Die See schien Achates ganz allein zu gehoren. Keen nahm die Gelegenheit wahr, seine Leute zu testen und ihnen seine Anspruche klar zu machen. Segel- und Artilleriedrill losten einander ab. dazwischen folgten Schie?ubungen fur die Marine-Infanterie, und immer wieder wurden erfahrene Offiziere und Maaten dabei durch frisch angeheuerte Kameraden ersetzt. Keen verschaffte sich wohl Respekt, wurde aber bei Beginn jedes neuen Exerzierens herzhaft verflucht.
Aber Bolitho wu?te aus eigener bitterer Erfahrung, da? unter den beengten Verhaltnissen an Bord nichts so schnell in Meuterei umschlug wie Langeweile.
Er sa? gerade beim Fruhstuck — Brot und dunne Scheiben fettes Schweinefleisch — , als Keen sich bei ihm melden lie?. Bolitho bat ihn, Platz zu nehmen.»Kaffee, Val?«Keen setzte sich.
«Ich glaube, wir werden heimlich von einem fremden Schiff verfolgt, Sir.»
Bolitho lie? Gabel und Messer sinken. Keen war nicht der Typ, der zu Ubertreibung oder Phantasie neigte.»Wie das?»
«Vor zwei Tagen sichtete mein bester Ausguckposten ein Segel, ziemlich weit in Luv. Zunachst ma? ich dem nicht viel Bedeutung bei. Es konnte ein Handelsschiff sein, auf demselben Kurs wie wir.»
Er spurte Bolithos Neugier und fugte erlauternd hinzu:»Ich wollte niemanden unnotig beunruhigen. Aber Sie werden sich erinnern, da? wir gestern beigedreht lagen, wahrend wir mit den Steuerbord-Zwolfpfundern ein Ubungsschie?en auf Treibholz veranstalteten. Wahrenddessen blieb das fremde Segel die ganze Zeit an der Kimm. In dem Augenblick, als wir wieder Fahrt aufnahmen, folgte es uns, allerdings in weitem Abstand. «Er wartete vergeblich auf Bolithos Kommentar und sagte deshalb abschlie?end:»Es ist immer noch da.»
Die Tur ging auf, Adam trat mit einer Seekarte unter dem Arm herein.
Bolitho begru?te ihn lachelnd. Seit dem Tag des Ankerlichtens vor der Beaulieu-Mundung hatten sie nur wenige Worte uber seine Adoption gewechselt. Aber sie waren sich irgendwie nahergekommen, auch ohne gro?e Aussprache.
Er erinnerte sich, wie Belinda ihn zu diesem Schritt gedrangt und ermutigt hatte. Sie wu?te seit den Tagen ihrer ersten Liebe, was Bo-litho fur seinen Neffen empfand, was sie gemeinsam durchgemacht hatten. Fast horte er noch ihre Worte:»Wenn unser Kind geboren ist, dann soll Adam sich nicht zuruckgesetzt oder benachteiligt fuhlen. Tu' es um Adams, aber auch um meinetwillen.»
«Hast du das fremde Schiff gesehen, Adam?«fragte er.»Aye, Sir. Ich bin beim ersten Tageslicht aufgeentert. Es scheint sich um eine Fregatte zu handeln. Ich hatte das gro?e Signalteleskop mit hinaufgenommen, obwohl es sehr dunstig war. Das Rigg la?t auf ein gro?es
Kriegsschiff funfter Klasse schlie?en. Fur einen Indienfahrer oder ein anderes westwarts segelndes Handelsschiff ist er zu schnell.»
Keen orakelte:»Wenn er weiter so hoch am Wind bleibt, kann ich nie zu ihm aufkreuzen.»
Bolitho schuttelte den Kopf.»Aber damit verliert er kostbare Zeit.»
Trotzdem beunruhigte ihn die Nachricht. Falls es sich um ein Kriegsschiff handelte, dann verkorperte es eine Drohung, ganz gleich, wie sein Auftrag lautete. Was mochte seine Absicht sein? Und welches seine Nationalitat?
Die Mission der Achates galt als geheim, aber Bolitho kannte die Kriegsmarine und vor allem die Manner, die in ihr dienten. Adams neuer Name hatte Keen zwar uberrascht, aber danach hatte sich die Neuigkeit in Sekundenschnelle im ganzen Schiff verbreitet. Eine so wichtige Information wie die uber die San-Felipe-Mission konnte sich binnen kurzem in der Werft, in der Stadt, ja sogar bis jenseits des Kanals herumgesprochen haben.
«Halten Sie mich auf dem laufenden. Bei einer fur uns gunstigen Anderung der Windrichtung rucken wir ihm auf den Pelz. Andernfalls…«Er zuckte die Schultern.»Wir mussen eben abwarten, bis er seine Karten aufdeckt.»
Spater machte Bolitho seinen gewohnten Spaziergang auf der Luvseite des Achterdecks und merkte, da? er schon wieder an die Einwohner von San Felipe dachte, wahrend er auf- und abging. Wurden sie ihre neue Nationalitat hinnehmen? Und dann fiel ihm das fremde Schiff ein, das der Achates folgte wie ein Jager auf der Pirsch. Wahrscheinlich ein Franzose, der sicherstellen sollte, da? die franzosischen Interessen gewahrt wurden, notfalls mit Waffengewalt.
