Max lachte nervos und Grimm grinste. »So ist es richtig! Komm, Adolphus! Auf zur Burg, so schnell uns deine Flugel tragen!«
Er hupfte auf Adolphus’ Rucken und krallte sich fest. Wie eine Rakete schoss der Drache in die Luft, ein blaugrunes Brausen in der Abendsonne, das einen verhallenden Schrei hinter sich herzog: »Doch nicht soooo schnelllllll!«
Max lachelte und wandte sich wieder dem Feuer zu. Die Arme um die Knie gelegt, blieb er dort sitzen und fragte sich, wie viele Sekunden lang eres schaffen wurde, gegen diese Fay-Hexe anzukommen, wenn er musste.
Der Gaga-Zauber
Olivia hatte Hunger, Langeweile und blo? ein kleines bisschen Angst. Das war keine gute Mischung. Es kam ihr vor, als sa?e sie seit Stunden in Sir Richards Zimmer fest. Bestimmt war die Mittagszeit vorbei. Wahrscheinlich war es schon lange Zeit fur Kuchen.
Sie hatte aus dem Fenster gebrullt und gegen die Tur gehammert. Aber das Fenster lag zu hoch und drau?en waren der Larm und die Musik zu laut. Zwar hatten sie ein paar Leute am Fenster bemerkt, doch offensichtlich hatten sie geglaubt, Olivia wurde der Menge zuwinken. Also hatten sie frohlich zuruckgewinkt. Und die Tur war dick und aus Eiche. Wenn Olivia mit den Fausten oder sogar einem Stuhlbein auf sie einschlug, war nicht mehr als ein schwaches, dumpfes Pochen zu horen, das keiner bemerkte.
Olivia seufzte und fragte sich zum hundertsten Mal, was wohl gerade da drau?en geschah. Wieso musste ausgerechnet sie hier festsitzen, wenn alle anderen ein Abenteuer erlebten? Wenn doch wenigstens Lady Morgana kame, um sich um sie zu kummern, was immer das auch hei?en mochte! Oh, warum konnte nicht sie der Frosch sein und Max der, der hier warten musste! Wo steckten blo? die anderen? Was taten sie wohl gerade?
Auf einmal horte sie drau?en auf dem Gang Schritte. Statt weiter mit dem Fu? aufzustampfen, wurde sie mucksmauschenstill und lauschte. Wollte da jemand zu ihr? War es Sir Richard oder, schlimmer, Morgana? Es war sinnlos, sich zu verstecken. Sie wussten, dass sie hier war. Dennoch, Olivia wollte nicht einfach mitten im Zimmer herumstehen. Sie verkroch sich in der engen uberwolbten Nische und druckte sich gegen die Wand. Vor der Tur machten die Schritte Halt. Ein Schlussel kratzte im Schloss. Olivia hielt den Atem an. Die Tur ging auf und jemand kam herein.
»Olivia?«, rief eine unsichere Stimme am anderen Ende des Raums. Olivia seufzte erleichtert. Es war Sir Richard. Es gab Menschen, die sie lieber gesehen hatte, aber fur Adrians Vater sprach, dass er nicht Lady Morgana war. Sie trat aus der Nische und Sir Richard machte einen Satz.
»Oh – ah! Da bist du … Ah, ich komme, um dich freizulassen.«
»Mich freilassen?« Olivia war uberrascht. »Aber ich dachte … Lady Morgana …«
»Ah, also, nun ja. Sie hat gewisse Plane – aber, also, sagen wir, dass ich personlich nicht sonderlich scharf auf diese Plane bin. Also dachte ich mir, ich komme auf dem Weg nach drau?en noch einmal hier vorbei und, ah, vergesse, die Tur abzuschlie?en.«
Sir Richard schien ganz zufrieden mit sich zu sein. Es brauchte nur eine kleine Notluge, damit es in seinem Zimmer nicht zu unschonen Szenen kame und er dennoch seine guten Beziehungen zu Lady Morgana nicht gefahrdete.
