Sie sagte leise:»Morgen mu? ich dich verlassen, Richard. Mein Mann hat die Dokumente unterschrieben, damit ist alles erledigt. Der Kommandant hat versprochen, da? er uns gehen la?t, wohin wir wollen, sobald er den Gouverneur von Saint Christopher gesprochen hat. Was danach kommt, wei? ich nicht.»

Bolitho ergriff ihre Hand und versuchte, nicht an das andere Versprechen zu denken, das Dumaresq dem Kapitan der Heloise gegeben hatte, kurz bevor er starb. An einem Hieb von Bolithos Klinge.

Er sagte:»Auch ich werde das Schiff vielleicht verlassen mussen.»

Sie schien ihre eigenen Sorgen zu vergessen und beugte sich bekummert uber ihn.»Was hei?t das? Wer hat gesagt, da? du gehen mu?t?»

Er griff vorsichtig nach oben und beruhrte ihr Haar. Es fuhlte sich an wie Seide.»Das ist jetzt nicht mehr wichtig, Aurora.»

Sie zeichnete mit ihrem Finger ein Muster auf seine Schulter.»Wie kannst du so etwas sagen? Naturlich ist es wichtig. Die See ist dein Leben. Du hast zwar schon viel erlebt und noch mehr geleistet, aber dein wirkliches Leben liegt immer noch vor dir.»

Er spurte ihr Haar an seinem Kinn und zitterte innerlich.»Ich habe beschlossen, die Marine zu verlassen.»

«Nach allem, was du mir uber die Tradition deiner Familie erzahlt hast? Das willst du alles wegwerfen?»

«Fur dich, ja.»

Sie schuttelte den Kopf, wobei ihn ihr langes schwarzes Haar streichelte.»So etwas darfst du nicht sagen!»

«Mein alterer Bruder ist der Lieblingssohn meines Vaters, ist es immer gewesen. «Es war eigenartig, da? er dies jetzt ohne jede Bitterkeit sagen konnte.»Er kann die Tradition aufrechterhalten. Ich wunsche mir nur dich, weil ich dich liebe.»

Er sagte es so heftig, da? sie sichtlich erschrak. Sie griff sich an die Brust, und ihr heftiger Atem strafte ihre au?ere Gelassenheit Lugen.

«Das ist doch Wahnsinn! Ich wei? alles uber dich, aber du wei?t uberhaupt nichts von mir. Was ware das fur ein Leben fur dich, zuzusehen, wie ich immer alter werde und du dich zurucksehnst nach der See, nach den Chancen, auf die du meinetwegen so unuberlegt verzichtet hattest. «Sie legte ihm eine Hand auf die Stirn.»Es ist wie ein Fieber, Richard. Kampfe dagegen an, sonst verzehrt es uns beide.»

Bolitho wandte das Gesicht ab; seine Augen brannten, als er sagte:»Ich konnte dich glucklich machen, Aurora!»

Sie streichelte seine Arme in dem Versuch, seine Verzweiflung zu lindern.

«Daran habe ich nie gezweifelt. Aber zum Leben gehort mehr als das, glaub mir. «Sie ruckte etwas von ihm ab, und ihr Korper wiegte sich dabei im Einklang mit den sanften Bewegungen des Schiffes.»Ich habe dir schon einmal gesagt, da? ich dich lieben konnte. In den vergangenen Tagen und Nachten habe ich dich beobachtet, dich beruhrt. Meine Gedanken waren oft sundhaft, mein Verlangen war gro?er, als ich zuzugeben wage. «Sie schuttelte den Kopf.»Bitte schau mich nicht so an. Vielleicht war diese Reise nach allem, was geschehen ist, zu lang, und die Trennung morgen kommt zu spat. Ich wei? selber nicht mehr aus noch ein.»

Sie wandte sich ab; ihr Gesicht lag im Schatten, als sie, von den salzuberkrusteten Heckfenstern umrahmt, mit hangenden Armen dastand.

«Ich werde dich nie vergessen, Richard, und mir spater wahrscheinlich Vorwurfe machen, da? ich dein Angebot ausschlug. Aber ich bitte dich um deine Hilfe dabei, allein schaffe ich es nicht.»

Macmillan brachte das Abendessen fur Bolitho; er sagte:»Verzeihung, Madam, aber der Kommandant und seine Offiziere lassen hoflich sagen, ob Sie ihnen die Ehre geben wurden, mit ihnen zu speisen. Es ware heute das letzte Mal, sozusagen.»

Macmillan war eigentlich schon zu alt fur seine Arbeit. Er diente seinem Kapitan wie ein angesehenes Faktotum der Familie. Von der Spannung im Raum schien er nichts zu merken, auch nicht die Gezwungenheit, mit der sie heiser erwiderte:»Es wird mir eine Ehre sein. «Noch sah er die Verzweiflung im Gesicht des Leutnants, als Aurora zum abgetrennten Teil der Kajute ging, in dem sich ihre Zofe die meiste Zeit des Tages aufhielt.

