Harry wartete drau?en vor der Tur, um zu horen, ob die andern beiden etwas herausgefunden hatten, doch viel Hoffnung machte er sich nicht. Immerhin suchten sie schon seit zwei Wochen, doch da sie zwischen den Unterrichtsstunden nur gelegentlich einmal Zeit hatten, war c s kein Wunder, da? sie noch nichts gefunden hatten. Was sie wirklich brauchten, war viel Zeit zum Suchen, ohne da? ihnen Madam Pince standig uber die Schultern sah.

Funf Minuten spater kamen Ron und Hermine heraus und schuttelten die Kopfe. Sie gingen zum Abendessen.

»Ihr sucht doch weiter, wahrend ich weg bin, oder?«, sagte Hermine. »Und schickt mir eine Eule, wenn ihr irgendwas herausfindet.«

»Und du konntest deine Eltern fragen, ob sie wissen, wer Flamel ist«, sagte Ron. »Da kann nichts passieren.«

»Uberhaupt nichts, denn sie sind beide Zahnarzte«, sagte Hermine.

Als die Ferien einmal begonnen hatten, ging es Ron und Harry einfach zu gut, um lange uber Flamel nachzudenken. Sie hatten den ganzen Schlafsaal fur sich, auch im Aufenthaltsraum. war viel mehr Platz als sonst, und sie konnten die guten Sessel am Kamin belegen. Da sa?en sie stundenlang und verspeisten alles, was sie auf eine Rostgabel spie?en konnten: Brot, Pfannkuchen, Marshmallows, und schmiedeten Plane, wie sie es anstellen konnten, da? Malfoy von der Schule flog. Das auszuhecken machte Spa?, auch wenn es nicht klappen wurde.

Ron brachte Harry auch Zauberschach bei. Das ging genauso wie Muggelschach, au?er da? die Figuren lebten, und so war es fast das Gleiche wie Truppen in eine Schlacht zu fuhren. Wie alles andere, das Ron besa?, hatte es einst – jemandem aus seiner Familie gehort – in diesem Fall seinem Gro?vater. Allerdings waren die alten Schachmenschen uberhaupt kein Nachteil. Ron kannte sie so gut, da? er sie immer muhelos dazu bringen konnte, genau das zu tun, was er wollte.

Harry spielte mit Schachmenschen, die ihm Seamus Finnigan geliehen hatte, und die trauten ihm uberhaupt nicht. Er war noch kein guter Spieler und sie riefen ihm standig Ratschlage zu, allerdings widerspruchliche, was ihn heftig verwirrte:»Schick mich ja nicht dorthin, siehst du denn nicht seinen Springer? Schick doch den da, auf den konnen wir verzichten.«

Heiligabend ging Harry voller Vorfreude auf das Essen und den Spa? am Weihnachtstag zu Bett; Geschenke erwartete er uberhaupt keine. Als er fruh am nachsten Morgen erwachte, sah er als Erstes einen Stapel Packchen am Fu?ende seines Bettes.

»Frohliche Weihnachten«, sagte Ron schlafrig, als Harry aus dem Bett stieg und seinen Morgenmantel anzog.

»Dir auch«, sagte Harry. »Schau dir das mal an! Ich hab Geschenke bekommen!«

»Was hast du erwartet, Runkelruben?«, sagte Ron und machte sich an seinen eigenen Stapel, der um einiges gro?er war als der Harrys.

Harry nahm das oberste Packchen in die Hand. Es war mit dickem braunem Papier umwickelt und quer daruber war Fur Harry von Hagrid gekrakelt. Drinnen war eine grob geschnitzte holzerne Flote. Offenbar hatte Hagrid sie selber zugeschnitten. Harry blies hinein – sie klang ein wenig wie eine Eule.

Ein zweites, winziges Packchen enthielt einen Zettel.

Wir haben deine Nachricht erhalten und fugen dein Weihnachtsgeschenk bei. Von Onkel Vernon und Tante Petunia. Mit Klebeband war ein Funfzig-Pence-Stuck auf den Zettel geklebt.

»Das ist nett«, sagte Harry.

Ron war von den funfzig Pence fasziniert.

»Komisch!«, sagte er. »Diese Form! Ist das Geld?«

»Du kannst es behalten«, sagte Harry und lachte, als er sah, wie Ron sich freute. »Hagrid und Tante und Onkel – und von wem ist das hier?«

»Ich glaub, ich wei?, von wem das ist«, sagte Ron, deutete auf ein recht klumpiges Paket und lief ein wenig rosa an. »Von meiner Mum. Ich hab ihr gesagt, da? du keine Geschenke erwartest und – o nein«, stohnte er,»sie hat dir einen Weasley-Pulli gestrickt!«

Harry hatte das Paket aufgerissen und einen dicken, handgestrickten Pullover in Smaragdgrun gefunden und eine gro?e Schachtel selbst gebackener Platzchen.

