BekXmmert blickte Siddhartha ihm in das freundliche Gesicht, in dessen vielen Runzeln bestXndige Heiterkeit wohnte.

"Kann ich mich denn von ihm trennen?" sagte er leise, beschXmt. "Lass mir noch Zeit, Lieber! Sieh, ich kXmpfe um ihn, ich werbe um sein Herz, mit Liebe und mit freundlicher Geduld will ich es fangen. Auch zu ihm soll einst der Fluss reden, auch er ist berufen."

Vasudevas LXcheln blXhte wXrmer. "O ja, auch er ist berufen, auch er ist vom ewigen Leben. Aber wissen wir denn, du und ich, wozu er berufen ist, zu welchem Wege, zu welchen Taten, zu welchen Leiden? Nicht klein wird sein Leiden sein, stolz und hart ist ja sein Herz, viel mXssen solche leiden, viel irren, viel Unrecht tun, sich viel SXnde aufladen. Sage mir, mein Lieber: du erziehst deinen Sohn nicht? Du zwingst ihn nicht? SchlXgst ihn nicht? Strafst ihn nicht?"

"Nein, Vasudeva, das tue ich alles nicht."

"Ich wusste es. Du zwingst ihn nicht, schlXgst ihn nicht, befiehlst ihm nicht, weil du weiXt, dass Weich stXrker ist als Hart, Wasser stXrker als Fels, Liebe stXrker als Gewalt. Sehr gut, ich lobe dich. Aber ist es nicht ein Irrtum von dir, zu meinen, dass du ihn nicht zwingest, nicht strafest? Bindest du ihn nicht in Bande mit deiner Liebe? BeschXmst du ihn nicht tXglich, und machst es ihm noch schwerer, mit deiner GXte und Geduld? Zwingst du ihn nicht, den hochmXtigen und verwXhnten Knaben, in einer HXtte bei zwei alten Bananenessern zu leben, welchen schon Reis ein Leckerbissen ist, deren Gedanken nicht seine sein kXnnen, deren Herz alt und still ist und anderen Gang hat als das seine? Ist er mit alledem nicht gezwungen, nicht gestraft?"

Betroffen blickte Siddhartha zur Erde. Leise fragte er: "Was, meinst du, soll ich tun?"

Sprach Vasudeva: "Bring ihn zur Stadt, bringe ihn in seiner Mutter Haus, es werden noch Diener dort sein, denen gib ihn. Und wenn keine mehr da sind, so bringe ihn einem Lehrer, nicht der Lehre wegen, aber dass er zu anderen Knaben komme, und zu MXdchen, und in die Welt, welche die seine ist. Hast du daran nie gedacht?"

"Du siehst in mein Herz," sprach Siddhartha traurig. "Oft habe ich daran gedacht. Aber sieh, wie soll ich ihn, der ohnehin kein sanftes Herz hat, in diese Welt geben? Wird er nicht Xppig werden, wird er nicht sich an Lust und Macht verlieren, wird er nicht alle IrrtXmer seines Vaters wiederholen, wird er nicht vielleicht ganz und gar in Sansara verloren gehen?"

Hell strahlte des FXhrmanns LXcheln auf; er berXhrte zart Siddharthas Arm und sagte: "Frage den Fluss darXber, Freund! HXre ihn darXber lachen! Glaubst du denn wirklich, dass du deine Torheiten begangen habest, um sie dem Sohn zu ersparen? Und kannst du denn deinen Sohn vor Sansara schXtzen? Wie denn? Durch Lehre, durch Gebet, durch Ermahnung? Lieber, hast du jene Geschichte denn ganz vergessen, jene lehrreiche Geschichte vom Brahmanensohn Siddhartha, die du mir einst hier an dieser Stelle erzXhlt hast? Wer hat den Samana Siddhartha vor Sansara bewahrt, vor SXnde, vor Habsucht, vor Torheit? Hat seines Vaters FrXmmigkeit, seiner Lehrer Ermahnung, hat sein eigenes Wissen, sein eigenes Suchen ihn bewahren kXnnen? Welcher Vater, welcher Lehrer hat ihn davor schXtzen kXnnen, selbst das Leben zu leben, selbst sich mit dem Leben zu beschmutzen, selbst Schuld auf sich zu laden, selbst den bitteren Trank zu trinken, selber seinen Weg zu finden?

Glaubst du denn, Lieber, dieser Weg bleibe irgend jemandem vielleicht erspart? Vielleicht deinem SXhnchen, weil du es liebst, weil du ihm gern Leid und Schmerz und EnttXuschung ersparen mXchtest? Aber auch wenn du zehnmal fXr ihn stXrbest, wXrdest du ihm nicht den kleinsten Teil seines Schicksals damit abnehmen kXnnen."