Unterwegs sagte sie:»Dem Leutnant geht es schon besser. Er wird es schaffen. «Sie wandte sich endgultig ab, und ihre Worte waren kaum noch zu verstehen:»Aus eigener Kraft.»

Mit Hilfe von Bulkley, der ihn am Ellbogen stutzte, wagte sich Bo-litho aufs Achterdeck und schaute von dort uber die ganze Lange des Schiffes nach vorn zum Land.

Die brennende Mittagssonne brachte ihm zu Bewu?tsein, wie schwach er noch war. Er sah die Matrosen mit nacktem Oberkorper geschaftig an Deck hin und her eilen; andere standen breitbeinig auf den Fu?pferden der Rahen und machten Segel fest, die kurz vor dem Ankern nicht mehr benotigt wurden. Er fuhlte sich verloren, nicht mehr dazugehorig in einer Weise, wie er es noch nie erlebt hatte.

Bulkley sagte:»Ich bin schon einmal in Saint Christopher gewesen. «Er zeigte auf die nachstgelegene Landzunge mit ihrem weiten wei?en Strandbogen.»Das ist Bluff Point. Dahinter liegt Basseterre mit dem Hauptankerplatz, dort wird es eine Menge englischer Kriegsschiffe geben. Und bestimmt irgendeinen unbedarften Flaggoffizier, der darauf bestehen wird, unserem Kommandanten zu sagen, was er tun soll.»

Einige Seesoldaten marschierten heftig schnaufend nach achtern.

Bolitho hielt sich an den Netzen fest und betrachtete das Land. Es war nur eine kleine Insel, aber ein wichtiges Glied in der Kette des britischen Herrschaftsbereichs. Zu anderer Zeit ware er uber seinen ersten Besuch hier begeistert gewesen, aber jetzt starrte er auf die nickenden Palmen, auf die Eingeborenenboote, und sah nur das darin, was es fur ihn bedeutete: da? sie sich hier trennen mu?ten. Was ihm die Zukunft auch bringen wurde, hier endete die Beziehung zwischen Aurora und ihm. An der Art, wie Rhodes und die anderen das Thema gemieden hatten, erkannte er, da? sie meinten, er habe dankbar zu sein. Dankbar dafur, da? er den morderischen Angriff uberlebt hatte und danach von einer so schonen Frau gepflegt worden war. Mehr durfe ein Mann nicht verlangen. Aber er tat es dennoch.

Dumaresq kam an Deck und warf einen kurzen Blick auf Kompa? und Segelstand.

Gulliver gru?te durch Handbewegung zum Hut.»Befohlener Kurs Nordnordost liegt an, Sir.»

«Gut. Mr. Palliser, bereiten Sie den Salut vor. Wir werden in einer Stunde querab von Fort Londonderry stehen. «Er bemerkte Bolitho und hob die Hand.»Bleiben Sie da, wenn Sie mogen. «Er uberquerte das Deck und trat zu ihm. Mit einem Blick erfa?te er den schmerzgetrubten Ausdruck von Bolithos Augen und sagte:»Sie leben. Seien Sie dankbar.»

Er nickte dem Fahnrich der Wache zu.»Entern Sie auf, Mr. Lovela-ce, und kundschaften Sie Fleet Anchorage aus. Melden Sie mir die Anzahl der Schiffe. «Er beobachtete den Jungen, wie er die Webeleinen hinaufkletterte, und sagte:»Er ist erwachsener geworden auf dieser Reise, wie auch unsere ubrigen jungen Herren. «Er warf Bolitho einen Blick zu.»Auf Sie trifft das noch mehr zu als auf alle anderen.»

Bolitho sagte:»Ich komme mir vor, als ware ich hundert Jahre, Sir.»

«Das kann ich mir denken. «Dumaresq grinste.»Wenn Sie erst selbst ein Schiff fuhren, werden Sie sich auch der Ruckschlage erinnern, hoffe ich. Aber ich bezweifle, da? Sie Ihre jungen Leutnants mehr bemitleiden werden, als ich es tue.»

Der Kommandant wandte den Kopf nach achtern, und Bolitho sah seine Augen interessiert aufleuchten. Ohne hinzuschauen, wu?te er, da? sie an Deck gekommen war, um das Eiland zu betrachten. Als was sah sie es an — als zeitweisen Zufluchtsort oder als Gefangnis?

Egmont schien trotz seiner Niederlage unverandert. Er trat an die Reling und bemerkte:»Die Insel hat sich wenig verandert.»

Dumaresq fragte sachlich:»Sind Sie sicher, da? Garrick hier sein wird?»

«So sicher, wie man nur sein kann. «Er bemerkte Bolitho und nickte ihm kurz zu.»Ich sehe, Sie sind wieder genesen, Leutnant.»

Bolitho zwang sich zu einem Lacheln.»Vielen Dank, Sir. Es tut zwar noch weh, aber ich bin ganz geblieben.»