Sobald das Schiff vom Warpanker frei war, schwoite es achteraus auf die Kuste zu. Die Stromung wirbelte um seinen Bug, als ob es schon in Fahrt ware Auf dem Geschutzdeck drangten sich viele Manner, und Bolitho wu?te, da? unter Deck jeder freie Platz von erschopften Soldaten belegt war. Er sah, wie die Gig uber das Schanzkleid gehievt und dann sauber auf ihre Bettung zwischen den Kuttern gesetzt wurde. Die Seeleute arbeiteten ungewohnlich schweigsam und blickten gelegentlich zu ihm herauf, als ob sie seine Plane erraten wollten. Im wachsenden Tageslicht konnte er bereits die Gesichter erkennen, und er stellte fest, da? er nun die meisten Manner mit ihren Namen kannte. Die Zuverlassigen und die Faulen, die Unzufriedenen und jene, deren Pflichtbewu?tsein zwischen verschiedenen Graden hin- und herpendelte. Er erinnerte sich an jenen Tag, da ihm alle fremd waren und Graves die Abwesenheit Tyrells entschuldigte. Es schien ihm schon eine Ewigkeit seitdem vergangen zu sein.
«Die Boote sind festgezurrt, Sir«, meldete Tyrell.
Bolitho lehnte sich uber die Reling. Das Holz war feucht und klamm, aber in ein paar Stunden wurde es hei? wie ein Schurhaken sein — falls es noch uber Wasser war.
«Leute, ihr alle wi?t von dieser Fregatte«, begann Bolitho.»Sie liegt dort flu?aufwarts und la?t sich eine Menge Zeit, wie es die Franzosen am fruhen Morgen gewohnt sind.»
Er machte eine kleine Pause und bemerkte, da? sich einige altere Leute zunickten und uber seinen matten Scherz grinsten.
«Ihr konnt auch leicht sehen, da? wir die Segel nicht setzen konnen, ohne auf die Kuste getrieben zu werden. Aber wenn Soldaten den weiten Weg uber Land bis zu uns marschieren konnen, dann meine ich, bringen wir es auch fertig, sie nach Hause zu fahren. Was meint ihr dazu?»
Einen endlos langen Augenblick sprach und bewegte sich niemand, und er fuhlte, wie Verzweiflung in ihm aufstieg. Warum auch sollten sie sich einsetzen? Nach seiner abweisenden Haltung nach dem Gefecht mit der Brigg mochten sie seine Worte nur wieder als eine neue Abfuhr betrachten.
Uberraschenderweise war es der Bootsmann, der als erster das Schweigen brach. Er sprang auf das Backbordschanzkleid und brullte mit einem Gesicht, das grotesk wie eine erhitzte Kanonenkugel gluhte:»Auf was wartet ihr noch, meine Lieblinge? Ein Hurra fur den Kaptn und ein Hurra fur die Sparrow!»
Das Hurragebrull breitete sich uber das Deck und bis zu den Toppsgasten auf den Rahen aus. Es pflanzte sich fort zu den verwirrten Soldaten unter Deck, die auf jedem Fu?breit in den uberfullten Raumen zusammengepfercht lagen.
Tilby grolte weiter:»Und zum Teufel mit diesen Schei?franzosen!«Er schnitt bereits die Laschen vom nachstbesten Riemen, stie? die Manner an die Arbeit, jagte andere das Schanzkleid entlang, um die Pforten zu offnen. Als sich Bolitho umdrehte, sah er das breite Grinsen Tyrells und Buckle, der uber das ganze Gesicht strahlte, als ob sie bereits auf hoher See unter vollen Segeln dahinrauschten. Sogar Graves lachelte.
«Klar bei Ankerspill«, sagte Bolitho. Er wunschte, da? sie jetzt mit ihrem Hurragebrull aufhorten, da? Tyrell seinen Befehl weitergeben wurde und ihn seinen Gedanken uberlie?.»Lassen Sie bitte die Riemen auslegen.»
Tyrell rief die Befehle aufs Geschutzdeck hinunter. Die Ruderganger bezogen Posten am Ruderrad, das Ankerspill fing an, sich langsam zu drehen. Dann wandte er sich an Bolitho:»Die Kerls werden Sie nicht im Stich lassen, jetzt da sie gesehen haben, was Sie fur diese armen Rotrocke getan haben. Jetzt nicht, niemals, Kaptn!»
Bolitho brachte es nicht fertig, ihn anzusehen. Statt dessen starrte er an der Backbordseite uber die schwankende Reihe der Riemen hin, die uber dem wirbelnden Wasser in der Schwebe gehalten wurden wie die Ruder einer alten Galeere. Es wurde einer gewaltigen Kraftanstrengung bedurfen, die Sparrow in die Bay hinauszurudern. Bei diesem Gegenwind und mit der toten Last all ihrer Kanonen und ihrer zusatzlichen Passagiere konnte es vielleicht gar unmoglich sein.
