Alexander Kent

Kanonenfutter — Leutnant Bolithos Handstreich in Rio

Fur Winifred, in Liebe

I Willkommen an Bord

Richard Bolitho druckte dem Mann, der seine Seekiste zur Pier getragen hatte, ein paar Munzen in die Hand. Ihn frostelte in der na?kalten Luft. Obwohl der Vormittag schon halb herum war, lagen die langgestreckten Hauserreihen von Plymouth und die Umgebung noch in Nebelschwaden gehullt. Kein Windhauch war zu spuren, alles wirkte duster und unheimlich.

Bolitho reckte sich und lie? seine Blicke angestrengt uber das kabbelige Wasser des Hamoaze schweifen. Dabei spurte er die ungewohnt steife Leutnantsuniform, die — wie alles in seiner Seekiste — funkelnagelneu war: die wei?en Aufschlage auf seinem Rock ebenso wie der Hut mit der im Dreieck hochgeschlagenen Krempe, den er etwas ungeschickt auf sein schwarzes Haar gestulpt hatte. Sogar Kniehose und Schuhe stammten aus demselben Geschaft in Falmouth — seiner Heimatstadt in der Grafschaft auf der anderen Uferseite —, von demselben Schneider, der, wie schon seine Vorfahren, neuernannte Seeoffiziere eingekleidet hatte, seit man sich erinnern konnte.

Dies war ein gro?er Augenblick fur Richard Bolitho, die Verwirklichung all seines Hoffens und Strebens: dieser erste, oft unerreichbar scheinende Schritt vom Kadettenlogis zur Offiziersmesse, zur Wurde eines Koniglichen Seeoffiziers.

Er druckte seinen Hut so fest in die Stirn, als wolle er sich damit noch einmal selber bestatigen. Es war tatsachlich ein gro?er Augenblick.

«Sie wollen auf die Destiny, Sir?»

Der Mann, der seine Seekiste getragen hatte, stand immer noch neben ihm. In dem truben Licht wirkte er armlich und abgerissen, doch unverkennbar als das, was er einmal gewesen war: ein Seemann.

Bolitho sagte:»Ja, sie mu? irgendwo da drau?en liegen.»

Der Mann folgte seinem Blick uber das Wasser, doch seine Augen schienen in unbekannte Fernen zu schauen.

«Eine schone Fregatte, Sir. Knapp drei Jahre alt. «Er nickte traurig.»Sie wird schon seit Monaten ausgerustet. Es hei?t, fur eine lange Reise.»

Bolitho dachte uber den Mann und all die Hunderte von Mannern nach, die in den Hafen und Kustenorten herumlungerten, Arbeit suchten und sich dabei nach der See sehnten, die sie so oft aus vollem Herzen verflucht hatten.

Aber man schrieb jetzt Februar 1774, und bekanntlich befand sich England seit Jahren im Frieden. Sicherlich gab es hier und da auf der Welt kriegerische Zusammensto?e, aber dabei ging es meist um ortliche Handelsinteressen oder um Selbstbehauptung. Die alten Feinde blieben trotzdem die gleichen: entschlossen, ihre Zeit abzuwarten und den schwachen Punkt des Gegners zu finden, um diesen eines gunstigen Tages zu benutzen.

Schiffe und Manner, die einst ihr Gewicht in Gold wert gewesen waren, hatte man ausgemustert. Die Schiffe verrotteten, die Seeleute — wie diese zerlumpte Gestalt mit fingerloser rechter Hand und einer tiefen Narbe auf der Backe — hatte man ohne Abfindung und Versorgung einfach an Land gesetzt.

Bolitho fragte:»Auf welchem Schiff sind Sie gefahren?»

Der Mann schien plotzlich zu wachsen, als er antwortete:

«Auf der Torbay, Sir. Unter Kapt'n Keppel. «Genauso schnell sank er wieder zusammen.»Gibt's eine Chance fur mich bei Ihnen an Bord,

Sir?»

Bolitho schuttelte den Kopf.»Ich bin neu und wei? noch nicht, wie es auf der Destiny aussieht.»

Der Mann seufzte.»Ich werde Ihnen ein Boot rufen, Sir.»

Er steckte zwei Finger seiner heilen Hand in den Mund und lie? einen durchdringenden Pfiff ertonen. Als Antwort horte man durch den Nebel das Platschern von Riemen, und dann naherte sich langsam ein Ruderboot.

Bolitho rief:»Zur Destiny, bitte!»

Als er sich umdrehte, um seinem abgerissenen Begleiter noch ein paar Munzen zuzustecken, war der schon wie ein Geist im Nebel verschwunden.

