Er blickte prufend zum Geschutzdeck hinuber, musterte die Manner an den Zwolfpfundern. Eine gute Breitseite sollte fur so einen Schoner mehr als ausreichen. Dann bekam der andere vielleicht Angst und strich die Segel, damit es ihm nicht ebenso ging. Aber daran durfte er jetzt nicht denken. Der Kampf hatte noch nicht einmal begonnen.
Er stellte sich vor, wie Conway in seinem fernen Herrschaftsbereich lebte. Er wu?te bestimmt besser als Puigserver oder Raymond, was auf dem Spiel stand. Hatte die Undine einigerma?en Gluck, so bedeutete das fur ihn eine gewisse Periode der Sicherheit, in der er seine Tuchtigkeit als Gouverneur beweisen konnte.
Ein schwacher Knall tonte uber das Wasser, und eine wei?e Gischtfeder stieg ein paar Sekunden hoch, aber ziemlich weit voraus an Steuerbord; gellendes Hohngeschrei von den ungeduldig wartenden Geschutzbedienungen quittierte den Versuch.
«Flagge zeigen, Mr. Keen!»
Im Vormast richteten die Marineinfanteristen ihr Schwenkgeschutz aus. Eine andere Abteilung nahm mit
Musketen an den Finknetzen Aufstellung, die Gesichter starr vor Konzentration.»Der eine bricht aus, Sir!»
Bolitho hielt den Atem an. Der ihnen nachste Schoner begann stark zu krangen, sein machtiges Gro?segel fegte uber Deck wie eine riesige Vogelschwinge, und er steuerte hart Backbord.
«Jesus! Der Kerl hat sich festgesegelt! Seht euch das an!«brullte jemand.
Der Kapitan des Schoners hatte sich ubel verschatzt. Denn wahrend er sein Schiff durch den Wind bringen wollte, um auf neuem Bug mehr Raum zu gewinnen, war es aufgeschossen und lag nun mit chaotisch schlagenden Segeln unbeweglich da.
«Den nehmen wir zuerst!«rief Bolitho.»Backbordbatterie klar zum Feuern!»
Soames rannte an seinen Kanonen entlang, die Geschutzfuhrer hockten geduckt wie startende Laufer, visierten hinter den Verschlussen durch die Stuckpforten nach dem aufkommenden Ziel und hielten die Abzugsleinen straff.
Breitbeinig versuchte Bolitho, das nahere Schiff im Blickfeld zu behalten. Schon trieb es ungelenk quer zum Wind, deutlich war zu sehen, wie die Mannschaft auf dem schmalen Deck verzweifelt arbeitete, um es wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Undine kam so schnell auf, da? es jetzt nur noch zwei Kabellangen backbords vorauslag und zusehends gro?er wurde. Bolitho sah die fremdartige Flagge an der Gaffel: schwarz, mit einem roten Emblem in der Mitte — eine auf den Hinterbeinen stehende, die Tatzen hebende Raubkatze. Er schob das Glas mit einem so lauten Schnappen zusammen, da? Keen der Schreck in die Glieder fuhr.
Allday grinste.»Noch zwei Minuten, Captain — gerade richtig. «Er nickte zum Bug, wo der andere Schoner steten Kurs auf die Landzunge hielt.»Der la?t seinen Genossen anscheinend ruhig untergehen.»
Soames spahte angestrengt nach achtern. Sein gebogenes Entermesser blitzte in der hellen Sonne, als er es langsam uber den Kopf hob. Er mu?te genau in die Sonne blicken und verzog das Gesicht so stark, da? er wie irre zu grinsen schien.
Bolitho blickte zu Mudge hinuber.»Lassen Sie noch einen Strich abfallen!«Er rang sich ein Lacheln ab.»Keine Sekunde langer als unbedingt notig, das verspreche ich Ihnen.»
Er zog seinen Degen und legte ihn lassig uber die Schulter, fuhlte den eiskalten Stahl durch das verrutschte Hemd.
Heiser meldete der Ruderganger:»Nordnordwest liegt an,
Sir!»
Zum Fieren der Brassen blieb keine Zeit mehr, als die Undine noch naher auf die Kuste zuhielt, so da? der schwer kampfende Schoner endlich ins Schu?feld der gespannt lauernden Geschutzfuhrer kam.
«Feuer frei, Mr. Soames!«rief Bolitho.
«Achtung!«blaffte Soames. Mit gro?en Sprungen rannte er nach achtern und blieb bei jedem Geschutz kurz stehen, um die Ausrichtung des Rohres zu kontrollieren. Offenbar zufrieden, sprang er zur Seite.
«Feuer!»
Bolitho erstarrte, als der Schiffsrumpf die Breitseite unregelma?ig und erschauernd aushustete. Soames hatte gute Arbeit geleistet. Er hatte eine plotzliche Bo, welche die Fregatte ein Stuck weiter nach Lee schob, sehr geschickt mit einkalkuliert und in dem Moment gefeuert, als die Undine sich wieder hob, so da? die Salve das gesamte Deck des Feindes bestrich.
