LXchelnd wiegte sich der Ruderer: "Es ist schXn, Herr, es ist, wie du sagst. Aber ist nicht jedes Leben, ist nicht jede Arbeit schXn?"
"Es mag wohl sein. Dich aber beneide ich um die Deine."
"Ach, du mXchtest bald die Lust an ihr verlieren. Das ist nichts fXr Leute in feinen Kleidern."
Siddhartha lachte. "Schon einmal bin ich heute um meiner Kleider willen betrachtet worden, mit Misstrauen betrachtet. Willst du nicht, FXhrmann, diese Kleider, die mir lXstig sind, von mir annehmen? Denn du musst wissen, ich habe kein Geld, dir einen FXhrlohn zu zahlen."
"Der Herr scherzt," lachte der FXhrmann.
"Ich scherze nicht, Freund. Sieh, schon einmal hast du mich in deinem Boot Xber dies Wasser gefahren, um Gotteslohn. So tue es auch heute, und nimm meine Kleider dafXr an."
"Und will der Herr ohne Kleider weiterreisen?"
"Ach, am liebsten wollte ich gar nicht weiterreisen. Am liebsten wXre es mir, FXhrmann, wenn du mir eine alte SchXrze gXbest und behieltest mich als deinen Gehilfen bei dir, vielmehr als deinen Lehrling, denn erst muss ich lernen, mit dem Boot umzugehen."
Lange blickte der FXhrmann den Fremden an, suchend.
"Jetzt erkenne ich dich," sagte er endlich. "Einst hast du in meiner HXtte geschlafen, lange ist es her, wohl mehr als zwanzig Jahre mag das her sein, und bist von mir Xber den Fluss gebracht worden, und wir nahmen Abschied voneinander wie gute Freunde. Warst du nicht ein Samana? Deines Namens kann ich mich nicht mehr entsinnen."
"Ich heiXe Siddhartha, und ich war ein Samana, als du mich zuletzt gesehen hast."
"So sei willkommen, Siddhartha. Ich heiXe Vasudeva. Du wirst, so hoffe ich, auch heute mein Gast sein und in meiner HXtte schlafen, und mir erzXhlen, woher du kommst, und warum deine schXnen Kleider dir so lXstig sind."
Sie waren in die Mitte des Flusses gelangt, und Vasudeva legte sich stXrker ins Ruder, um gegen die StrXmung anzukommen. Ruhig arbeitete er, den Blick auf der Bootspitze, mit krXftigen Armen. Siddhartha saX und und sah ihm zu, und erinnerte sich, wie schon einstmals, an jenem letzten Tage seiner Samana-Zeit, Liebe zu diesem Manne sich in seinem Herzen geregt hatte. Dankbar nahm er Vasudevas Einladung an. Als sie am Ufer anlegten, half er ihm das Boot an den PflXcken festbinden, darauf bat ihn der FXhrmann, in die HXtte zu treten, bot ihm Brot und Wasser, und Siddhartha aX mit Lust, und aX mit Lust auch von den MangofrXchten, die ihm Vasudeva anbot.
Danach setzten sie sich, es ging gegen Sonnenuntergang, auf einem Baumstamm am Ufer, und Siddhartha erzXhlte dem FXhrmann seine Herkunft und sein Leben, wie er es heute, in jener Stunde der Verzweiflung, vor seinen Augen gesehen hatte. Bis tief in die Nacht wXhrte sein ErzXhlen.
Vasudeva hXrte mit groXer Aufmerksamkeit zu. Alles nahm er lauschend in sich auf, Herkunft und Kindheit, all das Lernen, all das Suchen, alle Freude, alle Not. Dies war unter des FXhrmanns Tugenden eine der grXten: er verstand wie wenige das ZuhXren. Ohne dass er ein Wort gesprochen hXtte, empfand der Sprechende, wie Vasudeva seine Worte in sich einlieX, still, offen, wartend, wie er keines verlor, keines mit Ungeduld erwartete, nicht Lob noch Tadel daneben stellte, nur zuhXrte. Siddhartha empfand, welches GlXck es ist, einem solchen ZuhXrer sich zu bekennen, in sein Herz das eigene Leben zu versenken, das eigene Suchen, das eigene Leiden.
Gegen das Ende von Siddharthas ErzXhlung aber, als er von dem Baum am Flusse sprach, und von seinem tiefen Fall, vom heiligen Om, und wie er nach seinem Schlummer eine solche Liebe zu dem Flusse gefXhlt hatte, da lauschte der FXhrmann mit verdoppelter Aufmerksamkeit, ganz und vXllig hingegeben, mit geschlossnem Auge.
Als aber Siddhartha schwieg, und eine lange Stille gewesen war, da sagte Vasudeva: "Es ist so, wie ich dachte. Der Fluss hat zu dir gesprochen. Auch dir ist er Freund, auch zu dir spricht er. Das ist gut, das ist sehr gut. Bleibe bei mir, Siddhartha, mein Freund. Ich hatte einst eine Frau, ihr Lager war neben dem meinen, doch ist sie schon lange gestorben, lange habe ich allein gelebt. Lebe nun du mit mir, es ist Raum und Essen fXr beide vorhanden."
