«Und die zweihundert Gefangenen hatte ich hangen lassen sollen, Sir?«Bolitho bemerkte, da? sich die breiten Schultern des Kommodore spannten.»Hatte ich das tun sollen?»
Pelham-Martin wendete sich ihm wieder zu.»Entschuldigen Sie, aber ich bin uberarbeitet. «Er spreizte die Hande.»Aber was soll ich tun mit nur einem Linienschiff?»
«Sie haben keine Wahl, Sir. «Bolitho bemuhte sich, ruhig zu sprechen, konnte seinen Zorn aber nicht verbergen.»Sie konnen kampfen, oder Sie konnen Zuschauer bleiben. Wenn Sie sich fur das Letztere entscheiden, wei? der Feind, da? er tun kann, was er will. Und unsere Freunde hier werden es auch wissen.»
Pelham-Martin sah ihn an. Sein Gesicht lag jetzt im Schatten, nachdem die letzten Strahlen der untergehenden Sonne hinter dem Horizont verschwunden waren.»Also gut. «Er wartete, als ob er auf seine eigenen Worte lausche.»Ich werde tun, was Sie vorschlagen. Doch wenn wir versagen, Bolitho, werde nicht ich allein die Konsequenzen tragen. «Er drehte sich um und ging in seine Kajute.
Bolitho starrte ihm mit gerunzelter Stirn nach. Wenn wir versagen, wird keiner mehr ubrig sein, um daruber zu streiten, ob wir richtig oder falsch gehandelt haben, dachte er bitter.
Dann sah er sich nach Inchs hagerer Gestalt an der Reling um.»Mr. Inch, lassen Sie fur die Abdiel eine abgeschirmte Hecklampe setzen. Dann konnen Sie die Gro?segel fur die Nacht bergen. «Er horte, wie Inch seine Befehle weitergab, hob dann sein Glas und blickte durch das dunkle Netz des Riggs.
Die Insel war in der Dunkelheit verschwunden, ebenso jeder Widerschein von Geschutzfeuer. Der Feind mu?te jetzt auf die Morgendammerung warten.
Inch kam nach achtern getrabt.»Sonst noch etwas, Sir?«Es klang atemlos.
«Sorgen Sie dafur, da? die Leute gut verpflegt werden. Vielleicht mussen wir morgen auf das Fruhstuck verzichten.»
VII Ungleicher Kampf
Bolitho schlo? die Tur zum Kartenraum hinter sich und ging schnell zum Achterdeck. Nur neben dem schwach beleuchteten Kompa? hielt er kurz inne, um sich zu uberzeugen, da? der Bug immer noch genau nach Norden wies. Den gro?ten Teil der Nacht uber waren die Vorbereitung zur Gefechtsbereitschaft ohne Unterbrechung weitergegangen, bis Bolitho, so zufrieden, wie er sein durfte, Halt geboten hatte und die gespannten, aber erschopften Matrosen sich fur wenige Stunden Ruhe neben ihren Geschutzen hingelegt hatten.
Als Bolitho das Achterdeck uberquerte, spurte er die leichte Brise kalt und feucht durch sein offenes Hemd und fragte sich, wie lange das anhalten wurde, sobald die Sonne erst uber den Horizont gestiegen war.
Inch begru?te ihn mit:»Guten Morgen, Sir.»
Bolitho starrte auf seine blasse Gestalt und nickte.»Sie konnen jetzt laden und ausrennen lassen, aber mit sowenig Larm wie moglich.»
Als Inch sich uber die Reling beugte, um den Befehl weiterzugeben, sah Bolitho zum Himmel auf. Er war jetzt viel heller als vor einer halben Stunde. Jetzt konnte er die straff gespannten Netze erkennen, die Tomlin und seine Leute wahrend der Nacht uber dem Deck ausgespannt hatten, um die Kanoniere vor herabsturzenden Rahen und Stengen zu schutzen. Vorher hatten sie sich vom dunklen Himmel nicht abgehoben. Am ostlichen Horizont waren die letzten Sterne verbla?t, und ein paar kleine, vereinzelte Wolken waren auf der Unterseite von einem Hauch Lachsrosa uberzogen.
Bolitho atmete ein paarmal tief ein, versuchte, das Knarren der Lafetten zu ignorieren und das dumpfe Poltern der Geschutze, deren Rohre durch die geoffneten Stuckpforten ausgerannt wurden. Im Gegensatz zu seinen Leuten hatte er nicht geschlafen und die letzte halbe Stunde damit verbracht, sich im Licht einer kleinen Laterne zu rasieren. Zweimal hatte er sich dabei geschnitten, so stark war seine innere Spannung. Aber wenn er sich nicht intensiv mit etwas beschaftigte, gerieten seine Nerven in noch schlechtere Verfassung. Es war immer das gleiche. Die Zweifel und Angste, die Furcht vor dem Versagen, die Angst vor einer schweren Verletzung und das Grauen vor dem Skalpell des Chirurgen, all das geisterte bedrohlich durch seine Gedanken.
