Pascoe schuttelte so heftig den Kopf, da? ihm das Haar uber die
Augen fiel.»Nein, Sir. Weiter will ich nichts wissen. Ich will nie wieder von ihm horen.»
Bolitho wandte sich ab.»Machen Sie weiter, Mr. Pascoe. Mein Kompliment an Mr. Roth, und er kann eine Stunde lang mit den Geschutzen exerzieren.»
Nachdem der Midshipman schnell die Kajute verlassen hatte, starrte Bolitho auf die geschlossene Tur. Er hatte versagt. Im Lauf der Zeit konnte ein Teil des Schadens vielleicht repariert werden. Argerlich setzte er sich wieder. War das wirklich moglich? Unwahrscheinlich, und es ware dumm, sich etwas vorzumachen. Doch als er an Stepkynes kaltherzige Anschuldigung und das gequalte Gesicht des Jungen dachte, wurde ihm bewu?t, da? er etwas tun mu?te.
Als er an Deck ging, um das Geschutzexerzieren zu beobachten, bemerkte er, da? Gascoigne neben Pascoe trat und ihm die Hand auf die Schulter legte. Doch der Junge schuttelte sie ab und wendete sich ab. Es hatte ihn noch tiefer getroffen, als Bolitho befurchtet hatte.
Inch kam heran.»Es tut mir leid, Sir. «Er machte ein tief bedrucktes Gesicht.
Bolitho wu?te nicht, ob er von dem Jungen sprach oder von der fur ihn neuen Entdeckung uber Bolithos Bruder. Mit unbewegtem Gesicht erwiderte er:»Dann lassen Sie uns mit den Achterdecksgeschutzen exerzieren, Mr. Inch. Sonst konnte uns allen noch sehr vieles leid tun.»
Als das Schrillen der Pfeifen den Beginn des Exerzierens ankundigte, ging Bolitho nach Luv und blickte zum Wimpel auf. Wohin er auch ging, was er auch tat, immer schien die Erinnerung an seinen Bruder uber ihm zu hangen. Und jetzt war auch ein anderer betroffen, einer, der noch weniger in der Lage war als er, mit Ereignissen fertig zu werden, die langst hatten vergessen sein sollen.
Manche Kanoniere, die seinen Gesichtsausdruck bemerkten, bemuhten sich, schneller zu sein als sonst. Und Inch, der mit den Handen auf dem Rucken dabeistand, wie er es oft an Bolitho gesehen hatte, beobachtete ihn ratlos. Mit seiner eigenen Unzulanglichkeit konnte er es jetzt aufnehmen, denn er kannte seine Mangel. Doch als er Bolithos finsteres Gesicht sah, war ihm unbehaglich, und vage Befurchtungen uberkamen ihn.
Vielleicht sollte man besser nicht die schutzende Aura durchdringen, die einen Kommandanten umgab, dachte er. Ein Kommandant mu?te den alltaglichen Umgang meiden, denn ohne Distanz hatte man einen gewohnlichen Menschen in ihm sehen konnen.
Bolithos Stimme schreckte ihn aus seinen Gedanken auf.»Mr. Inch, wenn Sie jetzt soweit sind, dann treten Sie von den Geschutzen zuruck.»
Inch fuhr auf und grinste mit einer gewissen Erleichterung. Das war der Bolitho, den er verstand, und er fuhlte sich nicht mehr ganz so verletzlich.
Vier Wochen spater, als die Hyperion sich muhsam in einem leichten Nordost voranarbeitete, signalisierte die Abdiel, da? ihr Ausguck endlich die Insel St. Kruis gesichtet hatte. Bolitho nahm die Meldung mit gemischten Gefuhlen entgegen. Es bot ihm nur geringen Trost, da? er nach mehreren tausend Meilen Ozean und ohne einem einzigen Schiff zu begegnen, eine perfekte Landung machen wurde. Er wu?te, da? sie ihr Ziel um Tage, sogar eine Woche fruher hatten erreichen konnen, wenn nicht Pelham-Martins enervierende Unfahigkeit gewesen ware, sich an einen festgelegten Plan zu halten, und seine offenkundig nicht vorhandene Bereitschaft, bereits beschlossene Entscheidungen auszufuhren. Vor Trinidad zum Beispiel hatte die Abdiel einen einzelnen Segler am Horizont gesichtet, und nachdem an die Spartan Signal gegeben worden war, sich den anderen Schiffen anzuschlie?en, hatte Pelham-Martin eine Kursanderung befohlen, um den Unbekannten zu stellen. Das war kurz vor Einbruch der Abenddammerung gewesen; Bolitho war der Ansicht, da? es sich um ein lokales Handelsschiff handelte, denn ihm schien es unwahrscheinlich, da? Lequiller sich so nahe bei einem spanischen Stutzpunkt aufhalten wurde.
