Nichtsdestoweniger mu?te Bolitho zugeben, da? Farquhars Tuchtigkeit sich im gesamten Schiff auswirkte. Geschutzexerzieren mit Wettbewerben zwischen den einzelnen Batterien und Decks hatte die Zeit fur Nachladen und Feuern um Minuten reduziert.

Obwohl Farquhar immer genugend Mu?e fur seine Zerstreuung zu haben schien, war er niemals weit weg, wenn er gebraucht wurde. Und seine Offiziere, von Gilchrist bis zu Midshipman Saxby, hatten gelernt, das zur Kenntnis zu nehmen.

Farquhar hatte immer in dem Ruf gestanden, ein harter Mann zu sein. Doch bis jetzt hatte er sich noch nie als Tyrann gezeigt. Gleich nachdem er das Schiff auf Kurs gebracht hatte, sah er innerhalb weniger Stunden samtliche Schiffsbucher durch, von der Musterrolle und dem Strafbuch bis zu den Listen uber die Vorrate an Leinwand und Ol.

Das war eine neue Seite am Charakter Farquhars, und Bolitho kam, als der Mann, der er nun einmal war, gar nicht auf den Gedanken, da? Farquhar diese Dinge von ihm selbst gelernt hatte; jetzt trugen fruhere Zeiten ihre Fruchte.

Druben auf der Leeseite des Achterdecks stolzierte Leutnant Fitz-Clarence geschaftig auf und ab. Das war auch so eine Geschichte. Farquhar hatte den Zweiten Offizier von dem langweiligen Dienst auf der eroberten Segura abgelost und statt seiner einen Steuermannsmaaten hinubergeschickt, was durchaus richtig war. Und sooft das Wetter es erlaubte, hatte er den Prisenkommandanten ausgewechselt. Midshipmen, Unteroffiziere, sogar Gilchrist (den das machtig argerte) hatten die Segura kommandiert. Das war vernunftig, dabei blieben sie in Form. Aber Farquhar hatte Bolitho nicht etwa um Erlaubnis gefragt. Dergleichen betrachtete er als sein gutes Recht; dafur war er Flaggkapitan.

Er hatte sogar die Anzahl, wenn auch nicht die Strenge der Strafen gemindert, uberprufte jeden Fall personlich, und wenn der ungluckliche Matrose nur etwas verbrochen hatte, weil es uber sein Verstandnis ging, weil sein Vorgesetzter ungenaue Befehle gegeben oder sonst nicht aufgepa?t hatte, war die Sache fur ihn erledigt. Im letzteren Falle verpa?te er sogar dem Anklager kraftigen Extradienst, damit er sich das nachste Mal vorsah. Lag aber andererseits ein echtes Verschulden vor, dann verhangte Farquhar hartere Strafen, als Herrick jemals zugelassen hatte. Das war anscheinend sein einziger wirklicher Fehler.

Farquhar sagte unvermittelt:»Wir werden in Kurze entweder ohne Harebell oder ohne Buzzard auskommen mussen, Sir.»

«Ja.»

Langsam schritt Bolitho an der Luvseite auf und ab. Der Teer in den Ritzen der Planken klebte an seinen Sohlen; die Hitze, vom Schanzkleid zuruckgeworfen, fiel ihn an. Und es war noch nicht einmal neun Uhr morgens. Jeden Tag wurde es hei?er, es war kaum noch auszuhalten.

Farquhar hatte den Finger auf die Wunde gelegt. Die Entscheidung lie? sich nicht langer hinausschieben. Bolitho mu?te dem Admiral einen Bericht schicken, uber seine Einschatzung der Starke und Absichten des Feindes. Doch sobald er eins der Schiffe dazu abgestellt hatte, die er andererseits zum Rekognoszieren notwendig brauchte, waren ihm die Hande gebunden. Aber das war unwichtig zum Vergleich zu den Folgen, wenn der Admiral aus Mangel an Information die Lage falsch beurteilte.

Wenn es Inch nur geschafft hatte, die spanische Brigg zu kapern, ehe die beiden franzosischen Schiffe ihn verjagten! Dann hatte er die zum Admiral schicken konnen.

Bolitho blieb stehen und beschattete die Augen mit der Hand, um nach der Prise Ausschau zu halten. Sie war zu langsam und zu verwundbar. Aber vielleicht konnte man sie zu irgendeinem Tauschungsmanover gebrauchen. Und auch mit ihrer Ladung war vielleicht etwas zu machen: eine Bestechung zum Beispiel.

Stahl klirrte auf Stahl. Er ging zur Achterdecksreling und sah zu, wie die wachfreien Midshipmen unter Pascoes Anleitung mit Degen und Entersabel ubten.

Farquhar sah ihn von der Seite an.»Ich dachte, das ware etwas fur Mr. Pascoe, Sir. «Aus seinem Ton lie? sich nicht heraushoren, was er wirklich dabei dachte.»Er hat sein Konnen bereits an einem meiner fruheren Leutnants bewiesen. Er hat ein gutes Auge. «Dabei lachelte er fluchtig.

