Zwanzig Minuten spater verlie?en sie Eeylops Eulenkaufhaus. Dunkel war es dort gewesen, aus der einen oder andern Ecke hatten sie ein Flattern gehort, und gelegentlich waren diamanthelle Augenpaare aufgeblitzt. Harry trug jetzt einen gro?en Kafig, in dem eine wunderschone Schneeule sa?, tief schlafend mit dem Kopf unter einem Flugel. Unablassig stammelte er seinen Dank und klang dabei genau wie Professor Quirrell.

»Nicht der Rede wert«, sagte Hagrid schroff. »Kann mir denken, da? du von diesen Dursleys nicht allzu viele Geschenke bekommen hast. Mussen jetzt nur noch zu Ollivander, einem Laden fur Zauberstabe, und du brauchst den besten.«

Ein Zauberstab… darauf war Harry am meisten gespannt.

Der Laden war eng und schabig. Uber der Tur hie? es in abblatternden Goldbuchstaben: Ollivander – Gute Zauberstabe seit 382 v. Chr. Auf einem verbla?ten purpurroten Kissen im staubigen Fenster lag ein einziger Zauberstab.

Sie traten ein und von irgendwo ganz hinten im Laden kam das helle Lauten einer Glocke. Der Raum war klein und leer mit Ausnahme eines einzigen storchbeinigen Stuhls, auf den sich Hagrid niederlie?, um zu warten. Harry fuhlte sich so fremd hier, als ob er eine Bibliothek mit sehr strenger Aufsicht betreten hatte. Er schluckte eine Menge neuer Fragen hinunter, die ihm gerade eingefallen waren, und betrachtete statt dessen tausende von langlichen Schachteln, die fein sauberlich bis an die Decke gestapelt waren. Aus irgendeinem Grund kribbelte es ihm im Nacken. Allein der Staub und die Stille hier schienen ihn mit einem geheimen Zauber zu kitzeln.

»Guten Tag«, sagte eine sanfte Stimme. Harry schreckte auf. Auch Hagrid mu?te erschrocken sein, denn ein lautes Knacken war zu horen, und rasch erhob er sich von den Storchenbeinen.

Ein alter Mann stand vor ihnen, seine weit geoffneten, blassen Augen leuchteten wie Monde durch die Dusternis des Ladens.

»Hallo«, sagte Harry verlegen.

»Ah ja«, sagte der Mann. »Ja, ja. Hab mir gedacht, da? Sie bald vorbeikommen. Harry Potter.« Das war keine Frage. »Sie haben die Augen Ihrer Mutter. Mir kommt es vor, als ware sie erst gestern selbst hier gewesen und hatte ihren ersten Zauberstab gekauft. Zehneinviertel Zoll lang, geschmeidig, aus Weidenholz gefertigt. Hubscher Stab fur bezaubernde Arbeit.«

Mr. Ollivander trat naher. Harry wunschte, er wurde einmal blinzeln. Diese silbernen Augen waren etwas gruslig.

»Ihr Vater hingegen wollte lieber einen Zauberstab aus Mahagoni. Elf Zoll. Elastisch. Ein wenig mehr Kraft und hervorragend geeignet fur Verwandlungen. Nun ja, ich sage, Ihr Vater wollte ihn – im Grunde ist es naturlich der Zauberstab, der sich den Zauberer aussucht.«

Mr. Ollivander war Harry so nahe gekommen, da? sich beider Nasenspitzen fast beruhrten. Harry konnte in diesen nebligen Augen sein Spiegelbild sehen.

»Und hier hat… «

Mr. Ollivander beruhrte die blitzformige Narbe auf Harrys Stirn mit einem langen, wei?en Finger.

»Leider mu? ich sagen, da? ich selbst den Zauberstab verkauft habe, der das angerichtet hat«, sagte er sanft. »Dreizehneinhalb Zoll. Tja. Machtiger Zauberstab, sehr machtig, und in den falschen Handen… Nun, wenn ich gewu?t hatte, was dieser Zauberstab drau?en in der Welt anstellen wurde… «

Er schuttelte den Kopf und bemerkte dann zu Harrys Erleichterung Hagrid.

»Rubeus! Rubeus Hagrid! Wie schon, Sie wieder zu sehen… Eiche, sechzehn Zoll, recht biegsam, nicht wahr?«

»Ja, Sir, das war er«, sagte Hagrid.

»Guter Stab, mu? ich sagen. Aber ich furchte, man hat ihn zerbrochen, als Sie ausgesto?en wurden?«, sagte Mr. Ollivander plotzlich mit ernster Stimme.

»Ahm – ja, das haben sie, ja«, sagte Hagrid und scharrte mit den Fu?en. »Hab aber immer noch die Stucke«, fugte er strahlend hinzu.

»Aber Sie benutzen sie nicht, oder?«, sagte Mr. Ollivander scharf.

»O nein, Sir«, sagte Hagrid rasch. Harry bemerkte, da? er seinen rosa Schirm fest umklammerte, wahrend er sprach.

»Hmmm«, sagte Mr. Ollivander und sah Hagrid mit durchdringendem Blick an. »Nun zu Ihnen, Mr. Potter. Schauen wir mal.« Er zog ein langes Bandma? mit silbernen Strichen aus der Tasche. »Welche Hand ist Ihre Zauberhand?«

»Ahm – ich bin Rechtshander«, sagte Harry.

