Die beiden Manner stie?en sich grinsend an, als hatte er ihnen soeben eine ungeheuer wichtige Information anvertraut. Bolitho schluckte krampfhaft und trat den Abstieg an. Als er den Punkt erreicht hatte, an dem er die Finknetze der gegenuberliegenden Seite auf gleicher Hohe sehen konnte, wagte er es, auf die Gruppe hinunterzublicken, die ihn am Schanzkleid erwartete. Herrick lachelte, doch es war schwer zu sagen, ob vor Erleichterung oder weil er sich im stillen amusierte. Bolitho war mit einem Sprung an Deck und musterte bedauernd sein frisches Hemd. Es war klatschna? von Schwei? und trug auf der einen Schulter einen schwarzen Teerstrich.
«Egal«, sagte er,»unterm Rock sieht man das nicht. «Dienstlicher fugte er hinzu:»Ein Boot halt auf uns zu, Mr. Herrick. Drehen Sie bei und lassen Sie den Anker klarieren.»
Er warf nochmals einen Blick in die Takelage hinauf. Es war diesmal nicht so schlimm gewesen wie befurchtet. Aber er war schlie?lich unter idealen Bedingungen aufgeentert, nicht in einem brullenden Sturm oder in pechschwarzer Nacht.
Als Herrick seine Befehle gegeben hatte, wandte sich Bolitho an Mudge:»Was halten Sie von diesem Schu??»
Der Steuermann wiegte zweifelnd den Kopf.
«Ein altes Geschutz, Sir. Von da, wo ich stand, horte es sich an wie ein Rohr aus Bronze.»
Bolitho nickte.»Ganz Ihrer Meinung. Es kann durchaus sein, da? sie noch die Originalbestuckung benutzen, die von den Hollandern. «Er rieb sich das Kinn und sprach seine Gedanken laut aus.»Dann werden sie sich aber huten, mit gluhenden Kugeln zu schie?en. «Er grinste Mudge in das traurige Gesicht.»Nicht da? uns das viel nutzt. Auch wenn sie mit Steinkugeln schie?en wurden, konnten sie kein Schiff verfehlen, das versucht, die Durchfahrt zu erzwingen.»
Da meldete Fowlar:»Das Boot hat einen Offizier an Bord, Sir. Einen Froschfresser — die kenne ich.»
Bolitho nahm ein Teleskop und beobachtete das naherkommende Boot. Es war ein Eingeborenenfahrzeug mit dem vertrauten hohen Bug und Lateinersegel und segelte schnell und leicht auf konvergierendem Kurs. Er sah den
Offizier am Mast lehnen, den Dreispitz tief in die Stirn gezogen, um seine Augen vor der Sonne zu schutzen. Fowlar hatte recht: unverkennbar ein Franzose.
Er trat ein paar Schritte von der Reling zuruck, als sich die Undine mit aufgegeitem Gro?segel und wild schlagenden Marssegeln in den Wind drehte, um ihren Besucher zu erwarten. Die Hande auf der Reling, wartete er ab, bis das Boot den Bug umrundet hatte, wo schon Mr. Shellabeer mit ein paar Matrosen wartete, um es festzumachen und Fender auszubringen.
«Jetzt, Mr. Herrick, werden wir es erfahren«, sagte Bolitho.
Er schritt den schwankenden Decksgang hinab bis zur Fallreepspforte und wartete, da? der Franzose an Bord kam. Die schlanke Gestalt des Offiziers hob sich klar vom kabbligen Wasser ab; aufmerksam musterte er das Geschutzdeck der Undine, die Matrosen und Seesoldaten, die ihn von allen Seiten neugierig anstarrten. Als er Bolitho sah, zog er mit elegantem Schwung den Hut und verbeugte sich.»Lieutenant Maurin, m'sieur. Zu Ihren Diensten.»
Er trug keine Rangabzeichen, und sein blauer Uniformrock war mehrfach geflickt und gestopft. Die Sonne hatte ihn gegerbt wie altes Leder, und seine Augen waren die eines Mannes, der fast sein ganzes Leben auf See verbracht hat. Zahigkeit, Selbstsicherheit, Tuchtigkeit — all das stand deutlich auf seinem Gesicht.
Bolitho nickte.»Und ich bin Captain Bolitho von Seiner Majestat Schiff Undine.»
Der Lieutenant lachelte schief.»Mein capitaine hat Sie bereits erwartet.»
Bolitho warf einen Blick auf die Kokarde an Maurins Hut. Statt der franzosischen Farben zeigte sie die kleine rote Raubkatze.»Und welche Nationalitat haben Sie, lieutenant!»
Der Mann hob die Schultern.»Ich stehe naturlich im Dienst des Fursten Muljadi.»
Jetzt lachelte Bolitho.»Naturlich«, wiederholte er und fugte scharfer hinzu:»Ich wunsche unverzuglich Ihren Kapitan zu sprechen, um gewisse Dinge zu erortern.»
«Aber selbstverstandlich, m'sieur.»