Pascoe hatte hinter zwei Midshipmen, die alle paarweise gegeneinander fochten, Aufstellung genommen, machte ihre Schritte mit und brachte Korrekturen an. Ihre Gesichter waren rot vor Anstrengung; offensichtlich hatten sie gemerkt, da? Kommodore und Kommandant ihnen zusahen.

Kling-klang-kling — schlugen die Waffen ihren Stakkatorhyth-mus. In einem wirklichen Gefecht ist das ganz anders, dachte Bo-litho grimmig. Da ist man wild und will nur seinen Mann niederhauen, ehe der einen auf die Planken streckt.

Unter der Backbordlaufbrucke tauchte Gilchrist auf.»Das mu? aber viel besser werden, Mr. Pascoe!»

Farquhar, neben Bolitho, versteifte sich.»Was juckt denn diesen verdammten Kerl?»

Fitz-Clarence marschierte ostentativ an der Leeseite entlang, um Gilchrist anzudeuten, da? er nicht allein war.

«Mr. Fitz-Clarence!«rief Farquhar.»Hopsen Sie gefalligst nicht so herum!«Dann wandte er sich um und sah Gilchrist in das nach oben gewandte Gesicht.»Wie meinten Sie soeben, Mr. Gilchrist?»

«Das Fechten ist unsauber, Sir.»

Schweigend sah Bolitho dem kleinen Drama zu. Die Midshipmen hatten ihre Waffen noch in Position, fochten jedoch nicht mehr. Matrosen, die in den Luvwanten arbeiteten, hielten inne und schauten herab; ihre gebraunten Oberkorper schimmerten golden in der Sonne. Mitten dazwischen stand Pascoe, die dunklen Augen auf Gilchrist gerichtet; nur an seinem heftigen Atmen war zu erkennen, da? er sich argerte.

Und Farquhar — dessen blaue Augen hatten einen ganz merkwurdigen Ausdruck. Bis jetzt hatte er Gilchrist standig beschaftigt gehalten, so da? diesem keine Zeit zur Opposition blieb. Aber nun war es wieder soweit. Warum hatte sich Farquhar so uber ihn geargert? Was juckt diesen verdammten Kerl?

Farquhar schnippte mit den Fingern.»Bootsmannsmaat! Meinen Degen!»

Er ging nach Lee und beugte sich uber die Reling, behielt aber Gilchrist im Auge, der unten auf der gegenuberliegenden Seite stand.

«Mr. Pascoe, lassen Sie diese Anfanger Schlu? machen!«Ohne hinzusehen nahm Farquhar dem besorgt herzueilenden Bootsmannsmaaten den Degen aus der Hand.»Sie haben doch bei einem kuhnen Unternehmen gegen die Dons Ihren Degen eingebu?t, Mr. Pascoe. «Er zog seinen eigenen aus der Scheide und hielt ihn kritisch gegen den Himmel» Eine ganz anstandige Klinge. Geschenk meines verstorbenen Onkels. «Er blickte in Bolithos ernstes Gesicht und fuhr fort:»Doch ich glaube, Sir Henry selbst bevorzugte etwas Schwereres, nicht wahr, Sir? — Mit Ihrer Erlaubnis, Sir!»

Bolitho mu?te sich zusammennehmen, als der junge Pascoe unten mit sicherem Griff die Waffe auffing.

«Und jetzt, Mr. Gilchrist«, sagte Farquhar gelassen,»wenn Sie so freundlich sein wollen, gegen unseren jungsten Leutnant anzutreten, konnten unsere Midshipmen vielleicht etwas lernen — eh?»

Erschrocken starrte Gilchrist erst Pascoe, dann Farquhar an.

«Ich soll mich duellieren, Sir?«Er brachte kaum die Worte heraus.

«Aber nicht doch, kein Duell, Mr. Gilchrist. Eine Lektion, wenn Sie wollen. «Farquhar trat wieder neben Bolitho und sagte leise:»Haben Sie keine Angst um Mr. Pascoe, Sir.»

Der Messesteward hatte Gilchrist einen Degen gebracht. Er hielt ihn in der Hand, als hatte er noch nie im Leben einen gesehen, und murmelte etwas Undeutliches. Verwirrt starrte er die Midshipmen an. Luce machte eine grimmige Miene, weiter hinten stand Saxby mit weit offenem Munde und Augen so gro? wie Untertassen. Dann schien sich Gilchrist der unmoglichen Situation bewu?t zu werden.»Achtung, Mr. Pascoe!«sagte er kurz.

Die Klingen trafen sich, blitzten, zuckten uber den sonnengebleichten Planken wie stahlerne Zungen.

Beim Zusehen bekam Bolitho eine trockene Kehle. Geschmeidig tanzelte Pascoe um die Laffette eines Achtzehnpfunders. Seine Sohlen schienen den Weg zu fuhlen. Bolitho wollte wegsehen, zu Farquhar hin. Hatte dieser wirklich nur vor, Gilchrist seine Arroganz auszutreiben, oder benutzte er die Gelegenheit, um Bolitho mittels Pascoes Fechttalent an seinen toten Bruder Hugh zu erinnern?