Ich dachte nur. .»
«Wenn mir an der Meinung meines Dritten liegt, werde ich es ihn wissen lassen. Bis dahin, Mr. Herrick, seien Sie bitte so freundlich, Ihre Leute an die Arbeit zu schicken. Fur Hypothesen und Lobspruche ist spater Zeit. «Er hatte sich abgewandt und seinen Gang uber das Achterdeck wieder aufgenommen.
Herrick sah, wie der Trupp des Arztes einen leblosen Korper heranschleppte und ihn zu den anderen legte. Dabei erinnerte er sich einer grauenvollen Szene.
Herrick hatte gemeinsam mit dem Zimmermann das Zwischendeck inspiziert. Die Phalarope hatte zwar keine Einschusse unterhalb der Wasserlinie abbekommen, aber er betrachtete es als seine Pflicht, sich mit eigenen Augen zu uberzeugen. Obwohl er vom Larm des Gefechts noch immer betaubt war, folgte er, von der halbabgeblendeten Laterne wie hypnotisiert, dem Zimmermann Ledward an den massiven Spanten vorbei durch die unteren Decks. Als sie durch einen Vorhang traten, sahen sie sich plotzlich einer Szene gegenuber, die aus der Holle zu stammen schien.
Kreisformig angeordnete Laternen erleuchteten das Bild so, da? er alles wahrnehmen mu?te, ob er nun wollte oder nicht. Im Mittelpunkt des gelben Lichtscheins lag, festgebunden und verkrummt wie das Opfer auf einem Altar, ein schwerverwundeter Seemann, dem Tobias Ellice, der Wundarzt, das Bein amputierte.
Ellices dickes, ziegelrotes Gesicht zeigte keinerlei Ausdruck, wahrend seine blutigen Hande die Sage fuhrten. Sein Doppelkinn stie? im Takt der Bewegung immer wieder gegen den oberen Rand seiner blutgetrankten Schurze. Seine Gehilfen mu?ten ihre ganze Kraft aufwenden, um das sich windende Opfer auf dem Deckel einer Seekiste festzuhalten, die als Operationstisch diente. Bei jedem Sto? der Sage rollte der Mann mit den Augen und bi? auf den Lederriemen zwischen seinen Zahnen, da? ihm das Blut aus den Lippen spritzte.