Mit halbem LXcheln, mit einer unerschXtterten Helle und Freundlichkeit sah Gotama dem Fremdling ins Auge und verabschiedete ihn mit einer kaum sichtbaren GebXrde.
"Klug bist du, o Samana", sprach der EhrwXrdige. "Klug weiXt du zu reden, mein Freund. HXte dich vor allzu groXer Klugheit!"
Hinweg wandelte der Buddha, und sein Blick und halbes LXcheln blieb fXr immer in Siddharthas GedXchtnis eingegraben.
So habe ich noch keinen Menschen blicken und lXcheln, sitzen und schreiten sehen, dachte er, so wahrlich wXnsche auch ich blicken und lXcheln, sitzen und schreiten zu kXnnen, so frei, so ehrwXrdig, so verborgen, so offen, so kindlich und geheimnisvoll. So wahrlich blickt und schreitet nur der Mensch, der ins Innerste seines Selbst gedrungen ist. Wohl, auch ich werde ins Innerste meines Selbst zu dringen suchen.
Einen Menschen sah ich, dachte Siddhartha, einen einzigen, vor dem ich meine Augen niederschlagen musste. Vor keinem andern mehr will ich meine Augen niederschlagen, vor keinem mehr. Keine Lehre mehr wird mich verlocken, da dieses Menschen Lehre mich nicht verlockt hat.
Beraubt hat mich der Buddha, dachte Siddhartha, beraubt hat er mich, und mehr noch hat er mich beschenkt. Beraubt hat er mich meines Freundes, dessen, der an mich glaubte und der nun an ihn glaubt, der mein Schatten war und nun Gotamas Schatten ist. Geschenkt aber hat er mir Siddhartha, mich selbst.
ERWACHEN
Als Siddhartha den Hain verlieX, in welchem der Buddha, der Vollendete, zurXckblieb, in welchem Govinda zurXckblieb, da fXhlte er, dass in diesem Hain auch sein bisheriges Leben hinter ihm zurXckblieb und sich von ihm trennte. Dieser Empfindung, die ihn ganz erfXllte, sann er im langsamen Dahingehen nach. Tief sann er nach, wie durch ein tiefes Wasser lieX er sich bis auf den Boden dieser Empfindung hinab, bis dahin, wo die Ursachen ruhen, denn Ursachen erkennen, so schien ihm, das eben ist Denken, und dadurch allein werden Empfindungen zu Erkenntnissen und gehen nicht verloren, sondern werden wesenhaft und beginnen auszustrahlen, was in ihnen ist.
Im langsamen Dahingehen dachte Siddhartha nach. Er stellte fest, dass er kein JXngling mehr, sondern ein Mann geworden sei. Er stellte fest, dass eines ihn verlassen hatte, wie die Schlange von ihrer alten Haut verlassen wird, dass eines nicht mehr in ihm vorhanden war, das durch seine ganze Jugend ihn begleitet und zu ihm gehXrt hatte: der Wunsch, Lehrer zu haben und Lehren zu hXren. Den letzten Lehrer, der an seinem Wege ihm erschienen war, auch ihn, den hXchsten und weisesten Lehrer, den Heiligsten, Buddha, hatte er verlassen, hatte sich von ihm trennen mXssen, hatte seine Lehre nicht annehmen kXnnen.
Langsamer ging der Denkende dahin und fragte sich selbst: "Was nun ist es aber, das du aus Lehren und von Lehrern hattest lernen wollen, und was sie, die dich viel gelehrt haben, dich doch nicht lehren konnten?" Und er fand: "Das Ich war es, dessen Sinn und Wesen ich lernen wollte. Das Ich war es, von dem ich loskommen, das ich Xberwinden wollte. Ich konnte es aber nicht Xberwinden, konnte es nur tXuschen, konnte nur vor ihm fliehen, mich nur vor ihm verstecken. Wahrlich, kein Ding in der Welt hat so viel meine Gedanken beschXftigt wie dieses mein Ich, dies RXtsel, dass ich lebe, dass ich einer und von allen andern getrennt und abgesondert bin, dass ich Siddhartha bin! Und Xber kein Ding in der Welt weiX ich weniger als Xber mich, Xber Siddhartha!"
Der im langsamen Dahingehen Denkende blieb stehen, von diesem Gedanken erfasst, und alsbald sprang aus diesem Gedanken ein anderer hervor, ein neuer Gedanke, der lautete: "Dass ich nichts von mir weiX, dass Siddhartha mir so fremd und unbekannt geblieben ist, das kommt aus einer Ursache, einer einzigen: Ich hatte Angst vor mir, ich war auf der Flucht vor mir! Atman suchte ich, Brahman suchte ich, ich war gewillt, mein Ich zu zerstXcken und auseinander zu schXlen, um in seinem unbekannten Innersten den Kern aller Schalen zu finden, den Atman, das Leben, das GXttliche, das Letzte. Ich selbst aber ging mir dabei verloren."
Siddhartha schlug die Augen auf und sah um sich, ein LXcheln erfXllte sein Gesicht, und ein tiefes GefXhl von Erwachen aus langen TrXumen durchstrXmte ihn bis in die Zehen. Und alsbald lief er wieder, lief rasch, wie ein Mann, welcher weiX, was er zu tun hat.
