Blundell richtete sich muhsam auf.»Wir werden zu den Damen hinubergehen, Gott helfe uns!»

Als Bolitho auf die verzierte franzosische Uhr blickte, sah er, da? es fast Mitternacht war. Es schien unglaublich, da? die Zeit so schnell vergehen konnte. Aber trotz der spaten Stunde gab es keine Pause. Ein kleines Streichorchester spielte schwungvolle Tanzweisen, und die Gaste drangten sich lachend auf die Musik zu.

Bolitho ging langsam durch die angrenzenden Raume und hielt nach Susannah Hardwicke Ausschau; wachsam spahte er auch nach seiner Tischdame aus. Als er am Studierzimmer vorbeikam, sah er Blundell, der mit einer Gruppe von Mannern sprach, die meisten wohlhabende Zivilisten. Einer von ihnen, ein gro?er, breitschultriger Mann, stand teilweise im Schatten, aber die eine Halfte seines Gesichts, die im Kerzenlicht zu sehen war, verursachte Bolitho zuerst einen Schock, dann Mitleid. Sie war ganz ausgehohlt, die Haut vom Haaransatz bis zum Kinn weggebrannt, so da? sie aussah wie eine groteske Maske. Er schien Bolithos Blicke auf sich zu fuhlen und drehte ihm nach einem kurzen Aufschauen den Rucken, verbarg sich im Schatten.

Es war kein Wunder, da? er nicht mit den anderen am Abendessen teilgenommen hatte. Man konnte sich vorstellen, was fur eine Pein ihm diese Entstellung bereitete.

«Hier sind Sie ja!«Susannah kam aus einem anderen Raum und legte ihm die Hand auf den Arm.»Bringen Sie mich in den Garten.»

Sie gingen schweigend, und er fuhlte ihr Kleid an seinen Beinen entlangschwingen, die Warme ihres Korpers.

«Sie waren wunderbar, Kapitan. «Sie hielt inne und sah ihn an, ihre Augen leuchteten.»Diese arme Frau. Einen Augenblick lang dachte ich, Sie wurden auf sie hereinfallen.»

«Oh, Sie haben es gesehen?«Bolitho fuhlte sich unbehaglich.

«Ja. «Sie fuhrte ihn in den Garten.»Ich habe sie heimgeschickt. «Sie lachte, der Klang lief durch die Busche wie ein Echo.»Ich kann ja nicht gestatten, da? sie sich bei meinem Kapitan einmischt, nicht wahr?»

«Hoffentlich waren Sie nicht zu streng mit ihr.»

«Nun, sie ist tatsachlich in Tranen ausgebrochen. Es war ziemlich jammerlich. «Sie drehte sich in seinem Arm, ihr weites Kleid breitete sich hinter ihr wie blasses Gold aus.»Ich mu? Sie jetzt verlassen, Kapitan.»

«Aber. Ich dachte, wir wurden uns unterhalten?»

«Spater. «Sie blickte ihn ernst an.»Ich habe Plane fur Ihre Zukunft, wie ich Ihnen schon sagte.»

«Ich mu? morgen Anker lichten. «Er fuhlte sich unglucklich, hilflos.

«Das wei? ich doch, Sie Dummer!«Sie beruhrte seine Lippen.»Runzeln Sie nicht die Stirn, ich erlaube es nicht. Wenn Sie zuruckkommen, werde ich Sie mit einigen meiner Freunde bekanntmachen. Sie werden es nicht bedauern. «Ihre behandschuhten Finger strichen sanft uber seine Wange.»Und ich bestimmt auch nicht.»

Ein Diener erschien im Halbschatten.»Der Wagen ist bereit, Missy.»

Sie nickte. Zu Bolitho sagte sie:»Wenn Sie gegangen sind, werde ich versuchen, diese langweiligen Leute aus dem Haus zu vertreiben. «Sie hob den Kopf und blickte ihn ruhig an.»Sie durfen meine Schulter kussen, wenn Sie wunschen.»

Ihre Haut war uberraschend kuhl und so weich wie ein Pfirsich. Sie ri? sich von ihm los und rief:»Seien Sie brav, Kapitan, und passen Sie gut auf sich auf. Wenn Sie zuruckkommen, werde ich hier sein. «Dann rannte sie leichtfu?ig und lachend uber die Terrasse ins Haus.

Die Kutsche wartete auf ihn, als er benommen durch den schattigen Garten zur Auffahrt ging. Sein Hut und Mantel lagen auf dem Sitz, und am Kutschkasten war eine gro?e Holzkiste festgemacht.

Die Zahne des Dieners leuchteten wei? im Dammerlicht.»Missy Susannah hat fur Sie in der Kuche etwas zu essen zusammenpacken lassen, Sir. «Er kicherte.»Nur das Allerbeste, hat sie gesagt.»

