Vom Hügelkreis ins Tal zur festen Burg

Sich regen mag, der Herden Woge sei's,

Ein Heereszug vielleicht; wir schützen jene,

Begegnen diesem. Heute, welch Versäumnis!

Du kommst heran, er meldet's nicht; verfehlt

Ist ehrenvoller, schuldigster Empfang

So hohen Gastes. Freventlich verwirkt

Das Leben hat er, läge schon im Blut

Verdienten Todes; doch nur du allein

Bestrafst, begnadigst, wie dir's wohlgefällt.

Helena

So hohe Würde, wie du sie vergönnst,

Als Richterin, als Herrscherin, und wär's

Versuchend nur, wie ich vermuten darf —

So üb' nun des Richters erste Pflicht,

Beschuldigte zu hören. Rede denn.

Turmwärter Lynkeus

Laß mich knieen, laß mich schauen,

Laß mich sterben, laß mich leben,

Denn schon bin ich hingegeben

Dieser gottgegebnen Frauen.

Harrend auf des Morgens Wonne,

östlich spähend ihren Lauf,

Ging auf einmal mir die Sonne

Wunderbar im Süden auf.

Zog den Blick nach jener Seite,

Statt der Schluchten, statt der Höhn,

Statt der Erd — und Himmelsweite

Sie, die Einzige, zu spähn.

Augenstrahl ist mir verliehen

Wie dem Luchs auf höchstem Baum;

Doch nun mußt' ich mich bemühen

Wie aus tiefem, düsterm Traum.

Wüßt' ich irgend mich zu finden?

Zinne? Turm? geschloßnes Tor?

Nebel schwanken, Nebel schwinden,

Solche Göttin tritt hervor!

Aug' und Brust ihr zugewendet,

Sog ich an den milden Glanz;

Diese Schönheit, wie sie blendet,

Blendete mich Armen ganz.

Ich vergaß des Wächters Pflichten,

Völlig das beschworne Horn;

Drohe nur, mich zu vernichten —

Schönheit bändigt allen Zorn.

Helena

Das übel, das ich brachte, darf ich nicht

Bestrafen. Wehe mir! Welch streng Geschick

Verfolgt mich, überall der Männer Busen

So zu betören, daß sie weder sich

Noch sonst ein Würdiges verschonten. Raubend jetzt,

Verführend, fechtend, hin und her entrückend,

Halbgötter, Helden, Götter, ja Dämonen,

Sie führten mich im Irren her und hin.

Einfach die Welt verwirrt' ich, dopplet mehr;

Nun dreifach, vierfach bring' ich Not auf Not.

Entferne diesen Guten, laß ihn frei;

Den Gottbetörten treffe keine Schmach.

Faust

Erstaunt, o Königin, seh' ich zugleich

Die sicher Treffende, hier den Getroffnen;

Ich seh' den Bogen, der den Pfeil entsandt,

Verwundet jenen. Pfeile folgen Pfeilen,

Mich treffend. Allwärts ahn' ich überquer

Gefiedert schwirrend sie in Burg und Raum.

Was bin ich nun? Auf einmal machst du mir

Rebellisch die Getreusten, meine Mauern

Unsicher. Also fürcht' ich schon, mein Heer

Gehorcht der siegend unbesiegten Frau.

Was bleibt mir übrig, als mich selbst und alles,

Im Wahn des Meine, dir anheimzugeben?

Zu deinen Füßen laß mich, frei und treu,

Dich Herrin anerkennen, die sogleich

Auftretend sich Besitz und Thron erwarb.

Lynkeus

Du siehst mich, Königin, zurück!

Der Reiche bettelt einen Blick,

Er sieht dich an und fühlt sogleich

Sich bettelarm und fürstenreich.

Was war ich erst? was bin ich nun?

Was ist zu wollen? was zu tun?

Was hilft der Augen schärfster Blitz!

Er prallt zurück an deinem Sitz.

Von Osten kamen wir heran,

Und um den Westen war's getan;

Ein lang und breites Volksgewicht,

Der erste wußte vom letzten nicht.

Der erste fiel, der zweite stand,

Des dritten Lanze war zur Hand;

Ein jeder hundertfach gestärkt,

Erschlagne Tausend unbemerkt.