Als sie wieder ihren alten Kurs aufnahmen, weil sie das fremde Schiff nicht gefunden hatten, war durch Pelham-Martins Saumseligkeit und Unentschlossenheit eine weitere lange Verzogerung entstanden, weil er eine Depesche aufgesetzt hatte, die durch die Spartan uberbracht werden sollte. Aber nicht nach St. Kruis, sondern weit nach Sudwesten an den spanischen Generalbevollmachtigten in Caracas.
Bolitho hatte neben dem Schreibtisch gestanden, wahrend Pelham-Martin den dicken Umschlag versiegelte, und bis zum letzten Augenblick gehofft, da? er den Kommodore von seiner Absicht abbringen konne.
Die Spartan war nutzlicher, wenn sie vor den beiden anderen Schiffen als Kundschafter eingesetzt wurde, statt dem spanischen Gouverneur eine wortreiche und uberflussige Nachricht zu uberbringen. Nach Bolithos Erfahrungen hatten die Spanier nie im Ruf gro?er Schweiger gestanden, und bald wurde sich weit und breit die Nachricht verbreiten, da? englische Schiffe aufgetaucht waren; es gab immer genug Spione, die solche Neuigkeiten an die Stellen weitergaben, fur die sie von Bedeutung waren.
Und obwohl Pelham-Martin nicht bereit war zu kampfen, obwohl der gro?ere Teil seiner Streitkrafte noch Tage oder gar Wochen weit entfernt war, gab er Informationen preis, die ihm nur schaden konnten.
Doch Pelham-Martin blieb eisern.»Das ist eine Frage der Hoflichkeit, Bolitho. Ich wei?, wie wenig Vertrauen Sie in die Spanier setzen, aber zufallig wei? ich auch, da? der Generalgouverneur ein Mann von hoher Herkunft ist. Ein Gentleman erster Ordnung. «Er sah Bolitho mit einem gewissen Mitleid an.»Kriege werden nicht nur mit Pulver und Kanonen gewonnen. Vertrauen und Diplomatie spielen eine wichtige Rolle. «Er hob den Umschlag.»Lassen Sie das hier zur Spartan bringen, und nehmen Sie dann den alten Kurs wieder auf. Signalisieren Sie der Abdiel, ihre gegenwartige Position beizubehalten.»
Kapitan Farquhar mu?te uber seinen neuen Auftrag erleichtert gewesen sein. Fast noch ehe das Boot von der Spartan abgelegt hatte, um zur Hyperion zuruckzukehren, blahten sich die Segel der Fregatte; ihr Rumpf wurde von plotzlicher Aktivitat erfullt, als sie wendete und sich von den anderen Schiffen entfernte.
Doch jetzt hatten sie endlich St. Kruis erreicht. Das grelle Licht der Mittagssonne wich langsam dem milden, orangefarbenen Abendgluhen, als die Ausgucks der Hyperion meldeten, da? sie einen Hohenzug sichteten, der die kleine Insel in Ost-WestRichtung halbierte.
Bolitho stand an der Achterdecksreling und hob sein Glas, um den verschwommenen, violetten Umri? zu studieren, der langsam uber den dunkler werdenden Horizont aufstieg. Uber St. Kruis war nicht viel bekannt, aber das wenige hatte er sich deutlich eingepragt.
Die Insel ma? zwanzig mal funfzehn Meilen und wies eine geraumige Bucht an der Sudwestecke auf. Dieser gro?e Naturhafen war der Hauptgrund fur die Hollander gewesen, die Insel in Besitz zu nehmen. Standig war er von Piraten und Kaperschiffen benutzt worden, um einem arglosen Westindienfahrer oder einer Galeone aufzulauern; die Hollander hatten diese Insel eher aus Notwendigkeit besetzt als aus dem Bedurfnis, ihren Kolonialbesitz zu erweitern.
Nach Bolithos Informationen gab es auf St. Kruis einen Gouverneur und gewisse Verteidigungsanlagen, welche die gemischte Bevolkerung aus hollandischen Aufsehern und importierten Sklaven vor fremder Einmischung schutzen sollten.
Er stutzte die Hande auf die Reling und sah auf das Hauptdeck hinunter. Beide Gangways waren von Matrosen und Marinesoldaten dicht besetzt, die alle uber den Bug hinweg auf den verwischten Flecken Land blickten. Wie fremd mu?te er den meisten ersche inen, dachte er, diesen Mannern, die an grune Felder oder stadtische Slums gewohnt waren, an die Menschenfulle in den unteren Decks. Auch denen, die durch unerbittliche Pre?kommandos von ihren Lieben fortgerissen worden waren, mu?te er wie ein fremder Planet erscheinen. Nach Monaten auf See, bei schlechter Verpflegung und jedem Wetter, kamen sie jetzt an einen Ort, an dem ihre Sorgen unbekannt waren. Die Veteranen an Bord hatten ihnen oft genug von solchen Inseln erzahlt, nun waren sie ein sichtbarer Teil der Welt geworden, in die sie freiwillig oder gezwungen eingetreten waren.