Wieder glitten seine Blicke uber die Manner an Deck, von einem zum anderen. Berechnend. »Capitaine Le Chaumareys ist damit einverstanden«, fuhr er fort,»da? ich als Pfand fur Ihre, ah, Sicherheit hier an Bord bleibe.»
Bolitho verbarg seine Erleichterung. Ware Le Chaumareys im Gefecht getotet oder verwundet und durch einen anderen ersetzt worden, dann hatte er seine Taktik andern mussen. So aber antwortete er gelassen:»Das wird nicht notig sein. Ich vertraue dem Ehrgefuhl Ihres Kommandanten.»
«Aber Sir«, rief Herrick dazwischen,»das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Behalten Sie ihn hier! Ihr Leben ist zu wertvoll, um es auf das Wort eines Franzosen hin zu riskieren!»
Lachelnd legte Bolitho ihm die Hand auf den Arm.»Wenn Le Chaumareys der abgebruhte Schurke ware, fur den Sie ihn halten, dann wurde es ihm auch nichts ausmachen, einen Leutnant zu verlieren, um einen britischen Kapitan in die Hand zu bekommen. In meiner Kajute sind ein paar Notizen. Mit denen konnen Sie sich die Zeit vertreiben, bis ich wieder da bin. «Er wandte sich zum Achterdeck, beruhrte gru?end seinen Hut und sagte dann zu Maurin:»Ich bin bereit.»
Noch einen Augenblick blieb er an der Fallreepspforte stehen und blickte in das unten wartende Boot. Etwa ein halbes Dutzend halbnackter Manner sa? darin, alle bis an die Zahne bewaffnet und von der Sorte, die toten, ohne lange zu fragen.
Leise sagte Maurin:»In meiner Gegenwart sind Sie sicher, m'sieur.«Er lie? sich geschickt auf den Schandeckel des Bootes hinab.»Im Moment jedenfalls.»
Bolitho nahm die letzten paar Fu? im Sprung und hielt sich an einem primitiven Backstag fest, angeekelt von dem Gestank nach Schwei? und Dreck.»Merkwurdige Verbundete haben Sie, lieutenant.»
Maurin gab das Zeichen zum Ablegen. Lassig hielt er eine Hand am Griff seiner Pistole.»Wer sich mit Hunden schlafen legt, steht mit Flohen auf, m'sieur. Das ist so ublich.»
Bolitho warf einen raschen Blick auf sein Profil. Vielleicht ein zweiter Herrick?
Doch als sich das Segel krachend fullte und das schlanke Boot Fahrt zu machen begann, dachte er an sein Vorhaben und verga? nicht nur Maurin, sondern auch die besorgten Gesichter auf dem Achterdeck der Undine.
Das Boot glitt gefahrlich dicht an einer Reihe schwarzer Felszacken vorbei, und Bolitho griff wieder nach dem Backstag. Dann nahm es Kurs auf die Hauptdurchfahrt. Er bemerkte, da? die Stromung stark war und der einkommenden Tide entgegenlief. Das Boot stampfte auf dem letzten Teil der Fahrt.
Achteraus war die Undine nicht mehr zu sehen, ein dunkler Landstreifen verbarg sie bereits.
Unvermittelt fragte Maurin:»Warum gehen Sie ein solches Risiko ein, m'sieur?»
Bolitho blickte ihn gelassen an.»Warum tun Sie's?»
Maurin hob die Schultern.»Befehl ist Befehl. Aber bald fahre ich wieder nach Hause. Nach Toulon. Ich habe meine Familie nicht gesehen seit…«Er lachelte trube.»Zu lange nicht.»
Bolitho blickte uber die Schulter des Leutnants und studierte die grimme Festung, die jetzt an Backbord vorbeiglitt. Es war immer noch schwierig, die Ausma?e des Bauwerks festzustellen: eine hohe Mauer auf dem welligen Felsengrat; die Fenster nur kleine schwarze Schlitze. Oben auf der verwitterten Brustwehr konnte er die Mundungen einiger gro?er Geschutze hinter ihren Schie?scharten eben noch erkennen.
Maurin sagte:»Ein schauerlicher Ort, nicht wahr? Aber die sind eben anders als wir. Sie leben wie Krabben zwischen Felsen. «Es klang verachtlich.
Mehrere kleine Boote dumpelten vor Anker, und ein Schoner ahnlich dem, den sie aufgebracht hatten, hatte an einer steinernen Pier festgemacht. Maurin lie? ihn alles in Ruhe betrachten, auch die vielen Gestalten, die den Pier und den ansteigenden Weg zum Festungstor bevolkerten. Bolitho uberlegte, da? man ihn bestimmt mit voller Absicht durch die Hauptzufahrt hereingebracht hatte. Und es war wirklich eindrucksvoll. Der Gedanke, da? sich ein Seerauber, noch dazu ein in Indien Fremder, so eine Macht schaffen konnte, mu?te jeden beeindrucken, selbst einen aufgeblasenen Narren wie Major Jardine.