«Riemen bei!»
Die Riemen schwangen vorsichtig nach vorn. Die Seeleute hielten die Rundholzer fest gepackt und suchten mit ihren nackten Zehen Halt auf dem Deck.
«Anker frei!«Graves rannte zwischen den Seeleuten nach achtern und schrie:»Schiff treibt ab, Sir!»
«Ruder an!«Tilby warf sein ganzes Gewicht auf den letzten Riemen. Seine vorspringenden Muskeln zeigten seine ungeheure Kraftanstrengung.
«Hievt! Vorwarts Kerls! Hievt! Und noch einmal!»
Im Takt hoben und senkten sich die Riemen, schlugen und peitschten das Wasser, um die Abtrift zur Kuste aufzuhalten. Und dann, qualvoll langsam, kam die Sparrow unter Kontrolle und nahm Fahrt auf.
«Mr. Buckle, ubernehmen Sie das Ruder!«schrie Bolitho. Dann wandte er sich an Tyrell:»Alle Offiziere, alle Mann an die Riemen! Alle!»
Als der Anker verkattet war, fuhrte auch Graves seine Abteilung an die Riemen. Andere glitten an den Backstagen aus dem Rigg oder kamen von ihren Stationen gerannt, um den Ruderern zu helfen.
Bolitho versuchte, nicht nach der Landzunge zu sehen, die sich im Morgenlicht jetzt grun und braun farbte.
Die Peilung stand, und die Korvette kam kaum voran. Doch schon schnappten die Manner nach Luft. Nur Buckle und Bolitho selbst halfen nicht an den Riemen. Der Wind war zu stark, die Stromung zu stetig.
Tyrells Stimme klang wie eine Trompete.»Hievt! Hievt! Und noch einmal, Leute!«Aber es war umsonst.
Mit matter Stimme rief Buckle:»Wir werden wieder ankern mussen, Sir. Wir schaffen's nicht.»
Schon verloren einige Seeleute ihren Halt und fielen fast aus der Reihe der Ruderer. Da ertonte plotzlich uber dem Quietschen und Platschen der Riemen eine starke, durchdringende Stimme:»Hierher, schnell! Verteilt euch unter die Seeleute!»
Bolitho starrte unglaubig. Foley sprang an Deck und hinter ihm folgten in Zweierreihen — einige hinkend, andere mit verbundenen Augen — die Reste seiner Kompanie.
Foley blickte zu Bolitho hinauf.»Die Einundfunfziger haben es nie versaumt, die Marine auszustechen, Kapitan!»
Er stutzte einen Mann, der hinter ihm hertastete.»Kurzlich haben Sie von Wundern gesprochen. Aber manchmal brauchen auch diese eine kleine Hilfe.»
Er wandte sich ab und packte neben einem Bootsmannsmaat das Ende eines Riemens.
Bolithos Hande umklammerten die Reling. Er versuchte sein Gesicht zu verbergen, aber er konnte seine Augen nicht von den vereinten Anstrengungen der Manner losrei?en.
«Ich kann jetzt steuern, Sir«, rief Buckle heiser.»Das Ruder spricht an.»
Leise sagte Bolitho:»Der Oberst hat mir gesagt, er konne mit den richtigen Mannern den halben Kontinent erobern. Mit diesen Leuten da konnte er die Welt gewinnen.»
Als er uber das Schanzkleid schaute, sah er, da? die Landzunge langsam an der Steuerbordseite vorbeizog, und als Buckle sehr vorsichtig Ruder legte, wies der Kluverbaum allmahlich ins freie Fahrwasser hinaus.
Da und dort fiel ein Mann erschopft und ausgepumpt von den Riemen, doch der Schlag geriet kaum ins Stocken.
Als sich die Sonnenscheibe schlie?lich uber die fernen Hugel erhob, war die Sparrow drau?en in der Bay.
«Toppsgasten aufentern! Klar zum Segelsetzen!»
Der Kluver knatterte und flappte zornig, spannte sich dann zu einem straffen Bogen, und als die langen Riemen durch die Pforten eingeholt wurden, neigte sich das Deck in leichtem, doch befriedigendem Winkel.
«Gehen Sie auf Steuerbordbug, Mr. Buckle. So hoch an den Wind, wie Sie konnen. Wir brauchen moglichst viel Leeraum, um an Kap May vorbeizuschlupfen.»
Tyrell kam aufs Achterdeck und stellte sich neben den Kompa?. Seine Augen beobachteten gespannt die Kustenlinie. Er sah sonderbar zufrieden aus.
Er bemerkte, wie Bolitho ihn beobachtete.»Es war ein gutes Gefuhl, wieder einmal an Land gewesen zu sein. In England wurden Sie das gleiche empfinden.»
Bolitho nickte ernst. Vielleicht war Tyrell doch in Versuchung geraten. Aber er war zuruckgekommen, und das allein zahlte.