"Oh", dachte er aufatmend mit tiefem Atemzug, "nun will ich mir den Siddhartha nicht mehr entschlXpfen lassen! Nicht mehr will ich mein Denken und mein Leben beginnen mit Atman und mit dem Leid der Welt. Ich will mich nicht mehr tXten und zerstXcken, um hinter den TrXmmern ein Geheimnis zu finden. Nicht Yoga-Veda mehr soll mich lehren, noch Atharva-Veda, noch die Asketen, noch irgendwelche Lehre. Bei mir selbst will ich lernen, will ich SchXler sein, will ich mich kennen lernen, das Geheimnis Siddhartha."
Er blickte um sich, als sXhe er zum ersten Male die Welt. SchXn war die Welt, bunt war die Welt, seltsam und rXtselhaft war die Welt! Hier war Blau, hier war Gelb, hier war GrXn, Himmel floss und Fluss, Wald starrte und Gebirg, alles schXn, alles rXtselvoll und magisch, und inmitten er, Siddhartha, der Erwachende, auf dem Wege zu sich selbst. All dieses, all dies Gelb und Blau, Fluss und Wald, ging zum erstenmal durchs Auge in Siddhartha ein, war nicht mehr Zauber Maras, war nicht mehr der Schleier der Maya, war nicht mehr sinnlose und zufXllige Vielfalt der Erscheinungswelt, verXchtlich dem tief denkenden Brahmanen, der die Vielfalt verschmXht, der die Einheit sucht. Blau war Blau, Fluss war Fluss, und wenn auch im Blau und Fluss in Siddhartha das Eine und GXttliche verborgen lebte, so war es doch eben des GXttlichen Art und Sinn, hier Gelb, hier Blau, dort Himmel, dort Wald und hier Siddhartha zu sein. Sinn und Wesen war nicht irgendwo hinter den Dingen, sie waren in ihnen, in allem.
"Wie bin ich taub und stumpf gewesen!" dachte der rasch dahin Wandelnde. "Wenn einer eine Schrift liest, deren Sinn er suchen will, so verachtet er nicht die Zeichen und Buchstaben und nennt sie TXuschung, Zufall und wertlose Schale, sondern er liest sie, er studiert und liebt sie, Buchstabe um Buchstabe. Ich aber, der ich das Buch der Welt und das Buch meines eigenen Wesens lesen wollte, ich habe, einem im voraus vermuteten Sinn zuliebe, die Zeichen und Buchstaben verachtet, ich nannte die Welt der Erscheinungen TXuschung, nannte mein Auge und meine Zunge zufXllige und wertlose Erscheinungen. Nein, dies ist vorXber, ich bin erwacht, ich bin in der Tat erwacht und heute erst geboren."
Indem Siddhartha diesen Gedanken dachte, blieb er abermals stehen, plXtzlich, als lXge eine Schlange vor ihm auf dem Weg.
Denn plXtzlich war auch dies ihm klar geworden: Er, der in der Tat wie ein Erwachter oder Neugeborener war, er musste sein Leben neu und vXllig von vorn beginnen. Als er an diesem selben Morgen den Hain Jetavana, den Hain jenes Erhabenen, verlassen hatte, schon erwachend, schon auf dem Wege zu sich selbst, da war es seine Absicht gewesen und war ihm natXrlich und selbstverstXndlich erschienen, dass er, nach den Jahren seines Asketentums, in seine Heimat und zu seinem Vater zurXckkehre. Jetzt aber, erst in diesem Augenblick, da er stehen blieb, als lXge eine Schlange auf seinem Wege, erwachte er auch zu dieser Einsicht: "Ich bin ja nicht mehr, der ich war, ich bin nicht mehr Asket, ich bin nicht mehr Priester, ich bin nicht mehr Brahmane. Was denn soll ich zu Hause und bei meinem Vater tun? Studieren? Opfern? Die Versenkung pflegen? Dies alles ist ja vorXber, dies alles liegt nicht mehr an meinem Wege."
Regungslos blieb Siddhartha stehen, und einen Augenblick und Atemzug lang fror sein Herz, er fXhlte es in der Brust innen frieren wie ein kleines Tier, einen Vogel oder einen Hasen, als er sah, wie allein er sei. Jahrelang war er heimatlos gewesen und hatte es nicht gefXhlt. Nun fXhlte er es. Immer noch, auch in der fernsten Versenkung, war er seines Vaters Sohn gewesen, war Brahmane gewesen, hohen Standes, ein Geistiger. Jetzt war er nur noch Siddhartha, der Erwachte, sonst nichts mehr. Tief sog er den Atem ein, und einen Augenblick fror er und schauderte. Niemand war so allein wie er. Kein Adliger, der nicht zu den Adligen, kein Handwerker, der nicht zu den Handwerkern gehXrte und Zuflucht bei ihnen fand, ihr Leben teilte, ihre Sprache sprach. Kein Brahmane, der nicht zu den Brahmanen zXhlte und mit ihnen lebte, kein Asket, der nicht im Stande der Samanas seine Zuflucht fand, und auch der verlorenste Einsiedler im Walde war nicht einer und allein, auch ihn umgab ZugehXrigkeit, auch er gehXrte einem Stande an, der ihm Heimat war. Govinda war MXnch geworden, und tausend MXnche waren seine BrXder, trugen sein Kleid, glaubten seinen Glauben, sprachen seine Sprache. Er aber, Siddhartha, wo war er zugehXrig? Wessen Leben wXrde er teilen? Wessen Sprache wXrde er sprechen?