«Sie haben gute Arbeit geleistet, Mr. Tyrell, alle taten, was sie konnten!»
Tyrell grinste trage.»Wenn Sie mir die Freiheit verzeihen wollen, Sir, Sie selbst sind auch kein huflahmer Gaul.»
«Wahrschau an Deck! Segel steuerbord querab!»
Bolitho blickte Buckle an.»Der Franzmann ist schneller hinter uns her, als ich dachte. Lassen Sie bitte die Royals setzen!«Er ging uber das schrag geneigte Deck zur Reling und beschattete seine Augen.»Wir werden ihm schon etwas bieten fur sein Geld.»
Tyrell grinste immer noch.»Sie meinen wohl fur des Generals Geld?»
Bolitho schaute an seinen schmutzigen Hosen hinunter.»Ich gehe jetzt und la? mich rasieren. «Auch in ihm steckte immer noch die frohliche Stimmung.»Fur den Fall, da? wir heute morgen noch Besuch bekommen, eh?»
Buckle sah ihn gehen.»Den kann aber auch nichts aus der Ruhe bringen!»
Tyrell spahte mit kritischem Blick zu den Toppsgasten hinauf. Er erinnerte sich an Bolithos Gesicht, als die verwundeten Soldaten an Deck getaumelt waren, um den Seeleuten an den Riemen zu helfen. In diesen wenigen Minuten hatte er hinter die zerbrechliche Gelassenheit geblickt und hinter der au?eren Hulle des Kommandanten den wirklichen Menschen entdeckt. Er murmelte vor sich hin:»Sie sollten dessen nicht so sicher sein, Mr. Buckle. Er fuhlt alles genauso wie jeder Mann an Bord.»
Bolitho schob das Teleskop zusammen und lehnte sich gegen ein Belegnagelbrett.
«Andern Sie Kurs um zwei Strich, Mr. Buckle. Steuern Sie genau Ost.»
Vom Sichten der Fregatte bis zu dem Augenblick, da sie Kap May gefahrlich nahe umrundet hatten, waren zwei Stunden vergangen. Der au?erste Sporn dieser elenden Landzunge lag kaum zwei Kabellangen entfernt in Lee, als sie in die freie See hinausbrausten. Sie waren so dicht unter der Kuste gesegelt, da? sie den Rauch eines Feuers an Land und das Blitzen eines verborgenen Fensters oder eines Fernglases in der Sonne gesehen hatten.
Es war Bolitho recht schwergefallen, still in einem Me?raumstuhl zu sitzen, wahrend Stockdale ihn rasierte und ein sauberes Hemd herauslegte.
Nun endlich stand er wieder an Deck, beobachtete die Seeleute, die an die Brassen eilten, sah, wie sich das Bugspriet vor dem straff gespannten Rigg hob und senkte. Er fragte sich, warum er sich gezwungen hatte, so viel Zeit unter Deck zu vergeuden. War es Stolz oder Selbstgefalligkeit oder das Bedurfnis, sich wenigstens fur ein paar Minuten zu entspannen? Oder fuhlte er die Notwendigkeit, auf seine Manner solch einen ruhigen Eindruck zu machen, da? er an seine Bequemlichkeit denken konnte?
Als die Korvette nun immer mehr abfallen konnte, bis die Brise genau von achtern einfiel, fuhlte er, wie sich jede Spiere, jede Planke der Bewegung anpa?te. Er sah, wie die Gro?rah sich uber dem Achterdeck wie ein riesiger Bogen spannte. Die Toppsgasten, die mit gespreizten Beinen in den Fu?pferden standen, kummerten sich nicht um das Vibrieren der Takelage. Sie dachten nicht an Vorsicht, obwohl doch jeder falsche Tritt augenblicklichen Tod bedeutete oder auch die furchtbare Qual, zusehen zu mussen, wie das Schiff davonpflugte und den Gesturzten in der weiten Wuste des Meeres allein ertrinken lie?.
«Kurs liegt an, Sir, genau Ost!»
Bolitho warf einen Blick auf den Kompa? und prufte sorgfaltig den Trimm der Segel. Jeder Zoll des Tuchs war voll gespannt, die Wolbungen so rund und straff, da? sie zu bersten schienen.
Er winkte mit dem Fernglas.»Noch einen Pull an der Backbordbrasse der Fock, Mr. Tyrell. Lassen Sie dann belegen!»
Wahrend die Manner herbeiliefen, um den Befehl auszufuhren, blickte er wieder zuruck. Schon als sie noch aus der Bucht herauskreuzten, hatte der Feind aufgeholt. Die Sparrow hatte viel Zeit verloren, um sich von der Landspitze freizusegeln. Bolitho legte sein Fernglas auf der Reling auf. Ihr Verfolger stob und stampfte uber die spruhenden Wellenkamme. Die Fregatte war in fliegenden Gischt gehullt, und die See wusch bis zu ihren Geschutzpforten hinauf, wahrend sie auf Steuerbordbug dahinraste und ihren schlanken Rumpf und die Pyramiden ihrer vollen Segel zeigte. Sobald sie die offene See erreicht hatte, setzte sie die Royals und hielt nun auf tieferes Wasser zu, bevor sie die Jagd wieder aufnahm.
