IV Tod eines Schiffes
Ezekiel Mudge, Segelmeister und Steuermann der Undine, sa? gemutlich in einem von Bolithos Sesseln und studierte die auf dem Tisch ausgebreitete Karte. Ohne seinen Hut wirkte er sogar noch alter; aber seine Stimme klang frisch und selbstsicher.»Der Wind wird in ein, zwei Tagen auffrischen, Sir. Denken Sie an meine Worte. «Er tippte mit seinem eigenen Messingzirkel, den er gerade aus den Tiefen seiner Tasche gefischt hatte, auf die Karte.»Im Moment kommt uns der Nordostpassat gerade recht, und mit ein bi?chen Gluck sind wir in einer Woche vor den Kapverdischen Inseln. «Er lehnte sich zuruck und wartete gespannt darauf, was Bolitho wohl dazu sagen wurde.
«Das ist auch meine Meinung. «Bolitho trat ans Heckfenster und stutzte die Hande auf das Sims. Das Holz war brandhei?, und hinter dem kurzen, schaumenden Kielwasser der Fregatte lag die See in blendendem Glanz. Sein Hemd stand bis zum Gurtel offen, juckend rann ihm der Schwei? zwischen den Schultern hinab, und seine Kehle war staubtrocken.
Es war fast Mittag; die Midshipmen mu?ten sich gleich auf dem Achterdeck bei Herrick melden, um den Sonnenstand fur das Besteck zu nehmen. Nur ein paar Stunden fehlten, dann waren sie eine volle Woche unterwegs. Jeden Tag hatte die Sonne sie ausgedorrt, und die standige leichte Brise hatte keine ausreichende Kuhlung bringen konnen. Jetzt hatte der Wind leicht aufgefrischt, die Undine segelte uber Backbordbug und glitt geistergleich dahin, alle Segel zogen ausreichend. Aber trotzdem empfand Bolitho nur geringe Befriedigung. Denn die Undine hatte ihren ersten Mann verloren, einen jungen Matrosen, der am Vortag kurz vor Einbruch der Dunkelheit uber Bord gegangen war. Bolitho hatte dem spanischen Kapitan entsprechend signalisiert und die Suche nach dem Unglucklichen begonnen. Der Mann hatte hoch oben auf der Gro?marsrah gearbeitet, Bolitho hatte ihn noch gesehen: wie eine Bronzestatue hob er sich gegen die untergehende Sonne ab. Aber er war zu selbstsicher gewesen, auch wohl zu leichtsinnig in den letzten entscheidenden Sekunden, als er seine Stellung wechselte. Ein Schrei im Fallen, und dann war er mit dem Kopf voran aufs Wasser geprallt, fast auf der Hohe des Gro?mastes; wild mit den Armen rudernd, versuchte er, dem Schiff zu folgen, Davy hatte gesagt, der Matrose sei ein guter Schwimmer; so konnte man hoffen, ihn aufzufinden. Sie hatten zwei Boote ausgesetzt und den Gro?teil der Nacht nach ihm gesucht, jedoch vergeblich. Bei Morgendammerung lagen sie wieder auf Kurs, aber Bolitho mu?te zu seinem Arger feststellen, da? die Nervion keineswegs Segel gekurzt hatte oder sonstwie in der Nahe geblieben war; erst vor einer halben Stunde hatte der Ausguck ihre Bramsegel wieder gesichtet.
Der Verlust des Matrosen bestarkte Bolitho in seinem Bemuhen, die Mannschaft in Form zu bringen. Er hatte gesehen, wie die spanischen Offiziere seine ersten Versuche beim Geschutzexerzieren durch ihre Fernglaser beobachteten und sich vor Schadenfreude auf die Schenkel schlugen, wenn etwas nicht klappte — und das war oft der Fall. Fur sie schien diese Fahrt eine Art Vergnugungsreise zu sein. Sogar Raymond hatte eine dumme Bemerkung gemacht:»Was plagen Sie sich mit Geschutzexerzieren ab, Captain? Ich verstehe ja nicht viel von solchen Dingen — aber Ihre Leute finden das doch sicher hochst lastig bei dieser verdammten Hitze?»
Er hatte entgegnet:»Das ist meine Pflicht, Mr. Raymond. Moglich, da? wir auf dieser Reise die Geschutze uberhaupt nicht brauchen — aber man kann nie wissen.»
Mrs. Raymond hatte sich hochmutig von allen ferngehalten; tagsuber sa? sie meistens unter einem kleinen Sonnensegel, das Herrick fur sie und die Zofe an der achteren Reling hatte anschlagen lassen. Wenn sie zusammenkamen, was vorwiegend bei den Mahlzeiten der Fall war, sprach sie nur wenig, und dann uber private Dinge, die Bolitho kaum begriff. Es machte ihr anscheinend Spa?, ihren Mann zu kritisieren, er sei zu saumselig, es fehle ihm im entscheidenden Augenblick an Entschlossenheit. Einmal hatte sie ihm wutend vorgeworfen:»Du la?t dich dauernd beiseite schieben, James! Ich kann mich ja in London uberhaupt nicht mehr sehen lassen, wenn du standig Demutigungen einsteckst! Margarets Mann wurde neulich geadelt, und er hat funf Dienstjahre weniger als du!«So ging es weiter.