Wir drängten fort, wir stürmten fort,

Wir waren Herrn von Ort zu Ort;

Und wo ich herrisch heut befahl,

Ein andrer morgen raubt' und stahl.

Wir schauten — elig war die Schau;

Der griff die allerschönste Frau,

Der griff den Stier von festem Tritt,

Die Pferde mußten alle mit.

Ich aber liebte, zu erspähn

Das Seltenste, was man gesehn;

Und was ein andrer auch besaß,

Das war für mich gedörrtes Gras.

Den Schätzen war ich auf der Spur,

Den scharfen Blicken folgt' ich nur,

In alle Taschen blickt' ich ein,

Durchsichtig war mir jeder Schrein.

Und Haufen Goldes waren mein,

Am herrlichsten der Edelstein:

Nun der Smaragd allein verdient,

Daß er an deinem Herzen grünt.

Nun schwanke zwischen Ohr und Mund

Das Tropfenei aus Meeresgrund;

Rubinen werden gar verscheucht,

Das Wangenrot sie niederbleicht.

Und so den allergrößten Schatz

Versetz' ich hier auf deinen Platz;

Zu deinen Füßen sei gebracht

Die Ernte mancher blut'gen Schlacht.

So viele Kisten schlepp' ich her,

Der Eisenkisten hab' ich mehr;

Erlaube mich auf deiner Bahn,

Und Schatzgewölbe füll' ich an.

Denn du bestiegest kaum den Thron,

So neigen schon, so beugen schon

Verstand und Reichtum und Gewalt

Sich vor der einzigen Gestalt.

Das alles hielt ich fest und mein,

Nun aber, lose, wird es dein.

Ich glaubt' es würdig, hoch und bar,

Nun seh' ich, daß es nichtig war.

Verschwunden ist, was ich besaß,

Ein abgemähtes, welkes Gras.

O gib mit einem heitern Blick

Ihm seinen ganzen Wert zurück!

Faust

Entferne schnell die kühn erworbne Last,

Zwar nicht getadelt, aber unbelohnt.

Schon ist Ihr alles eigen, was die Burg

Im Schoß verbirgt; Besondres Ihr zu bieten,

Ist unnütz. Geh und häufe Schatz auf Schatz

Geordnet an. Der ungesehnen Pracht

Erhabnes Bild stell' auf! Laß die Gewölbe

Wie frische Himmel blinken, Paradiese

Von lebelosem Leben richte zu.

Voreilend ihren Tritten laß beblümt

An Teppich Teppiche sich wälzen; ihrem Tritt

Begegne sanfter Boden; ihrem Blick,

Nur Göttliche nicht blendend, höchster Glanz.

Lynkeus

Schwach ist, was der Herr befiehlt,

Tut's der Diener, es ist gespielt:

Herrscht doch über Gut und Blut

Dieser Schönheit übermut.

Schon das ganze Heer ist zahm,

Alle Schwerter stumpf und lahm,

Vor der herrlichen Gestalt

Selbst die Sonne matt und kalt,

Vor dem Reichtum des Gesichts

Alles leer und alles nichts.

Helena

Ich wünsche dich zu sprechen, doch herauf

An meine Seite komm! Der leere Platz

Beruft den Herrn und sichert mir den meinen.

Faust

Erst knieend laß die treue Widmung dir

Gefallen, hohe Frau; die Hand, die mich

An deine Seite hebt, laß mich sie küssen.

Bestärke mich als Mitregenten deines

Grenzunbewußten Reichs, gewinne dir

Verehrer, Diener, Wächter all' in einem!

Helena

Vielfache Wunder seh' ich, hör' ich an,

Erstaunen trifft mich, fragen möcht' ich viel.

Doch wünscht' ich Unterricht, warum die Rede

Des Manns mir seltsam klang, seltsam und freundlich.

Ein Ton scheint sich dem andern zu bequemen,

Und hat ein Wort zum Ohre sich gesellt,

Ein andres kommt, dem ersten liebzukosen.

Faust

Gefällt dir schon die Sprechart unsrer Völker,

O so gewiß entzückt auch der Gesang,

Befriedigt Ohr und Sinn im tiefsten Grunde.

Doch ist am sichersten, wir üben's gleich;

Die Wechselrede lockt es, ruft's hervor.

Helena

So sage denn, wie sprech' ich auch so schön?