«Und Sie, Thomas — alles in Ordnung?»
Herrick wandte sich ab. Eben legte seine Gig an den Gro?rusten an.»Die Osiris ist ein ordentliches Schiff, Sir. Ich kann mich nicht beklagen. Aber das Herz fehlt, der Schwung.»
Bolitho wollte ihm den Arm um die Schulter legen, damit er sah, da? es ein Verlust fur sie beide war. Aber es war nicht der Augenblick dafur, und auch Herrick wu?te das.
«Seien Sie vorsichtig, Thomas«, sagte er nur.
Der Posten der Marine — Infanterie nahm stampfend Haltung an, die Bootsmannsmaaten setzten ihre silberblanken Pfeifen an, um Herrick die Ehrenbezeigung beim Vonbordgehen zu erweisen. Aber er zogerte noch. Seine Miene verriet Bewegung. Schlie?lich sagte er:»Wenn Sie mit dem Geschwader das turkische Fort angehen, dann werde ich nicht weit hinter Ihnen sein. «Mit bittendem Blick hielt er inne.»Ich wollte nur, da? Sie das wissen.»
Bolitho streckte die Hand aus.»Ja, Thomas, das wei? ich. «Er fa?te Herricks Hand und druckte sie kraftig.
Er sah noch, wie Farquhar und Herrick einen formellen Gru? wechselten, und schritt dann langsam uber das Achterdeck zur Luvseite.
Laut schlugen die Segel, denn das Schiff lag beigedreht, bis alle Boote abgelegt hatten; deshalb horte Bolitho nicht, wie jemand zu ihm trat.
Es war Pascoe, seine dunklen Augen lagen tief in den Hohlen vor Mudigkeit. Er war regelma?ig seine Wachen gegangen und hatte wahrend des Sturmes durchgehend Dienst gemacht; aber jede freie Minute hatte er im Orlopdeck bei seinem Freund verbracht.
«Ist was nicht in Ordnung?«fragte Bolitho.
Pascoe hob die Arme und lie? sie hilflos fallen.»Sir, ich. «Er schuttelte den Kopf.»Er ist tot. Vor ein paar Minuten ist er gestorben.»
Bolitho sah seinen Kummer und teilte ihn.»Luce war ein tapferer Junge. «Er nahm Pascoe beim Arm und drehte ihn etwas um, damit die vorbeigehenden Seesoldaten sein Gesicht nicht sahen.»Manchmal kann man sich nur schwer damit abfinden, da? Seeleute ebenso oft durch das Meer umkommen wie in der Schlacht.»
Pascoe erschauerte.»Er hat nie geklagt, nicht nach diesem ersten furchtbaren Schnitt. Ich habe ihm die Hand gehalten. Und gerade heute dachte ich, es ginge ihm ein bi?chen besser. Aber da. «Er konnte nicht weitersprechen.
Farquhar trat herzu und fa?te an den Hut.»Darf ich dem Geschwader Segelbefehl geben, Sir?«Er warf einen Blick auf Pascoe, aber in seinen Augen war kein Mitgefuhl.»Der Wind frischt auf.»
«Ja, bitte. Und signalisieren Sie der Buzzard, sie soll voraus in Lee Position einnehmen. Javal wei?, was er zu erwarten hat. Und der Leutnant hier — «, er deutete auf Pascoe — ,»sollte jetzt ein paar Stunden dienstfrei bekommen.»
Farquhar nickte.»Jawohl, Sir.»
Doch Pascoe sagte:»Ich bin schon wieder in Ordnung, Sir. «Er ruckte seinen Hut zurecht und wandte sich zur Leiter.»Ich mochte meinen Dienst wie immer machen, wenn Sie gestatten.»
Farquhar verzog die Lippen zu einem Lacheln.»Dann geht das also klar.»
Bolitho ging mit ihnen zur Reling. Die Matrosen standen bereits an den Brassen und Fallen bereit.
Pascoe hielt inne, einen Fu? in der Luft uber dem Batteriedeck.»Eins noch, Sir. Wann soll er bestattet werden?»
«Bei Sonnenuntergang. «Er sah den Schmerz in Pascoes Augen.
«Es ist mir gerade eingefallen: mein Degen. Ich mochte, da? er ihn mitbekommt. Ich habe sonst nicht viel.»
Bolitho wartete, bis Pascoe bei seinen Leuten war, und ging dann weiter zur Kampanjeleiter. Leise sagte Grubb:»Der wird mal ein feiner junger Offizier, Sir.»
Bolitho nickte.»So wie er ist, ist er mir schon recht.»
«Aye. «Der Master beschattete seine rotgeranderten Augen und prufte den flatternden Wimpel hoch uber Deck.»Da gibt's welche, die konnen befehlen, aber lernen konnen sie uberhaupt nichts. Gott sei Dank ist er keiner von denen.»
Bolitho stieg die Leiter hoch und trat nach achtern an die vergoldete Heckreling. Unter der Kampanje horte er den Rudergast aussingen:»Kurs Ost, Sir.»