Noch niemals hatte Vasudeva so viele Worte gesprochen. Freundlich dankte ihm Siddhartha, ging bekXmmert in die HXtte, fand lange keinen Schlaf. Vasudeva hatte ihm nichts gesagt, das er nicht selbst schon gedacht und gewusst hXtte. Aber es war ein Wissen, das er nicht tun konnte, stXrker als das Wissen war seine Liebe zu dem Knaben, stXrker seine ZXrtlichkeit, seine Angst, ihn zu verlieren. Hatte er denn jemals an irgend etwas so sehr sein Herz verloren, hatte er je irgendeinen Menschen so geliebt, so blind, so leidend, so erfolglos, und doch so glXcklich?

Siddhartha konnte seines Freundes Rat nicht befolgen, er konnte den Sohn nicht hergeben. Er lieX sich von dem Knaben befehlen, er lieX sich von ihm missachten. Er schwieg und wartete, begann tXglich den stummen Kampf der Freundlichkeit, den lautlosen Krieg der Geduld. Auch Vasudeva schwieg und wartete, freundlich, wissend, langmXtig. In der Geduld waren sie beide Meister.

Einst, als des Knaben Gesicht ihn sehr an Kamala erinnerte, musste Siddhartha plXtzlich eines Wortes gedenken, das Kamala vor Zeiten, in den Tagen der Jugend, einmal zu ihm gesagt hatte. "Du kannst nicht lieben," hatte sie ihm gesagt, und er hatte ihr Recht gegeben und hatte sich mit einem Stern, die Kindermenschen aber mit fallendem Laub verglichen, und dennoch hatte er in jenem Wort auch einen Vorwurf gespXrt. In der Tat hatte er niemals sich an einen anderen Menschen ganz verlieren und hingeben kXnnen, sich selbst vergessen, Torheiten der Liebe eines anderen wegen begehen; nie hatte er das gekonnt, und dies war, wie ihm damals schien, der groXe Unterschied gewesen, der ihn von den Kindermenschen trennte. Nun aber, seit sein Sohn da war, nun war auch er, Siddhartha, vollends ein Kindermensch geworden, eines Menschen wegen leidend, einen Menschen liebend, an eine Liebe verloren, einer Liebe wegen ein Tor geworden. Nun fXhlte auch er, spXt, einmal im Leben diese stXrkste und seltsamste Leidenschaft, litt an ihr, litt klXglich, und war doch beseligt, war doch um etwas erneuert, um etwas reicher.

Wohl spXrte er, dass diese Liebe, diese blinde Liebe zu seinem Sohn eine Leidenschaft, etwas sehr Menschliches, dass sie Sansara sei, eine trXbe Quelle, ein dunkles Wasser. Dennoch, so fXhlte er gleichzeitig, war sie nicht wertlos, war sie notwendig, kam aus seinem eigenen Wesen. Auch diese Lust wollte gebXt, auch diese Schmerzen wollten gekostet sein, auch diese Torheiten begangen.

Der Sohn indessen lieX ihn seine Torheiten begehen, lieX ihn werben, lieX ihn tXglich sich vor seinen Launen demXtigen. Dieser Vater hatte nichts, was ihn entz ckt, und nichts, was er gef rchtet h tte. Er war ein guter Mann, dieser Vater, ein guter, g tiger, sanfter Mann, vielleicht ein sehr frommer Mann, vielleicht ein Heiliger % dies alles waren nicht Eigenschaften, welche den Knaben gewinnen konnten. Langweilig war ihm dieser Vater, der ihn da in seiner elenden Hatte gefangen hielt, langweilig war er ihm, und dass er jede Unart mit LXcheln, jeden Schimpf mit Freundlichkeit, jede Bosheit mit GXte beantwortete, das eben war die verhassteste List dieses alten Schleichers. Viel lieber wXre der Knabe von ihm bedroht, von ihm misshandelt worden.

Es kam ein Tag, an welchem des jungen Siddhartha Sinn zum Ausbruch kam und sich offen gegen seinen Vater wandte. Der hatte ihm einen Auftrag erteilt, er hatte ihn Reisig sammeln geheiXen. Der Knabe ging aber nicht aus der HXtte, er blieb trotzig und wXtend stehen, stampfte den Boden, ballte die FXuste, und schrie in gewaltigem Ausbruch seinem Vater Hass und Verachtung ins Gesicht.

"Hole du selber dein Reisig!" rief er schXumend, "ich bin nicht dein Knecht. Ich weiX ja, dass du mich nicht schlXgst, du wagst es ja nicht; ich weiX ja, dass du mich mit deiner FrXmmigkeit und deiner Nachsicht bestXndig strafen und klein machen willst. Du willst, dass ich werden soll wie du, auch so fromm, auch so sanft, auch so weise! Ich aber, hXre, ich will, dir zu Leide, lieber ein StraXenrXuber und MXrder werden und zur HXlle fahren, als so werden wie du! Ich hasse dich, du bist nicht mein Vater, und wenn du zehnmal meiner Mutter Buhle gewesen bist!"