Als Bolitho sich jetzt nach Mudge umdrehte, uberlegte er, was dieser und die anderen wohl von ihrem Kommandanten denken mochten. Da? er Offiziere und Mannschaft zu hart herannahm, ohne Sinn und Zweck? Da? er sie mit stupidem Geschutzexerzieren schikanierte, wahrend auf dem Spanier die Manner von der Freiwache herumlungerten, schliefen oder Wein tranken wie Passagiere? Aber unvermittelt sagte Mudge, als hatte er seine Gedanken gelesen:»Lassen Sie die Leute ruhig reden, Sir. Sie sind noch jung, aber Sie haben den richtigen Instinkt fur das Notwendige — wenn Sie mir die Freiheit gestatten. «Er zupfte an seiner gro?en Nase.»Ich habe manchen Kapt'n mit langem Gesicht dastehen sehen, weil er nicht bereit war, wenn's darauf ankam. «Er lachte in sich hinein, da? die kleinen Augen in den Falten und Runzeln seines Gesichts fast verschwanden.»Und Sie wissen ja — wenn was schiefgeht, hat's keinen Zweck, die Fauste zu schutteln und allen anderen die Schuld zu geben. «Damit zerrte er eine kohlrubengro?e Uhr aus einer Innentasche.»Ich mu? hinauf an Deck, wenn Sie mich nicht mehr brauchen. Mr. Herrick mochte, da? ich dabei bin, wenn die Bestecks verglichen werden. «Das schien ihn zu amusieren.»Wie gesagt, Sir, Ihr Standpunkt ist ganz richtig. Es ist durchaus nicht notig, da? die Mannschaft den Kapitan liebt, aber bei Gott, Sir, sie mu? Vertrauen zu ihm haben. «Er stapfte aus der Kajute, da? die Decksplanken unter seinem Schritt knarrten.
Bolitho setzte sich und strich sein offenes Hemd glatt. Mudge war wenigstens ein Lichtblick.
Allday steckte den Kopf durch die Tur.»Kann ich Ihnen jetzt den Steward schicken, Captain?«Er warf einen raschen Blick auf den Tisch.»Er wird Ihr Essen servieren wollen.»
«Na schon«, lachelte Bolitho. Es ware dumm gewesen, sich uber Kleinigkeiten den Kopf zu zerbrechen. Aber das mit Mudge war wichtig. Er hatte vermutlich unter mehr Kapitanen gedient, als Bolitho in seinem ganzen Leben kennengelernt hatte.
Sie blickten sich beide um, denn Midshipman Keen stand in der Tur. Er war schon stark gebraunt und sah so gesund und kraftig aus wie ein alter Fahrensmann.
«Kompliment von Mr. Herrick, Sir, und der Ausguck hat ein Schiff auf Gegenkurs zum Spanier gesichtet. Konnte eine Brigg sein. Ziemlich klein.»
«Ich komme sofort an Deck«, sagte Bolitho und fuhr dann lachelnd fort:»Die Reise scheint Ihnen zu bekommen, Mr. Keen.»
Der junge Mann grinste verschmitzt.»Aye, Sir. Allerdings hat mein Vater nicht wegen meiner Gesundheit, sondern aus ganz anderen Grunden zur See geschickt, furchte ich.»
Er verschwand eiligst, und Allday murmelte hinter ihm her:»Dieser junge Teufel! Hat bestimmt ein armes Madchen in Schwierigkeiten gebracht — da mocht' ich wetten!»
Bolitho verzog keine Miene.»Es kann ja nicht jeder so tugendhaft sein wie Sie, Allday.»
Er trat an dem Wachtposten vor der Tur vorbei hinaus und stieg hinauf zum Achterdeck. Obgleich er darauf gefa?t war, fuhr ihn die Hitze an wie aus einem Brennofen. Der Teer in den Ritzen der Decksplanken klebte an seinen Schuhsohlen, Gesicht und Nacken brannten ihm, als er zur Wetterseite hinuberging und sein Schiff prufend musterte. Die Undine lief gut unter ihrer sonnengebleichten, leichten Besegelung. In der ma?igen Brise krangte sie nur schwach. Spritzwasser staubte hoch und netzte den Kluver, und hoch oben wehte der Wimpel waagrecht wie eine Peitschenschnur.
Mudge und Herrick waren in ein leises Gesprach vertieft. Ihre Sextanten glanzten wie Gold. Armitage und Penn, die beiden Midshipmen, verglichen ihre Notizen, in den jungen Gesichtern stand sorgenvolle Konzentration.