Bolitho griff nach einem Stag; seine Augen waren voller Pulverqualm, den der Wind auch durch die Pforten ins Schiff druckte. Uberall fluchten hustende Manner im dicken, braunen Dunst; aber Befehle und Drohungen brachten sie dazu, da? sie trotzdem unverzuglich die Rohre auswischten und neu luden, fur den Fall, da? eine weitere Breitseite notig wurde.
Endlich hatte sich der Qualm vom Achterdeck verzogen, und Bolitho konnte den Schoner sehen. Was fur ein Anblick: kein Mast stand mehr, und das Deck war fast begraben unter einem Chaos von gefallenen Spieren und zerfetzter Leinwand. Der Schoner war ein Wrack.
«Gehen Sie wieder auf Nordwest zu Nord, Mr. Mudge!»
Bolitho konnte nicht sehen, was der Steuermann fur ein Gesicht machte: erleichtert und bewundernd. In seinen Ohren drohnte noch der Donner der Kanonen und der scharfere, stechende Knall der Sechspfunder auf dem Achterdeck. Hoffentlich hatten die weniger Erfahrenen unter den Geschutzbedienungen daran gedacht, sich die Halstucher um die Ohren zu wickeln. Ein Mann, der in ungunstigem Winkel zum Geschutz stand, konnte von einem einzigen Schu? taub werden — oft fur sein ganzes Leben.
«Ausrennen!«Soames blickte zu den Stuckfuhrern hinuber, die einer nach dem anderen die pulvergeschwarzte Faust hoben, um zu signalisieren, da? ihr Geschutz feuerbereit war.
«Jetzt auf den anderen!«brullte Herrick. Er winkte Davy, der bei seiner Steuerbordbatterie stand; es war eine impulsive, ihm kaum zu Bewu?tsein kommende Bewegung. Davy winkte zuruck, verkrampft und marionettenhaft. Als sie hinter dem zweiten Schoner hersegelten, schob sich Midshipman Penn sachte ein Stuckchen zur Seite, um gegebenenfalls hinter seinem Leutnant Deckung zu finden.
Herrick lachte laut auf.»Bei Gott, der junge Penn hat die richtige Idee, Sir. «Er blickte zu dem steif stehenden Wimpel empor.»Der Wind ist uns immer noch wohlgesonnen, das hebt die Stimmung der Leute.»
Bolitho sah ihn nachdenklich an. Spater wurden sie daruber reden. Aber wenn man mittendrin steckte, zwischen allen anderen, dann hatten Diskussionen wenig Sinn. Man wu?te nie vorher, wie sich ein Mann verhalten wurde, wenn es wirklich hart auf hart ging. Alles war drin: Stolz, Wut, Wahnsinn — und wei? Gott was noch. Selbst Herricks vertrautes Gesicht hatte sich verandert — und auch sein eigenes, zweifellos.
«Wir folgen ihm so dicht es geht unter Land«, sagte er.»Dann mu? er sich entscheiden: streichen oder kampfen. «Er nahm die Degenklinge von seiner Schulter. Jetzt war die Eiseskalte einer Hitze gewichen, als sei der Stahl ein hei?geschossener Flintenlauf.
«Der Steuermann ist ein Narr«, bemerkte Mudge.»Er hatte viel fruher wenden sollen. Ich hatte es so gemacht. Vor unserem Bug vorbeikreuzen, ehe wir ihn hatten wegputzen konnen. «Er grunzte verachtlich.»Eine zweite Chance kriegt er nicht.»
Bolitho blickte zu ihm hinuber. Mudge hatte naturlich recht. Die Undine trieb ein gefahrliches Spiel, indem sie so leichtsinnig eine Leekuste ansegelte; aber die beiden Schoner hatten noch viel mehr riskiert.
Eben sagte Herrick:»Prisenkommando auf den einen, und den anderen nehmen wir in Schlepp, wie? Wir sollten ganz schones Geld fur die beiden Schoner bekommen, Sir, auch wenn der eine kaum mehr als eine Hulk ist.»
Bolitho beobachtete den zerschossenen Schoner und erwiderte nichts. War Muljadi an Bord gewesen? Sterbend oder vielleicht schon tot unter seinen Mannern? Das ware immer noch besser fur ihn, dachte er, als Puigserver in die Hande zu fallen.
«An Deck!«Der Ruf des Ausgucks ging fast unter im Brausen der Gischt und dem Rauschen des Windes.»Schiff achteraus an Backbord!»
Bolitho fuhr herum und dachte eine Sekunde lang, der Ausguck sei zu lange in der Sonne gewesen. Erst konnte er nichts sehen, aber dann erkannte er Fock und Vormarssegel eines anderen Schiffes, das gerade die letzte Landspitze rundete, von der sie sich vorhin so vorsichtig in Verfolgung des Schoners freigehalten hatten.