»Strecken Sie Ihren Arm aus. Genau so.« Er ma? Harry von der Schulter bis zu den Fingerspitzen, dann vom Handgelenk zum Ellenbogen, von der Schulter bis zu den Fu?en, vom Knie zur Armbeuge und schlie?lich von Ohr zu Ohr. Wahrend er mit dem Ma?band arbeitete, sagte er:»Jeder Zauberstab von Ollivander hat einen Kern aus einem machtigen Zauberstoff, Mr. Potter. Wir benutzen Einhornhaare, Schwanzfedern von Phonixen und die Herzfasern von Drachen. Keine zwei Ollivander-Stabe sind gleich, ebenso wie kein Einhorn, Drache oder Phonix dem andern aufs Haar gleicht. Und naturlich werden Sie mit dem Stab eines anderen Zauberers niemals so hervorragende Resultate erzielen.«

Harry fiel plotzlich auf, da? das Ma?band, welches gerade den Abstand zwischen seinen Nasenlochern ma?, dies von selbst tat. Mr. Ollivander huschte zwischen den Regalen herum und nahm Schachteln herunter.

»Das wird reichen«, sagte er, und das Bandma? schnurrte zu einem Haufen auf dem Boden zusammen. »Nun gut, Mr. Potter. Probieren Sie mal diesen. Buchenholz und Drachenherzfasern. Neun Zoll. Handlich und biegsam. Nehmen Sie ihn einfach mal und schwingen Sie ihn durch die Luft.«

Harry nahm den Zauberstab in die Hand und schwang ihn ein wenig hin und her (wobei er sich albern vorkam), doch Mr. Ollivander ri? ihm den Stab gleich wieder weg.

»Ahorn und Phonixfeder. Sieben Zoll. Peitscht so richtig. Versuchen Sie's!«

Harry versuchte es, doch kaum hatte er den Zauberstab erhoben, entri? ihm Mr. Ollivander auch diesen.

»Nein, nein – hier, Elfenbein und Einhornhaare, achteinhalb Zoll, federnd. Nur zu, nur zu, probieren Sie ihn aus.«

Harry probierte. Und probierte. Er hatte keine Ahnung, worauf Mr. Ollivander eigentlich wartete. Der Stapel mit den abgelegten Zauberstaben auf dem storchbeinigen Stuhl wuchs immer hoher, doch je mehr Zauberstabe Mr. Ollivander von den Regalen zog, desto glucklicher schien er zu werden.

»Schwieriger Kunde, was? Keine Sorge, wir werden hier irgendwo genau das Richtige finden. Ich frage mich jetzt – Ja, warum eigentlich nicht – ungewohnliche Verbindung – Stechpalme und Phonixfeder, elf Zoll, handlich und geschmeidig.«

Harry ergriff den Zauberstab. Plotzlich spurte er Warme in den Fingern. Er hob den Stab uber den Kopf und lie? ihn durch die staubige Luft herabsausen. Ein Strom roter und goldener Funken scho? aus der Spitze hervor wie ein Feuerwerk, das tanzende Lichtflecken auf die Wande warf Hagrid johlte und klatschte, und Mr. Ollivander rief. »Aah, bravo. Ja, in der Tat, oh, sehr gut. Gut, gut, gut… Wie seltsam… Ganz seltsam… «

»Verzeihung«, sagte Harry,»aber was ist seltsam?«

Mr. Ollivander sah Harry mit blassen Augen fest an.

»Ich erinnere mich an jeden Zauberstab, den ich je verkauft habe, Mr. Potter. An jeden einzelnen. Es trifft sich nun, da? der Phonix, dessen Schwanzfeder in Ihrem Zauberstab steckt, noch eine andere Feder besa? – nur eine noch. Es ist schon sehr Seltsam, da? Sie fur diesen Zauberstab bestimmt sind, wahrend sein Bruder – nun ja, sein Bruder Ihnen diese Narbe beigebracht hat.«

Harry schluckte.

»Ja, dreizehneinhalb Zoll. Tja. Wirklich merkwurdig, wie die Dinge zusammentreffen. Der Zauberstab sucht sich den Zauberer, erinnern Sie sich… Ich denke, wir haben Gro?artiges von Ihnen zu erwarten, Mr. Potter… Schlie?lich hat auch Er-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf Gro?artiges getan – Schreckliches ja, aber Gro?artiges.«

Harry schauderte. Er war sich nicht sicher, ob er Mr. Ollivander besonders gut leiden mochte. Er zahlte sieben goldene Galleonen fur seinen Zauberstab und Mr. Ollivander geleitete sie mit einer Verbeugung aus der Tur.

Die spate Nachmittagssonne stand tief am Himmel, als sich Harry und Hagrid auf den Ruckweg durch die Winkelgasse machten, zuruck durch die Mauer, zuruck durch den Tropfenden Kessel, der nun menschenleer war. Harry schwieg, wahrend sie die Stra?e entlanggingen; er bemerkte nicht einmal, wie viele Menschen in der U-Bahn sie mit offenem Munde anstarrten, beladen wie sie waren mit ihren merkwurdigen Packchen und mit der schlafenden Schneeule auf Harrys Scho?. Wieder fuhren sie eine Rolltreppe hoch, und hinaus ging es auf den Bahnhof Paddington. Harry erkannte erst, wo sie waren, als Hagrid ihm auf die Schulter klopfte.