Auf und ab marschierte Bolitho, wobei seine Fu?e wie von selbst Augbolzen und Taljen mieden.
Unter den Wachgangern und Seesoldaten waren ihm manche Gesichter schon vertraut. Engeren Kontakt verhinderte jedoch eine unsichtbare Trennwand, die Bolitho verabscheute. Keen dagegen konnte als Kommandant so oft mit seinen Leuten sprechen, wie es ihm behag-te. Schon manches Mal hatte Bolitho zu seiner Flagge hinaufgestarrt und sie fur die Einsamkeit, die sie ihm brachte, verwunscht.
Er blieb beim Kompa? stehen und warf einen Blick darauf, obwohl er wu?te, da? seit Tagen derselbe Kurs anlag. Er merkte, da? die Ruderganger seinem Blick auswichen, und da? Segelmeister[5] Knocker sich plotzlich ganz in den Bericht eines Kadetten vertiefte.
Hallowes, der Vierte Offizier, war Wachfuhrer, und selbst er beugte sich mit betonter Konzentration uber die Querreling und beobachtete das Exerzieren mit den Achtzehnpfundern.
Ein Bootsmannsgehilfe schlenderte das Seitendeck in Lee heran; irgend etwas an ihm erregte Bolithos Aufmerksamkeit, so da? er ihn scharfer ins Auge fa?te.
Der Mann zogerte, schluckte krampfhaft und kam dann weiter auf ihn zu.
Bolitho sprach ihn an.»Kenne ich Sie nicht?«Und dann blitzte der Name plotzlich in seinem Gedachtnis auf.»Sie hei?en Christy, nicht wahr?»
Mit einem breiten Grinsen nickte der Mann.»Aye, Sir, das stimmt. Ich war Gro?toppgast auf der alten Lysander. Wir haben zusammen vor Abukir gekampft, Sir.»
«Ich erinnere mich. Wir hatten Sie damals beinahe verloren, als uns die Gro?maststenge weggeschossen wurde. «Bolitho nickte, ganz in seine Erinnerungen vertieft.
«War ein hei?er Kampf, Sir«, sagte der Seemann.»Der schlimmste Tag meines Lebens.»
Bolitho entlie? ihn lachelnd und nahm seinen Spaziergang wieder auf. Kopfschuttelnd hastete Christy weiter. Nach so langer Zeit erinnerte sich der Admiral noch an ihn, an ihn unter Hunderten von Mannern.
Quantock, der Erste Offizier, der mit Bootsmann Rooke und dem Schiffszimmermann Grace seine morgendliche Ronde ging, blieb stehen und winkte Christy heran.
«Hat sich wohl an dich erinnert, der Admiral, wie?»
Gru?end tippte Christy an seine Stirn.»Aye, Sir, er wu?te noch meinen Namen!»
«Also, dann steh nicht rum wie ein Mondkalb, sondern geh an deine Arbeit!»
Christy verzog sich nach achtern. Warum war der Erste so schlechter Laune?
Quantock hakte eine Liste ab, wie jeder gute Erste unaufhorlich mit seiner Bestandsaufnahme beschaftigt. Das Schiff war zwar uberholt worden, aber trotzdem turmte sich die Arbeit wie ein Berg vor ihm auf: Segel mu?ten erneuert oder geflickt werden, Boote mu?ten repariert, Pumpen und Flaschenzuge gewartet werden.
Quantock argerte sich uber sich selbst. Christy war ein guter Seemann und ein Freiwilliger dazu. Weshalb war diese plotzliche Feindseligkeit in ihm aufgeflammt?
Heimlich sah Quantock nach Luv hinuber, wo der Vizeadmiral immer noch auf und ab ging. Und uberhaupt, was war denn an dem Mann so besonders?
Der Bootsmann, ein Riese mit gefurchtem und zernarbtem Gesicht, wartete geduldig, da? sein Vorgesetzter mit der Morgenronde weitermachte. Christy gehorte zu seinen Gehilfen, und der unprovozierte Anraunzer des Ersten hatte ihn geargert. Doch Rooke — oder Big Harry, wie man ihn respektvoll nannte — erriet den Grund fur Quantocks schlechte Laune. Er war ein guter Erster Offizier, aber nur, wenn man es vom Standpunkt des Kommandanten sah. Zu den Leuten war er scharf, und in Disziplinfragen lie? er nicht mit sich reden.
Kapitan Glazebrook, der nach langen Wochen im Fieber gestorben war, hatte wegen seiner Krankheit die Ubersicht verloren. Quantock war wahrscheinlich nun der Meinung, da? ihm eine Beforderung gebuhre, am besten gleich der Befehl uber Achates. Rooke, der den Ersten nicht leiden konnte, verabscheute den Gedanken, da? dieser an Bord das Kommando haben konnte, wie eine Gotteslasterung.
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Sailing master: fur die Navigation verantwortliche Decks(Unter)offizier