XII Sturmwarnung
Sir Charles Inskip sah ubellaunig aus dem schmalen Fenster, dessen Scheiben unter einer Regenbo zitterten.»Diese Behandlung hatte ich nicht erwartet«, schnaufte er.
Bolitho trat neben ihn und sah auf die Schiffe hinaus, die vor ihnen im Hafen ankerten. Die dicken Eisengitter vor den Fenstern gefielen ihm nicht, ebensowenig die Art, jeden Danen von ihnen fernzuhalten. Zwar waren ihre Raume in der Festung recht bequem, doch abends wurden die Turen abgeschlossen. Er sah drunten Truculent an ihrer Ankertrosse zerren, sie sah einsam und verletzlich aus. Die gro?e danische Fregatte Dryaden, die sie hierher eskortiert hatte, ankerte nur zwei Kabellangen entfernt. Bolitho lachelte. Das war nicht gerade ein Zeichen des Vertrauens. Ebensowenig, da? Truculent ein Ankerplatz genau unter den gro?ten Kanonen der Festungsbatterie zugewiesen worden war. Kein sehr gesunder Platz, falls es zum Schlimmsten kam.
Sie warteten schon volle sieben Tage. Bolitho zwang sich, nicht standig daruber nachzudenken. Inskip hatte ihm immer wieder versichert, sie lagen hier auf Wunsch eines danischen Ministers. Dieser Christian Haarder wollte angeblich unbedingt verhindern, da? sein Land in den Krieg hineingezogen wurde — gleichgultig, ob auf Englands oder auf Frankreichs Seite. Danemark besa? eine stolze Flotte trotz der schweren Verluste, die es vor funf Jahren in diesen Gewassern erlitten hatte. Die Danen hatten sicher alle ihre Schiffe von den Inseln und vom Festland hier versammelt und unter ein Oberkommando gestellt. Ein kluges Vorgehen.
«Ich habe zwei Botschaften an ihn geschickt. Auch der Hof ist informiert, aus Hoflichkeit. Meine Briefe hatten langst zu einem Gesprach fuhren mussen!«Inskip war ungehalten.
«Die Leute werden sich fragen, was ein englisches Kriegsschiff hier will. «Bolitho beobachtete eine schnittige Galeere, die langsam an der Truculent vorbeiruderte. Die langen roten Riemen hoben und senkten sich im Gleichtakt, als kame die Besatzung geradewegs aus der Antike. Doch diese Galeeren waren gefahrlicher, als sie aussahen. Sie konnten jedes Segelschiff ausmanovrieren, wie Bolitho aus eigener boser Erfahrung wu?te. Ihre schwere
Bugkanone konnte das Heck jedes Kriegsschiffes zertrummern, ohne Gegenwehr furchten zu mussen. Wen mehrere Galeeren gleichzeitig angriffen, der wurde schnell zu einem Wrack, das diese behenden Wolfe der See zerrissen.
«Die Leute werden es bald erfahren, wenn wir hier noch langer liegen mussen«, knurrte Inskip.
Allday sammelte die Kaffeebecher ein, obwohl das eigentlich die Aufgabe von Inskips Diener gewesen ware, der sich im Nebenraum zu schaffen machte. Bolitho sah auf die Uhr. Jenour hatte langst zuruck sein mussen. Inskip hatte ihn vor Stunden mit einem weiteren Brief losgeschickt.
«Glauben Sie, da? die Franzosen in die Sache involviert sind?»
Inskip brachte seine Gedanken in Kiellinie.»Die Franzosen? Sie sehen die wohl uberall, Bolitho. Aber vielleicht ist es tatsachlich so.»
Er unterbrach sich, als Agnew, sein Diener, mit vor Kalte roter Nase durch den Turspalt spahte.»Der Leutnant kehrt zuruck, Sir Charles.»
Inskip ruckte seine Perucke zurecht und stellte sich in Positur.»Er kommt nicht allein, wie man hort.»
Die Tur flog auf, Jenour trat ein. Hinter ihm erschien der Kommandant der Dryaden und ein gro?er Mann in dunklem Samtmantel, der nur Minister Haarder sein konnte.
Man begru?te einander mit Verbeugungen, doch nur Inskip bot Haarder die Hand. Wie alte Gegenspieler standen sie sich gegenuber, dachte Bolitho, und schienen sich abzutasten.
Dann blickte Haarder Bolitho an.»An Sie erinnere ich mich noch von Ihrem letzten Besuch hier.»
Bolitho horte keinen feindlichen Unterton in den Worten des Ministers.»Damals wurde ich mit gro?er Hoflichkeit empfangen«, sagte er, und jedermann verstand, was er unausgesprochen lie?: aber diesmal nicht!
Haarder zuckte mit den Schultern.»Wir machen uns keine Illusionen, Admiral. Die danische Flotte ist wieder eine Beute, die sich jeder gern einverleiben«, seine Augen funkelten,»oder auf den Grund des Meeres schicken wurde, falls ihm ersteres nicht gelingt. «Ernst sah er sie an.»Meine Ministerkollegen sind von Ihren guten Absichten nur schwer zu uberzeugen. «Er hob die Hand, um Inskips Protest zu unterdrucken.»Falls es stimmt, da? die Franzosen den
Oberbefehl uber unsere Flotte anstreben, und das unterstellen Sie ja wohl — was sollen wir dagegen tun, meine Herren? Sollen wir gegen sie kampfen? Und konnten wir diesen Kampf gewinnen, wenn doch das starke England schon zwolf Jahre lang vergeblich gegen Frankreich anrennt? Ehe Sie uns verurteilen, denken Sie lieber uber unsere Lage nach. Wir wollen nur Frieden, selbst mit unseren alten Gegnern, den Schweden. Wir wollen Handel, nicht Krieg — kommt Ihnen das so fremd vor?»
Inskip lehnte sich zuruck.»Sie konnen oder wollen uns in dieser Sache also nicht helfen?»
Haarder sah ihn mitfuhlend an.»Ich hatte darauf gehofft. Aber meine Stimme ist nur eine gegen viele.»
Bolitho gab noch nicht auf.»Nie wieder sollte Danemark solche Verluste einstecken mussen wie beim letzten Mal«, sagte er.»Darin werden Sie mir sicher zustimmen.»
Haarder erhob sich.»Ich werde es noch einmal versuchen«, antwortete er.»Inzwischen wird Kommandant Pedersen von der Dryaden Sie in offene Gewasser zuruckbegleiten. «Er uberreichte Inskip einen versiegelten Umschlag.»Fur Ihren Premierminister von jemandem, der viel machtiger ist als ich.»
Inskip starrte auf den Umschlag.»Lord Grenville mag solche Provokationen ebensowenig wie damals Mr. Pitt. «Er streckte dem Danen die Hand hin.»Aber wir sind ja noch nicht am Ende.»
Haarder schuttelte sie nachdrucklich und sagte betont:»Wir haben noch nicht mal angefangen, alter Freund. «Zu Bolitho gewandt, fuhr er fort:»Ich bewundere, was Sie auf See und an Land erreicht haben. Mein Konig hatte Sie gern empfangen, aber wir sind da in der Klemme. Wer dem einen einen Vorteil gewahrt, mu? ihn auch dem anderen bieten, verstehen Sie?»
Verbeugungen, Handeschutteln, und dann war Haarder gegangen. Hoflich meldete sich der danische Kapitan:»Erlauben Sie?«Einige bewaffnete Seeleute betraten den Raum, um das Gepack der Gaste an Bord zu schaffen.»Eine Gig wird Sie auf Ihr Schiff zuruckbringen. Danach«, er sprach hoflich, aber deutlich,»werden Sie bitte meine Anweisungen befolgen!»
Als der Kommandant den Raum verlassen hatte, fragte Inskip:»Warum haben sie uns blo? auf ihre Entscheidung so lange warten lassen? Wozu sieben Tage, wenn uns Haarder nur ausrichten sollte, da? Danemark neutral bleibt?»
Bolitho sah sich um, als suche er Allday, aber er wollte nur vermeiden, da? Inskip sein Gesicht sah. Denn eine scheinbar hingeworfene Bemerkung Haarders war in seinem Kopf explodiert wie eine Morsergranate. Oder hatte der Dane nur mit Worten gespielt? Hatte er da etwas gesagt, was nur ein Seemann, kein Diplomat verstehen konnte?
«Klemme«, hatte er gesagt. Und: Vorteil fur den einen, Vorteil fur den anderen. War das eine Warnung gewesen?
«Wenigstens werden wir bald nach England zuruckkehren«, meinte Jenour.»Noch ehe die Wintersturme einsetzen. Immerhin ein Trost.»
Bolitho fuhrte ihn am Arm zum Fenster.»Stephen, man hat uns hier mit Absicht so lange warten lassen. Das war kein Zufall. «Er sah, da? Jenour ihn verstand.»Aber kein Wort daruber, zu niemandem! Sorgen Sie nur dafur, da? wir so schnell wie moglich ankeraufgehen und auslaufen.»
Allday beobachtete sie und erkannte, wie hellwach Bolitho plotzlich geworden war, wie sich der junge Leutnant straffte. Jenour konnte seine Gefuhle noch nicht ganz verbergen. Er legte Bolitho das Gehenk um.»Den Degen werden Sie wohl sicher bald brauchen, Sir Richard.»
Inskip kam in den Raum zuruck und sah sie beide an.»Sie halten das sicher fur einen vergeblichen Ausflug?»