Jetzt war das Warten nahezu voruber. Dort vorn, schwarz und nach beiden Seiten ausladend, lag die Insel; jetzt brauchte er kein Glas mehr, um die gedampft schimmernde, wei?liche Brandung auszumachen, wo sich die anlaufende See uber den Riffen brach.
Die Hyperion lag auf Backbordbug hart am Wind, die Marssegel und Bramsegel dichtgeholt, um den schwachen Wind mit gro?tmoglichem Vorteil zu nutzen. Alle unteren Segel waren aufgegeit, denn diese gro?en Leinwandflachen bedeuteten immer Brandgefahr, wenn der Kampf begann.
Inch richtete sich auf, als eine Stimme vom Hauptdeck rief:»Alle Geschutze ausgerannt.»
Wie Bolitho und die anderen Offiziere trug er nur Hemd und Hose; seine Stimme bebte leicht, entweder vor Aufregung oder wegen der Kalte.
«Sehr gut. Schicken Sie einen Midshipman zum Kommodore.»
Wahrend Bolitho sich rasierte, hatte er mehrmals eine Pause gemacht und gelauscht. Doch dieses Mal hatte er kein sanftes Schnarchen durch die Zwischenwand wahrgenommen. Pelham-Martin mu?te ruhelos grubelnd in seiner Koje liegen; er konnte sich nicht einmal mit Kampfvorbereitungen ablenken.
Gossett schneuzte sich in ein gro?es rotes Taschentuch. Das Gerausch erschutterte die allgemeine Stille wie ein Musketenschu?. Verlegen murmelte er:»Verzeihung, Sir.»
Bolitho lachelte.»Langsam! Vielleicht brauchen wir spater Ihren ganzen Wind noch fur die Segel.»
Ein paar Marinesoldaten lachten unterdruckt, und Bolitho war froh, da? sie sein Gesicht nicht sehen konnten.
Inch fragte:»Was mogen die Froschfresser vorhaben?»
«Im Augenblick verhalten sie sich sehr still. «Bolitho beobachtete die kleinen Wellen mit ihren Schaumkopfen, die in Luv langsam am Schiff vorbeiliefen. Jetzt konnte er sie schon auf viel gro?ere Distanz erkennen, und als er den Blick nach vorn richtete, sah er, da? das Land viel klarere Umrisse angenommen hatte und jetzt unmittelbar vor dem Bug aufzuragen schien. Das war eine normale Erscheinung im ersten Tageslicht, aber trotzdem mu?ten sie jetzt bald mehr sichten. Der Kurs der Hyperion verlief so dicht an den Riffen vorbei, wie sie nur wagten, um die gunstigste Position zu gewinnen, wenn der Zeitpunkt zur Wende kam, um entweder an der Bucht vorbei oder in sie einzulaufen.
Sehr viel hing von den Verteidigungsanlagen der Insel ab. Kein Schiff war einer gutpostierten Kustenbatterie gewachsen, aber man konnte ihrer Schlagkraft nie sicher sein. Bolitho erinnerte sich daran, wie er und Tomlin die Klippen bezwangen, als sie auf Cozar im Mittelmeer erfolgreich die franzosische Batterie uberwunden hatten. Wenn man fest genug entschlossen war, konnte man alles schaffen.
Inch rief:»Guten Morgen, Sir!»
Der Kommodore kam auf steifen Beinen an die Reling und schnuffelte in der Luft. Bolitho studierte ihn in dem ungewohnten Halblicht. Er trug einen Bootsmantel, der ihm fast bis zu den Knocheln reichte, und war ohne Hut und ohne jedes Rangabzeichen.
Er wurde stark ins Schwitzen geraten, sobald er in die Sonne kam, dachte Bolitho und empfand einen Anflug von Mitgefuhl, als er an den Grund fur diesen seltsamen Aufzug dachte. PelhamMartin war ein sehr breiter Mann, ein verlockendes Ziel fur einen franzosischen Scharfschutzen, auch ohne da? er sich in seiner richtigen Uniform zeigte.
Ruhig sagte er:»Bald ist es soweit, Sir. Der Wind kommt stetig von Nordost, und bis wir ganz dicht unter die Kuste gelangen, haben wir genug Zug in den Segeln.»
Pelham-Martin zog seinen kleinen Kopf tief in den Kragen ein.»Vielleicht. Ich wei? es nicht. Dessen bin ich sicher. «Er trat etwas zur Seite und versank wieder in Schweigen.
Bolitho wollte Inch gerade ansprechen, als er sah, da? die Augen des Leutnants wie Zwillingsfeuer aufloderten. Noch als er sich hastig umdrehte, horte er eine gewaltige Explosion uber das offene Wasser hallen und sah eine hohe Flammensaule zum Himmel aufsteigen, Funken nach allen Seiten spruhen und viele hundert Fu? hoch fliegen.