»Sie strickt uns jedes Jahr einen Pulli«, sagte Ron, wahrend er seinen eigenen auspackte,»und meiner ist immer kastanienbraun.«

»Das ist wirklich nett von ihr«, sagte Harry und probierte von den Platzchen, die kostlich schmeckten.

Auch sein nachstes Packchen enthielt Su?igkeiten – es war eine gro?e Schachtel Schokofrosche von Hermine.

Ein Packchen war jetzt noch ubrig. Harry hob es auf und betastete es. Es war sehr leicht. Er wickelte es aus.

Etwas Flie?endes und Silbergraues glitt auf den Boden, wo es in schimmernden Falten dalag. Ron machte gro?e Augen.

»Ich hab davon gehort«, sagte er mit gedampfter Stimme und lie? die Schachtel mit Bohnen jeder Geschmacksrichtung fallen, die er von Hermine bekommen hatte. »Wenn das das ist, was ich glaube – sie sind wirklich selten und wirklich wertvoll.«

»Was ist es?«

Harry hob das silbern leuchtende Stuck Stoff vom Boden hoch. Es fuhlte sich seltsam an, wie Wasser, das in Seide eingewebt war.

»Es ist ein Umhang, der unsichtbar macht«, sagte Ron mit ehrfurchtigem Gesicht. »Ganz bestimmt – probier ihn mal an.«

Harry warf sich den Umhang uber die Schultern und Ron stie? einen Schrei aus.

»Es stimmt! Schau!«

Harry sah hinunter auf seine Fu?e, doch die waren verschwunden. Er sturzte hinuber zum Spiegel. Gewi?, sein Spiegelbild sah ihn an, freilich nur sein Kopf, der Korper war vollig unsichtbar. Er zog den Umhang uber den Kopf und sein Spiegelbild verschwand vollends.

»Da liegt ein Zettel!«, sagte Ron plotzlich. »Ein Zettel ist rausgefallen!«

Harry streifte den Umhang ab und hob den Zettel auf In enger, verschlungener Handschrift, die er noch nie gesehen hatte, standen da die folgenden Worte:

Dein Vater hat mir dies vor seinem Tode zur Aufbewahrung uberreicht. Nun ist die Zeit gekommen, ihn dir zugeben.

Gebrauche ihn klug.

Frohliche Weihnachten wunsche ich dir

Unterschrieben hatte niemand. Harry starrte auf den Zettel. Ron bewunderte den Umhang.

»Ich wurde alles geben fur einen davon«, sagte er. »Alles. Was ist los mit dir?«

»Nichts«, sagte Harry. Ihm war seltsam zumute. Wer hatte ihm den Umhang geschickt? Hatte er wirklich einst seinem Vater gehort?

Bevor er noch etwas denken oder sagen konnte, flog die Tur zum Schlafsaal auf und Fred und George Weasley sturmten herein. Harry steckte den Umhang schnell weg. Ur hatte keine Lust, ihn uberall herumzureichen.

»Frohe Weihnachten!«

»Hey, sieh mal – Harry hat auch 'nen Weasley-Pulli!«

Fred und George trugen blaue Pullover, der eine mit einem gro?en gelben F darauf gestickt, der andere mit einem G.

»Der von Harry ist aber besser als unserer«, sagte Fred und hielt Harrys Pullover hoch. »Sieht so aus, als ob sie sich nicht anstrengt, wenn du nicht zur Familie gehorst.«

»Warum tragst du deinen Pulli nicht, Ron?«, fragte George. »Komm, zieh ihn an, sie sind herrlich warm.«

»Ich mag Kastanienbraun nicht«, meinte Ron halbherzig und zog sich den Pulli uber.

»Du hast keinen Buchstaben auf deinem«, stellte George fest. »Sie denkt wohl, du vergi?t deinen Namen nicht. Aber wir sind nicht dumm – wir wissen, da? wir Gred und Forge hei?en.«

»Was macht ihr da eigentlich fur einen Larm?«

Percy Weasley steckte mit mi?billigendem Blick den Kopf durch die Tur. Offensichtlich war er schon halb mit dem Geschenkeauspacken fertig, denn auch er trug einen zusammengeknauelten Pullover auf dem Arm, den ihm Fred entri?.

»V fur Vertrauensschuler! Zieh ihn an, Percy, los komm schon, sogar Harry hat einen gekriegt.«

»Ich – will – nicht -«, sagte Percy halb erstickt, wahrend die Zwillinge ihm den Pullover uber den Kopf zwangten und dabei seine Brille verbogen.

»Und du hockst dich heute nicht zu den Vertrauensschulern«, sagte George. »Weihnachten verbringt man mit der Familie.«

Sie hatten Percys Arme nicht durch die Armel des Pullovers gesteckt, und so gefesselt nahmen sie ihn nun auf die Schultern und marschierten mit ihm hinaus.