Bolitho kletterte ins Boot, zog seinen neuen Umhang fester und klemmte den Sabel zwischen die Knie. Das Warten war voruber. Es hie? nicht langer: ubermorgen oder morgen. Es war jetzt.

Das Boot dumpelte und gluckste in dem kabbeligen Wasser, wahrend der Ruderer Bolitho mit wenig Sympathie musterte. Wieder so ein junger Fant, der armen Seeleuten das Leben zur Holle machen wird, dachte er wohl. Und er mochte uberlegen, ob der junge Offizier mit dem ernsten Gesicht und dem schwarzen, im Nacken zusammengebundenen Haar uberhaupt wu?te, was er fur das Ubersetzen bezahlen mu?te. Er sprach mit dem Akzent eines Mannes aus dem Westen. Auch wenn er nur ein» Auslander «vom jenseitigen Ufer war, aus Cornwall, so wurde er sich doch von ihm nicht anschmieren lassen.

Bolitho rekapitulierte noch einmal, was er bisher uber sein neues Schiff erfahren hatte: drei Jahre alt, hatte der zerlumpte Trager gesagt. Er sollte es wissen. Denn ganz Plymouth grubelte daruber, warum man sich in diesen schweren Zeiten solche Muhe mit der Ausrustung und Bemannung einer Fregatte machte.

Im ubrigen: Mit achtundzwanzig Kanonen bestuckt, dabei schnell und beweglich, war die Destiny ein Schiffstyp, von dem die meisten jungen Offiziere traumten. Im Krieg war eine Fregatte nur lose der Flotte zugeordnet, war schneller als jedes gro?ere Schiff und starker als jedes kleinere: kurz, ein Faktor, mit dem man rechnen mu?te. An Bord einer Fregatte gab es auch bessere Aussichten auf fruhzeitige Beforderung, und spater — wenn man den Gipfel, namlich das Kommando uber solch ein Schiff, erreicht hatte — bot sie auch Aussicht auf kuhne Unternehmungen und reiche Prisengelder.

Bolitho dachte an sein letztes Schiff, das Linienschiff Gorgon: vierundsiebzig Kanonen, riesengro? und plump, mit einem Gewimmel von Menschen, mit gewaltigen Segeln, meilenlangem Tauwerk und riesigen Masten und Rahen. Es war au?erdem eine Schule gewesen, eine sehr strenge Schule, in der die jungen Kadetten und Fahnriche vieles lernen mu?ten, vor allem aber, ihre Gefuhle zu beherrschen und auch Ungerechtigkeiten zu ertragen.

Bolitho schaute hoch, als der Bootsmann sagte:»Mu?te jetzt in Sicht kommen, Sir.»

Bolitho spahte nach vorn, froh uber die Unterbrechung. Was hatte seine Mutter gesagt, als er sich von ihr in dem gro?en grauen Haus in Falmouth verabschiedet hatte?» Wirf alles hinter dich, Dick. Du kannst nichts ungeschehen machen. Darum pa? jetzt auf dich auf. Die See taugt nicht fur Traumer.»

Die Nebelwand wurde erst dunkler und teilte sich dann, als das vor Anker liegende Schiff aus dem Dunst auftauchte. Das Boot naherte sich seinem Bug von der Steuerbordseite und schwabberte unter dem weit vorragenden Kluverbaum nach achtern. Wie Bolithos neue Uniform auf der nassen Pier, so schien die Destiny in den truben Nebelschwaden zu schimmern.

Von ihrer schlank wirkenden, schwarz-gelben Bordwand bis zu den drei Mastspitzen war sie ein Vollblut. Ihre Wanten, Stage und Pardu-nen waren neu geteert, ihre Rahen sauber quergebra?t, und jedes Segel war sorgfaltig aufgetucht. Bolitho schaute zur Galionsfigur empor, die ihn zu begru?en schien. Es war die schonste Figur, die er je gesehen hatte: ein barbusiges Madchen, dessen ausgestreckter Arm auf den fernen Horizont zu weisen schien. In der anderen Hand hielt es einen Lorbeerkranz. Nur die goldenen Blatter und die starren blauen Augen setzten Farbakzente in das reine Wei? der Gestalt.

Zwischen zwei Riemenschlagen erlauterte der Bootsmann:»Man sagt, der Holzschnitzer hat seine junge Braut als Modell fur die Figur benutzt, Sir. «Er zeigte grinsend seine ha?lichen Zahne.»Ich wette, er hat ein paar Kerls wegboxen mussen, ehe er sie bekam.»

Bolitho musterte die Fregatte, als sie an ihrer Bordwand entlang-dumpelten, und sah, da? sich ein paar Leute auf der Laufbrucke hoch uber ihm zu schaffen machten. Sie war ein schones Schiff. Er hatte Gluck gehabt.