Geschwind schob sich die schlanke Fregatte an den massigen Linienschiffen vorbei; aber diesmal beneidete Bolitho sie nicht um ihre Freiheit. Sein Platz war hier; und nur von der Richtigkeit seiner Entscheidungen hing es ab, ob er ihn behielt.
Er dachte an Pascoe und Herrick, an Allday, der unten in der Kajute herumwerkte.
Diesmal mu?te er richtig entschieden haben, und sei es auch nur um solcher Menschen willen wie diese.
XI Der Brief
Schreiber Moffitt, den schmachtigen Oberkorper tief uber den Tisch gebeugt, blickte Bolitho von unten herauf an und fragte:»Ist das alles fur heute, Sir?»
«Ja, danke. «Bolitho lehnte sich in seinem Sessel zuruck und lok-kertesein Halstuch.»Sagen Sie Ozzard, er soll die Lampen anzunden. «Er blickte durch die Heckfenster in den feurigen, gelbroten Sonnenuntergang.
Wieder ein langweiliger Tag. Zwei Wochen war es her, da? er sich mit seinen Schiffen nach Suden gewandt hatte; und praktisch hatten sie das Mittelmeer fur sich allein. Tag um Tag segelten sie bei leichten Winden die italienische Kuste entlang, und dann westwarts die dunstigen Strande Siziliens entlang. Jetzt waren sie wieder auf Ostkurs, und die Insel Sizilien lag etwa drei?ig Meilen an Backbord voraus. Au?er einigen arabischen Fahrzeugen mit ihren fremdartigen Lateinersegeln waren sie mit keinem Schiff in Kontakt gekommen. Sie hatten zwar ein paar Segel gesichtet, aber die waren verschwunden, ehe die langsamen Vierundsiebziger nahe genug herankommen konnten, um zu sehen, was es mit ihnen auf sich hatte.
Bolitho starrte auf die leere Tischplatte. Wozu eigentlich hatte er wieder so einen inhaltlosen Tagesbericht diktiert — blo? damit Mof-fitt etwas zu tun bekam? Unwichtiges Geschreibsel und zu nichts gut, es sei denn als eventuelles Beweismaterial bei seiner Kriegsgerichtsverhandlung.
Was machte wohl die Buzzard? Hatte sie Gluck gehabt und etwas uber die verschwundenen Franzosen herausbekommen? Javal segelte nicht mehr unter den Augen seines Kommodore; so empfand er vielleicht dessen Wunsche in der Entfernung als nicht mehr so dringlich und hatte sich davongemacht, um seinen eigenen Vorteil zu suchen. Doch Bolitho wu?te, da? er damit Javal Unrecht tat und da? nur seine eigene Depression ihn auf solche Gedanken brachte.
Er stand auf und schritt zur Tur. Solange er sich erinnern konnte, war er gewohnt, beim Anblick des Sonnenuntergangs Frieden, ja sogar Antwort auf seine Fragen zu finden. Rasch stieg er die Leiter zum Kampanjedeck hinauf und lie? den Nordwest durch sein Hemd blasen, damit er etwas von der Hitze, der Schalheit dieses Tages fortnahm. Er ging zur Luvseite, fa?te in die Webleinen und musterte den breiten Streifen aus Kupfer und Gold, der, sich mehr und mehr vertiefend, den ganzen Horizont uberzog. Es war schon, ehrfurchtgebietend sogar; kein Wunder, da? ihm dieser Anblick immer noch das Herz bewegte. Er hatte die Pracht der scheidenden Sonne auf jeder Art von Schiff erlebt und auf allen Meeren, von den kalten Wasserwusten des Atlantik bis zur uppigen Glut der Sudsee.
Die Nicator, im Kielwasser der Osiris, nahm eben eine leichte Kursanderung vor; ihre Fock flatterte kurze Zeit leer und fullte sich dann wieder. Wie unbekummert diese Schiffe wirken mu?ten — wenn jemand dagewesen ware, der sie hatte vorbeisegeln sehen. Nichts deutete auf das brodelnde Leben in ihren runden Bauchen hin oder auf die Reparaturen der Sturmschaden, die auch jetzt noch weitergingen. Wachwechsel, Segel- und Geschutzexerzieren, Essen, Schlafen — das war ihre Welt. Seine Welt. Und doch, nach einem ganzen Tag dieses anstrengenden Dienstes, einem Zwillingsbruder des gestrigen und vermutlich auch des morgigen Tages, fanden diese Manner noch Zeit fur allerlei Privatbeschaftigungen: Knochen- und Holzschnitzereien, verzwickte Flechtarbeiten aus Schnuren und Metallstucken — es war schwer zu begreifen, wie solche zierlichen, feingearbeiteten Gegenstande unter den verhornten Handen britischer Seeleute entstehen konnten. Schnupftabaksdosen, aus getrocknetem Salzfleisch geschnitzt und poliert, erzielten bei den jungeren Offizieren hohe Preise. Solche Dosen waren hart und glanzend wie aus Mahagoni und zeugten nicht nur von der Handfertigkeit des Herstellers, sondern auch von seinem gesunden Magen.