«Captain Herricks Mutter starb kurz bevor wir aus Spithead ausliefen«, sagte Leroux.»Deshalb ist seine Schwester jetzt ganz allein.»

Wie war es eigentlich, als ich damals an Bord der Lysander kam? uberlegte Bolitho.»Davon hat er mir nichts gesagt«, antwortete er dann.»Aber vielleicht habe ich ihm auch keine Gelegenheit dazu gegeben.»

Er schwieg; Leroux eilte wieder dem Vortrupp nach und uberlie? Bolitho seinen Gedanken.

Herrick liebte seine Schwester sehr, das wu?te Bolitho. Einen Mann fur sie zu finden, war ihm sicher wichtiger als alles andere, selbst wichtiger als seine Freundestreue. Doch warum verhielt sich Gilchrist so feindselig? Und warum wollte er ausgerechnet ein gelahmtes Madchen heiraten? Bolitho war beides unerklarlich.

Er hob den Kopf und starrte zu den Sternen empor: so kalt, so erhaben uber das kleinliche Gewimmel auf Erden.

In fruheren Zeiten hatte er manchmal, wenn er frustriert und ungeduldig die Befehle hoherer Stellen ausfuhrte, gemeint, er selbst wurde es besser machen. Aber jene Vorgesetzten hatten Flotten zu kommandieren gehabt, gro?e Ereignisse in Rechnung zu ziehen und zu manipulieren. Nun hatte auch er eine wenn auch kleine Chance bekommen, zu zeigen, was er konnte, zu beweisen, da? er jetzt fahig war, in diese Range aufgenommen zu werden, deren Flaggen uber den Geschwadern Freude, Stolz und Gehorsam auslosten.

Bolitho horchte auf das mude Scharren der Soldatenstiefel und wu?te, da? er versagt hatte.

«Konnen Sie was sehen?«fragte Pascoe flusternd, denn drau?en vor der Zeltklappe wu?te er einen Wachtposten.

Allday stand tiefgebuckt an der Ruckwand des Zeltes. Er hatte sich aus einem Trinkbecher eine Klinge gebastelt und damit ein kleines Loch geschnitten, durch das er spahte.

Stille heischend hob er die Hand. Von der Hinterwand des Zeltes aus konnte er ein Stuck Strand unterhalb des Lagers sehen; auf dem unruhigen Wasser reflektierten die Sterne, und irgendwo wippte die Ankerlaterne eines Schiffes. Der Mond schien nicht, so da? jedes

Feuer, jede Laterne uberhell zu leuchten schien, selbst auf dem weit entfernten anderen Landarm der Bucht.

Mitternacht war vorbei, soweit er schatzen konnte; doch seit jenem Trompetenruf herrschte pausenlos Betriebsamkeit in Lager und Umgebung.

Jetzt war es etwas ruhiger, doch uber dem Vorland lie?en sich ein paar helle Laternenpunktchen erkennen; wahrscheinlich war die Batterie voll bemannt und traf alle Vorbereitungen fur das Bombardement bei Morgengrauen. Ein glutroter Schein waberte ein paar Sekunden lang am Himmel und erstarb dann ebenso schnell. Allday fuhlte, wie ihm Schwei? uber Hals und Brust rann: dort wurde die Tur einer Feueresse auf- und wieder zugemacht. Sie erhitzten also Kanonenkugeln, um das Schiff in Brand zu schie?en.

Er glitt zu Boden. Sie lagen beide nebeneinander, beinahe beruhrten sie ihre Gesichter.

«Die Batterie macht Kugeln hei?«, flusterte Allday.»Deswegen haben wir auch einen Eingeborenen als Wachtposten. Die Spanier hier sind bestimmt alle Artilleristen und werden bei diesen verdammten Kanonen gebraucht.»

Pascoes Gesicht leuchtete bleich in der Dunkelheit.»Was machen wir blo??»

Allday deutete zur Zeltklappe.»Steht da nur ein Mann?»

«Aye. Die denken, wir sind ihnen sicher.»

Trotz seiner steigenden Spannung grinste Allday.»Mit gutem Grund, Mr. Pascoe. Viel Schaden konnen wir ja nicht anrichten, selbst wenn wir abhauen, nicht wahr?»

«Ich wei?. «Es klang wie ein Schluchzen.

«Sachte!«Er fa?te Pascoe an die Schulter und fuhlte die vom Sonnenbrand wunde Haut.»Wenn wir was explodieren lassen, wie wir das besprochen haben, dann konnen wir damit das Schiff warnen.»

Entschlossen nickte Pascoe.»Aber wie kommen wir durch das Lager? Es mu? mindestens eine Meile bis zur anderen Seite sein.»

Allday blickte zum Hintergrund des Zeltes.»Wenn mehr als ein Mann Wache steht, sind wir verloren. «Er lie? die Worte einwirken.»Aber wenn wir uns den da schnappen, ehe er um Hilfe rufen kann, dann kann sich einer von uns seine Uniform anziehen.»

Pascoe kroch auf dem Bauch zum Eingang.»Er hat sich hingesetzt. «Lautlos wie ein Wilddieb schlich er sich wieder zu Allday und tippte ihm auf den Arm.»Ich glaube fast, er schlaft, aber sehen Sie sich vor. Es konnten noch andere Wachen in der Nahe sein.»

Allday prufte sein primitives Messer und sagte:»Wenn ich geschnappt werde, ehe ich was unternehmen kann, verhalten Sie sich still und tun, als ob Sie schliefen. Lassen Sie sich nicht anmerken, da? wir das zusammen geplant haben.»

Pascoe zeigte grinsend die Zahne.»Ach, hol Sie der Teufel, Mutter Allday!»

Allday lachelte.»Das hort sich schon besser an, Mr. Pascoe.»

Adam blieb an der Zeltklappe stehen und versuchte, sein Gehor dem gleichma?igen Kratzen von Alldays Messer zu verschlie?en, der die Zeltleinwand durchschnitt. Der Posten ruhrte sich nicht. Pascoe glaubte, die da drau?en mu?ten sein Herz gegen die Rippen hammern horen. Das Gerausch verstummte, und er warf einen raschen Blick uber die Schulter.»Fertig, Allday?»

Aber er war schon allein. Er hob sich auf ein Knie und hielt den Atem an, als Allday wie ein Schatten um die Zeltecke glitt; seine blo?en Fu?e waren im Sand nicht zu horen. Es war, als hatte er sich in einen alles verbergenden Mantel gewickelt. Einen Moment stand er hoch uber dem dosenden Soldaten. Dann sturzte er sich auf ihn und uber ihn; ihre Schatten vermengten sich, aber au?er einem kurzen Keuchen war nichts zu horen.

Pascoe hielt Allday die Zeltklappe auf, der den reglosen Posten durch den engen Eingang zerrte.

«Zunden Sie blo? nicht die Laterne an«, zischte Allday.»Sie mussen sich im Dunkeln umkleiden, so gut es geht. Los, ziehen Sie ihm die Jacke aus; Sie nehmen auch seine Hose. Stinkt sauisch, der Kerl. «Er tastete rasch nach dem Koppel.»Ah, 'ne Pistole hat er auch.»

Pascoe fuhlte die Haut des Mannes unter seinen Fingern. Sie war feucht und hei?, aber unbewegt.

«Ich glaube«, murmelte Allday,»ich habe dem Bastard das Genick gebrochen.»

Pascoe starrte ihn durch das Dunkel kurz an und ri? sich dann die Hose herunter. Eine Sekunde lang stand er nackt da und zog dann muhsam die Hose des toten Soldaten an. Seine eigene war zwar zerfetzt, aber immerhin eine letzte Verbindung zu dem Schiff. Er pre?te die Lippen zusammen. Weg damit.

Dann die Jacke und das Koppel. Allday hatte recht; dessen kraftiger Korper hatte nie in die Uniform dieses Mannes gepa?t.

Jetzt tappte Allday im Zelt herum, dann horte Pascoe Wein gluk-kern und wunderte sich, da? Allday ausgerechnet jetzt trinken konnte. Aber schon holte er erschrocken Luft, denn er fuhlte All-days tropf nasse Hande auf Gesicht und Hals und unter dem offenen Uniformkragen.»Sie mussen so dunkel wie moglich aussehen«, sagte Allday grimmig.»Gott behute, wenn man Sie bei Tageslicht sieht, 'ne Rothaut als Soldaten hatten die wahrscheinlich noch nie.»

Er stulpte Pascoe den Fez auf und drapierte das Nackentuch so, da? es moglichst viel vom Gesicht verbarg.

Pascoe nahm die Muskete auf und prufte sie. Glucklicherweise war sie neu, eine franzosische vermutlich.

«Fertig.»

Allday zerrte den Toten beiseite und deckte ihn mit einem Stuck Zeltleinwand zu.

«Gut. Und jetzt fesseln Sie mir die Hande auf den Rucken. Es mu? schon fest aussehen. Nicht zu fest, naturlich; passen Sie auf!»

Stumm sahen sie einander an. Dann sagte Pascoe:»Wenn sie mich lebend kriegen, dann.»

Allday schuttelte den Kopf.»Das werden sie nicht. Mich auch nicht.»

Drau?en kam es ihnen fast kuhl vor. Die tiefen Schatten der Zelte und Erdwalle wirkten unwirklich und drohend.

Allday uberlegte sich, was die Wachen wohl wahrend der Nacht mit den Sklaven und Gefangenen machten. Wenn alles klappte, wurde es ein rauhes Erwachen fur sie geben, wo sie auch sein mochten.

Es war alles so einfach. Eilig schritten sie den Abhang hinunter, wo die Offizierszelte standen, und auf einen rauhen, teilweise fertiggestellten Pfad zu, der, wie Allday vermutete, zu dem neuen Pier fuhrte. Ein niedergebranntes Lagerfeuer glomm rotlich bei einem unbespannten Wagen, zwischen dessen gro?en Radern mehrere schlafende Manner lagen. Er horte Pascoes Schritte dicht hinter sich und den regelma?igen Anschlag der umgehangten Muskete an seiner Hufte.