Bolitho kletterte in die Kutsche und sank in die Kissen. Er konnte immer noch ihre Haut an seinem Mund fuhlen, ihr Haar riechen, ein Madchen, das einen Mann verruckt machen konnte, auch wenn er es nicht schon halbwegs war. Am Ende des Piers fand er einen Ruderer, der uber seinen Riemen eingenickt war; er mu?te einige Male rufen, bis er ihn bemerkte.

«Welches Schiff, Sir?»

«Sparrow.»

Nur den Namen auszusprechen, half ihm schon, seine rasenden Gedanken zu beruhigen. Bevor er in den Kahn stieg, blickte er sich nochmals nach der Kutsche um, aber sie war schon verschwunden. Als ware sie Teil eines Traumes.

Der Ruderer murmelte vor sich hin, als er die schwere Kiste die Treppen hinunterhievte. Nicht laut genug, um einen Kapitan zu erzurnen, aber doch laut genug, um sein Trinkgeld deutlich zu erhohen.

Bolitho wickelte sich in seinen Mantel und fuhlte die kuhle Seebrise auf seinem Gesicht. Noch immer West. Es wurde gut sein, auszulaufen, wenn auch nur, um zu sich selbst zu finden und seine Hoffnungen fur die Zukunft zu prufen.

Auffallende Ahnlichkeit

Der Auftrag der Sparrow, die Starke der franzosischen Flotte in Newport zu erkunden, erwies sich als schwieriger, als Bolitho erwartet hatte.

Die Fahrt von Sandy Hook zu den ostlichen Auslaufern von Long Island verlief reibungslos und versprach eine rasche Ruckkehr. Aber das Wetter entschied anders, und in einem wilden Weststurm wurde die kleine Korvette standig hin- und hergeschleudert, so da? Bolitho lieber den Sturm abritt, als Schaden an Rahen und Leinwand zu riskieren.

Als der Wind nachlie?, dauerte es dann viele Tage, wieder zuruckzusegeln; es verging kaum eine Stunde ohne die Notwendigkeit, die Segel zu reffen oder das Schiff auf einen Kurs zu bringen, der es eher von seinem Ziel entfernte, anstatt es ihm naher zu bringen.

Die Vergnugungen New Yorks schienen lange her zu sein, und Bolitho fand, da? die Wirklichkeit mehr als genugte, um seine Energie zu beschaftigen. Trotzdem fand er noch Zeit, an Susannah Hardwicke zu denken. Wenn er mit im Wind flatterndem Haar uber Deck schritt, das Hemd von Gischt durchweicht, erinnerte er sich an ihren Abschied, die Andeutung einer Umarmung, genauso klar, als ob es sich soeben ereignet hatte.

Er nahm an, da? seine Offiziere errieten, was sich in New York ereignet hatte, weil sie sorgfaltig schwiegen.

Die Plackerei gegen den Wind und die standigen Anforderungen an jeden Mann wurden teilweise durch die Gegenwart ihres Passagiers erleichtert. Getreu seinem Wort, war Rupert Majendie kurz vor dem Ankerlichten samt seinen Mal- und Zeichenutensilien an Bord erschienen, und mit einem Repertoire an Geschichten, das seinen Unterhalt an Bord mehr als wert war. Wenn See und Wind sich etwas beruhigten, sah man ihn mit seinem Zeichenblock die Seeleute bei ihrer taglichen Arbeit oder in ihrer Freiwache skizzieren, wenn sie tanzten, kleine Modelle oder andere Schnitzereien machten. War das Wetter weniger freundlich, so verschwand er unter Deck und fand beim Licht einer schwankenden Laterne Arbeit mit Pinsel und Bleistift. Er und Dalkeith waren gute Freunde geworden, was kaum verwunderlich war. Jeder von ihnen kam aus einer anderen Sphare von Kultur und Intelligenz, und sie konnten viel mehr bereden als der normale Seemann.

Nach drei langen Wochen beschlo? Bolitho, nicht langer zu warten. Er rief Tyrell in die Kajute und rollte seine Seekarte auf.

«Wir werden morgen bei Tagesanbruch zur Kuste segeln, Jethro. Der Wind ist noch immer stark, aber ich sehe keine andere Moglichkeit.»

Tyrell lie? die Augen uber die Karte wandern. Die Anfahrt nach Rhode Island war bei anhaltendem Westwind immer ein Problem. In einen Sturm zu geraten, konnte erneutes Abdriften nach Osten bedeuten, und wenn sie einmal in den Klammern des Festlandes und Newports selbst waren, dann blieb wenig Raum fur Segelmanover. Unter normalen Umstanden erforderte es schon Geduld und Verstand. Da aber die Franzosen die Kontrolle uber das Gebiet hatten, war es vollig tollkuhn.

Als ob er seine Gedanken lesen konnte, sagte Bolitho ruhig: