Siddhartha verneigte sich lXchelnd. "Schade wXre es, Kamala, wie, sehr hast du Recht! Xberaus schade wXre es. Nein, von deinem Munde soll mir kein Tropfen SXigkeit verloren gehen, noch dir von dem meinen! Es bleibt also dabei: Siddhartha wird wiederkommen, wenn er hat, was ihm noch fehlt: Kleider, Schuhe, Geld. Aber sprich, holde Kamala, kannst du mir nicht noch einen kleinen Rat geben?"

"Einen Rat? Warum nicht? Wer wollte nicht gerne einem armen, unwissenden Samana, der von den Schakalen aus dem Walde kommt, einen Rat geben?"

"Liebe Kamala, so rate mir wohin soll ich gehen, dass ich am raschesten jene drei Dinge finde?"

"Freund, das mXchten viele wissen. Du musst tun, was du gelernt hast, und dir dafXr Geld geben lassen, und Kleider, und Schuhe. Anders kommt ein Armer nicht zu Geld. Was kannst du denn?"

"Ich kann denken. Ich kann warten. Ich kann fasten."

"Nichts sonst?"

"Nichts. Doch, ich kann auch dichten. Willst du mir fXr ein Gedicht einen Kuss geben?"

"Das will ich tun, wenn dein Gedicht mir gefXllt. Wie heiXt es denn?"

Siddhartha sprach, nachdem er sich einen Augenblick besonnen hatte, diese Verse:

In ihren schattigen Hain trat die schXne Kamala,

An Haines Eingang stand der braune Samana.

Tief, da er die LotusblXte erblickte,

Beugte sich jener, lXchelnd dankte Kamala.

Lieblicher, dachte der JXngling, als GXttern zu opfern,

Lieblicher ist es zu opfern der schXnen Kamala.

Laut klatschte Kamala in die HXnde, dass die goldenen Armringe klangen.

"SchXn sind deine Verse, brauner Samana, und wahrlich, ich verliere nichts, wenn ich dir einen Kuss fXr sie gebe."

Sie zog ihn mit den Augen zu sich, er beugte sein Gesicht auf ihres, und legte seinen Mund auf den Mund, der wie eine frisch aufgebrochene Feige war. Lange kXsste ihn Kamala, und mit tiefem Erstaunen fXhlte Siddhartha, wie sie ihn lehrte, wie sie weise war, wie sie ihn beherrschte, ihn zurXckwies, ihn lockte, und wie hinter diesem ersten eine lange, eine wohlgeordnete, wohlerprobte Reihe von KXssen stand, jeder vom andern verschieden, die ihn noch erwarteten. Tief atmend blieb er stehen, und war in diesem Augenblick wie ein Kind erstaunt Xber die FXlle des Wissens und Lernenswerten, die sich vor seinen Augen erschloss.

"Sehr schXn sind deine Verse," rief Kamala, "wenn ich reich wXre, gXbe ich dir GoldstXcke dafXr. Aber schwer wird es dir werden, mit Versen so viel Geld zu erwerben, wie du brauchst. Denn du brauchst viel Geld, wenn du Kamalas Freund sein willst."

"Wie kannst du kXssen, Kamala!" stammelte Siddhartha.

"Ja, das kann ich schon, darum fehlt es mir auch nicht an Kleidern, Schuhen, ArmbXndern und allen schXnen Dingen. Aber was wird aus dir werden? Kannst du nichts als denken, fasten, dichten?"

"Ich kann auch die Opferlieder," sagte Siddhartha, "aber ich will sie nicht mehr singen. Ich kann auch ZaubersprXche, aber ich will sie nicht mehr sprechen. Ich habe die Schriften gelesen X"

"Halt," unterbrach ihn Kamala. "Du kannst lesen? Und schreiben?"

"Gewiss kann ich das. Manche kXnnen das."

"Die meisten kXnnen es nicht. Auch ich kann es nicht. Es ist sehr gut, dass du lesen und schreiben kannst, sehr gut. Auch die ZaubersprXche wirst du noch brauchen kXnnen."

In diesem Augenblick kam eine Dienerin gelaufen und flXsterte der Herrin eine Nachricht ins Ohr.

"Ich bekomme Besuch," rief Kamala. "Eile und verschwinde, Siddhartha, niemand darf dich hier sehen, das merke dir! Morgen sehe ich dich wieder."

Der Magd aber befahl sie, dem frommen Brahmanen ein weiXes Obergewand zu geben. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, sah sich Siddhartha von der Magd hinweggezogen, auf Umwegen in ein Gartenhaus gebracht, mit einem Oberkleid beschenkt, ins GebXsch gefXhrt und dringlich ermahnt, sich alsbald ungesehen aus dem Hain zu verlieren.