"Ich danke dir," sagte Siddhartha, "ich danke dir und nehme an. Und auch dafXr danke ich dir, Vasudeva, dass du mir so gut zugehXrt hast! Selten sind die Menschen, welche das ZuhXren verstehen, und keinen traf ich, der es verstand wie du. Auch hierin werde ich von dir lernen."
"Du wirst es lernen," sprach Vasudeva, "aber nicht von mir. Das ZuhXren hat mich der Fluss gelehrt, von ihm wirst auch du es lernen. Er weiX alles, der Fluss, alles kann man von ihm lernen. Sieh, auch das hast du, schon vom Wasser gelernt, dass es gut ist, nach unten zu streben, zu sinken, die Tiefe zu suchen. Der reiche und vornehme Siddhartha wird ein Ruderknecht, der gelehrte Brahmane Siddhartha wird ein FXhrmann: auch dies ist dir vom Fluss gesagt worden. Du wirst auch das andere von ihm lernen."
Sprach Siddhartha, nach einer langen Pause: "Welches andere, Vasudeva?"
Vasudeva erhob sich. "SpXt ist es geworden," sagte er, "lass uns schlafen gehen. Ich kann dir das andere nicht sagen, o Freund. Du wirst es lernen, vielleicht auch weiXt du es schon. Sieh, ich bin kein Gelehrter, ich verstehe nicht zu sprechen, ich verstehe auch nicht zu denken. Ich verstehe nur zuzuhXren und fromm zu sein, sonst habe ich nichts gelernt. KXnnte ich es sagen und lehren, so wXre ich vielleicht ein Weiser, so aber bin ich nur ein FXhrmann, und meine Aufgabe ist es, Menschen Xber diesen Fluss zu setzen. Viele habe ich Xbergesetzt, Tausende, und ihnen allen ist mein Fluss nichts anderes gewesen als ein Hindernis auf ihren Reisen. Sie reisten nach Geld und GeschXften, und zu Hochzeiten, und zu Wallfahrten, und der Fluss war ihnen im Wege, und der FXhrmann war dazu da, sie schnell Xber das Hindernis hinweg zubringen. Einige unter den Tausenden aber, einige wenige, vier oder fXnf, denen hat der Fluss aufgehXrt, ein Hindernis zu sein, sie haben seine Stimme gehXrt, sie haben ihm zugehXrt, und der Fluss ist ihnen heilig geworden, wie er es mir geworden ist. Lass uns nun zur Ruhe gehen, Siddhartha."
Siddhartha blieb bei dem FXhrmann und lernte das Boot bedienen, und wenn nichts an der FXhre zu tun war, arbeitete er mit Vasudeva im Reisfelde, sammelte Holz, pflXckte die FrXchte der PisangbXume. Er lernte ein Ruder zimmern, und lernte das Boot ausbessern, und KXrbe flechten, und war frXhlich Xber alles, was erlernte, und die Tage und Monate liefen schnell hinweg. Mehr aber, als Vasudeva ihn lehren konnte, lehrte ihn der Fluss. Von ihm lernte er unaufhXrlich. Vor allem lernte er von ihm das ZuhXren, das Lauschen mit stillem Herzen, mit wartender, geXffneter Seele, ohne Leidenschaft, ohne,Wunsch, ohne Urteil, ohne Meinung.
Freundlich lebte er neben Vasudeva, und zuweilen tauschten sie Worte miteinander, wenige und lang bedachte Worte. Vasudeva war kein Freund der Worte, selten gelang es Siddhartha, ihn zum Sprechen zu bewegen.
"Hast du," so fragte er ihn einst, "hast auch du vom Flusse jenes Geheime gelernt: dass es keine Zeit gibt?"
Vasudevas Gesicht Xberzog sich mit hellem LXcheln.
"Ja, Siddhartha," sprach er. "Es ist doch dieses, was du meinst: dass der Fluss Xberall zugleich ist, am Ursprung und an der MXndung, am Wasserfall, an der FXhre, an der Stromschnelle, im Meer, im Gebirge, Xberall zugleich, und dass es fXr ihn nur Gegenwart gibt, nicht den Schatten Vergangenheit, nicht den Schatten Zukunft?"
"Dies ist es," sagte Siddhartha. "Und als ich es gelernt hatte, da sah ich mein Leben an, und es war auch ein Fluss, und es war der Knabe Siddhartha vom Manne Siddhartha und vom Greis Siddhartha nur durch Schatten getrennt, nicht durch Wirkliches. Es waren auch Siddharthas frXhere Geburten keine Vergangenheit, und sein Tod und seine RXckkehr zu Brahma keine Zukunft. Nichts war, nichts wird sein; alles ist, alles hat Wesen und Gegenwart."