Tyrell kam nach achtern und schuttelte die Salzwasserspritzer von seinen Armen und aus seinem Gesicht.
«Wir liegen genau vorm Wind, im Augenblick konnen wir nichts weiter tun.»
Bolitho antwortete nicht. Vom Achterdeck aus blickte er uber die unregelma?igen Reihen verwundeter Soldaten hin. Andere, die weniger schwer verletzt waren, halfen beim Verbinden der Wunden und schleppten Essen herbei. Zwei Assistenten Dalkeiths stiegen an Deck, warfen ein Bundel uber Bord und verschwanden wieder in einem Niedergang, ohne sich umzusehen. Bolitho sah das Bundel im Schaum des Kielwassers davontreiben. Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Es hatte wie durchblutete Verbande ausgesehen, doch war es wohl ein amputiertes Glied irgendeines glucklosen Soldaten gewesen. Seit die Korvette Anker gelichtet hatte, war Dalkeith nicht aus seinem behelfsma?igen Schiffslazarett aufgetaucht. In fast volliger Dunkelheit arbeitete er mit Tupfern und Sage, wahrend das Schiff stampfte und rollte.
Durch das Brausen des Windes gellte Graves' Stimme:»Der Franzose hat geschiftet, Sir!»
Die Fregatte lag nun ungefahr acht Kabellangen steuerbord querab, mehr war es bestimmt nicht. Sie segelte parallel zur Sparrow. Ihre Royals waren Vierkant gebrasst und zerrten in ihren Lieken wie bleiche Brustpanzer.
«Sie holt auf, Mr. Tyrell«, sagte Bolitho,»zwar nicht sehr schnell, aber doch genug, um uns in Verlegenheit zu bringen.»
Tyrell stutzte sich auf die Reling. Seine Augen waren nach vorn gerichtet, ohne sich um den Feind zu kummern.
«Soll ich klar Schiff zum Gefecht befehlen, Sir?»
Bolitho schuttelte seinen Kopf.»Wir konnen nicht. Jeder freie Platz im Schiff ist von Soldaten belegt. Auf dem Geschutzdeck ist kaum Platz fur den Rucksto? eines Zwolfpfunders. «Er dachte an die gro?en Zweiunddrei?igpfunder, die zu beiden Seiten des Bugs aufgestellt waren.
Da der Feind von achtern auflief, waren sie nutzlos und nur eine zusatzliche Belastung fur das Schiff. Ware der Feind in ihrem Schu?bereich gefahren, so hatten sie ihn wenigstens vorubergehend in Schach halten konnen, so lange, bis ein Schiff des Kustengeschwaders zu Hilfe gekommen ware.
Tyrell schaute ihn besorgt an.»Sie haben die Wahl, Sir. Entweder Sie fahren jetzt an der Kuste entlang und riskieren, da? der Wind Sie vollkommen im Stich la?t, oder Sie andern in etwa einer Stunde den Kurs seewarts.»
Er stemmte die Hufte gegen die Reling, als die Sparrow stark rollte. Der Gischt stob uber die Decks und prasselte gegen die untersten Segel wie Bleischrot.
«Es verlauft hier ein langer Rucken von Sandbanken von Nord nach Sud. Sie konnen auf der au?eren oder inneren Seite entlang segeln. Aber in einer Stunde mussen Sie sich entscheiden.»
Bolitho nickte. Selbst die mangelhafte Kenntnis des Seegebietes, die er aus seinen Karten entnommen hatte, bewies, da? Tyrell nur zu recht hatte. Die Untiefen erstreckten sich wie ungleichma?ige Buckel auf etwa zwanzig Meilen quer uber seine Kursrichtung. Wurde er uber Stag gehen, um die Sandbanke zu meiden, bedeutete dies Zeitverlust, und da der Feind schon so nahe kam, war es zu gefahrlich.
Tyrell rieb sein Kinn.»Wir konnten abwarten, was der Franzose zu tun gedenkt. Aber fur uns ware es dann zu spat. «Hilflos zuckte er die Achseln.»Es tut mir leid, Sir. Ich bin auch keine gro?e Hilfe fur Sie.»
Bolitho starrte an ihm vorbei zum Land hinuber. Die Kuste fiel, sich nach Nordost wendend, zuruck. Die Entfernung, etwa zehn oder funfzehn Meilen, war im hellen Sonnenglanz und tieftreibenden Seedunst schwer abzuschatzen.
«Sie haben schon sehr viel geholfen.»
Er kehrte zum Kompa? zuruck und bemerkte, da? Buckle ihn grimmig anblickte. Das Gelachter, die plotzliche Entspannung, als sie von Land freikamen, waren vorbei. Aus dem Gerucht von einem irgendwo liegenden Schiff war eine wirkliche, todliche Bedrohung durch die Reihe feindlicher Geschutzpforten geworden.