Zufrieden tat er, wie ihm geheiXen war. Des Waldes gewohnt, brachte er sich lautlos aus dem Hain und Xber die Hecke. Zufrieden kehrte er in die Stadt zurXck, das zusammengerollte Kleid unterm Arme tragend. In einer Herberge, wo Reisende einkehrten, stellte er sich an die TXr, bat schweigend um Essen, nahm schweigend ein StXck Reiskuchen an. Vielleicht schon morgen, dachte er, werde ich niemand mehr um Essen bitten.

Stolz flammte plXtzlich in ihm auf. Er war kein Samana mehr, nicht mehr stand es ihm an, zu betteln. Er gab den Reiskuchen einem Hunde und blieb ohne Speise.

"Einfach ist das Leben, das man in der Welt hier fXhrt," dachte Siddhartha. "Es hat keine Schwierigkeiten. Schwer war alles, mXhsam und am Ende hoffnungslos, als ich noch Samana war. Nun ist alles leicht, leicht wie der Unterricht im KXssen, den mir Kamala gibt. Ich brauche Kleider und Geld, sonst nichts, das sind kleine nahe Ziele, sie stXren einem nicht den Schlaf."

LXngst hatte er das Stadthaus Kamalas erkundet, dort fand er sich am andern Tage ein.

"Es geht gut," rief sie ihm entgegen. "Du wirst bei Kamaswami erwartet, er ist der reichste Kaufmann dieser Stadt. Wenn du ihm gefXllst, wird er dich in Dienst nehmen. Sei klug, brauner Samana. Ich habe ihm durch andre von dir erzXhlen lassen. Sei freundlich gegen ihn, er ist sehr mXchtig. Aber sei nicht zu bescheiden! Ich will nicht, dass du sein Diener wirst, du sollst seinesgleichen werden, sonst bin ich nicht mit dir zufrieden. Kamaswami fXngt an, alt und bequem zu werden. GefXllst du ihm, so wird er dir viel anvertrauen."

Siddhartha dankte ihr und lachte, und da sie erfuhr, er habe gestern und heute nichts gegessen, lieX sie Brot und FrXchte bringen und bewirtete ihn.

"Du hast GlXck gehabt," sagte sie beim Abschied, "eine TXr um die andre tut sich dir auf. Wie kommt das wohl? Hast du einen Zauber?"

Siddhartha sagte: "Gestern erzXhlte ich dir, ich verstXnde zu denken, zu warten und zu fasten, du aber fandest, das sei zu nichts nXtze. Es ist aber zu vielem nXtze, Kamala, du wirst es sehen. Du wirst sehen, dass die dummen Samanas im Walde viel HXbsches lernen und kXnnen, das ihr nicht kXnnt. Vorgestern war ich noch ein struppiger Bettler, gestern habe ich schon Kamala gekXsst, und bald werde ich ein Kaufmann sein und Geld haben und all diese Dinge, auf die du Wert legst."

"Nun ja," gab sie zu. "Aber wie stXnde es mit dir ohne mich? Was wXrest du, wenn Kamala dir nicht hXlfe?"

"Liebe Kamala," sagte Siddhartha und richtete sich hoch auf, "als ich zu dir in deinen Hain kam, tat ich den ersten Schritt. Es war mein Vorsatz, bei dieser schXnsten Frau die Liebe zu lernen. Von jenem Augenblick an, da ich den Vorsatz fasste, wusste ich auch, dass ich ihn ausfXhren werde. Ich wusste, dass du mir helfen wXrdest, bei deinem ersten Blick am Eingang des Haines wusste ich es schon."

"Wenn ich aber nicht gewollt hXtte?"

"Du hast gewollt. Sieh, Kamala: Wenn du einen Stein ins Wasser wirfst, so eilt er auf dem schnellsten Wege zum Grunde des Wassers. So ist es, wenn Siddhartha ein Ziel, einen Vorsatz hat. Siddhartha tut nichts, er wartet, er denkt, er fastet, aber er geht durch die Dinge der Welt hindurch wie der Stein durchs Wasser, ohne etwas zu tun, ohne sich zu rXhren; er wird gezogen, er lXsst sich fallen. Sein Ziel zieht ihn an sich, denn er lXsst nichts in seine Seele ein, was dem Ziel widerstreben kXnnte. Das ist es, was Siddhartha bei den Samanas gelernt hat. Es ist das, was die Toren Zauber nennen und wovon sie meinen, es werde durch die DXmonen bewirkt. Nichts wird von DXmonen bewirkt, es gibt keine DXmonen. Jeder kann zaubern, jeder kann seine Ziele erreichen, wenn er denken kann, wenn er warten kann, wenn er fasten kann."