»Gro?artig!«, rief Olivia. »Danke. Kann ich dann gehen?«
»Oh, also, ah – nicht so schnell, junge Lady«, beeilte sich Sir Richard. »Da ware ja noch das kleine Problem, dass du all unsere Plane kennst … Ich denke, bevor du zu Merlin rennst und ihm alles bruhwarm erzahlst, sollte ich dir einen Gaga-Zauber auferlegen, was meinst du?«
»Einen Gaga-Zauber?«, fragte Olivia. »Was ist das?«
»Ein hubscher kleiner Trick, den ich in der Knappen-Schule gelernt habe«, sagte Sir Richard stolz. »Ehrlich gesagt, war ich in Magie nie besonders gut. Aber diesenZauber habe ich mit den Jahren wahrlich vervollkommnet. Hat mir gute Dienste geleistet, als es darum ging, dass Leute meinem Vater erzahlen wollten, wie … also, ein paar Sachen sollte er wirklichnicht erfahren.«
Beim Gedanken an die Streiche seiner Jugend verklarte sich Sir Richards Blick. Doch dann schuttelte er die Erinnerungen ab. Egal – es war Zeit, dass Olivia verzaubert wurde.
Sir Richard holte ein kleines Sackchen hervor und schuttete ein paar Korner eines violetten Pulvers in seine Hand. Dann murmelte er etwas vor sich hin und streute das Pulver uber Olivia. Einen Augenblick lang kitzelte es in ihren Ohren und auf ihrer Zunge, doch weiter geschah nichts.
»Ist das alles?«, fragte sie unbeeindruckt.
»In der Tat, meine Liebe«, sagte Sir Richard aufgeraumt. »Plappere nur erst los, dann wirst du diesen hubschen kleinen Zauber schon noch kennenlernen.«
Olivia glaubte ihm kein Wort. Aber da er sie freilassen wollte, schien es ihr das Beste, ihn bei Laune zu halten.
»Okay«, sagte sie. »Ich spure, wie er wirkt. Kann ich jetzt gehen?«
»Jaja«, sagte Sir Richard. »Lauf nur, meine Teure. Wie es aussieht, ist dein Drache ja auch schon geturmt. Durchs Fenster, richtig? Flattert vermutlich gerade im Burghof herum. Besser, du gehst ihn suchen. Ich muss jetzt sowieso aufbrechen. Ich habe einen langen Rittvor mir. In den Wald. Mit Mylady.« Er fasste sich an die Nase und zwinkerte Olivia zu.
Er glaubt wirklich, dass der Zauber wirkt, dachte Olivia. Er wurde sein blaues Wunder erleben, wenn sie jetzt gleich zu Merlin rannte und ihm alles erzahlte. Sie strahlte Sir Richard an, stahl sich aus der Tur und spazierte so unschuldig wie nur moglich uber den Gang.
Merlin sa? in seinem gro?en Eichenstuhl, das Kinn nachdenklich in die Hand gestutzt. Er hatte alles versucht, um den Prinzen ausfindig zu machen, aber nichts hatte funktioniert. Der Junge war wie weggezaubert. Doch Merlin war sich sicher, dass der Schutzbann noch hielt. Wenn er seinen Geist aussandte, konnte er spuren, wie der Bann die Burgmauern umhullte. Seufzend prufte er ihn ein weiteres Mal. Diesmal tastete er die Mauern in Gedanken Schritt fur Schritt ab. Nicht einmal ein haarfeiner Bruch wurde ihm so entgehen …
Da! Genau da! Er hatte etwas gefunden. Er spurte eine winzige Unebenheit und wusste sofort: An dieser Stelle war der Bann durchbrochen und nachher wieder geschickt zusammengeflickt worden, so als ware nichts gewesen.
Feuerstrahl und Donnergrollen! Was war nur mit ihm los, dass er das nicht vorher bemerkt hatte? Zu so etwas war nur ein einziger Mensch fahig – au?er ihm selbst. Tatsachlich war er sogar ein bisschen uberrascht, dass sie uberhaupt dazu fahig war. Aber es war ihr gelungen, zweifellos. Merlin musste sofort zum Konig. Sie wurden ihre Suche ausweiten mussen, uber die Burgmauern hinaus. Kaum hatte er sich erhoben, wurde zaghaft an die Tur geklopft.
»Herein!«, rief er, wahrend er sich das Schwert umschnallte und schon nach seinen Reitstiefeln Ausschau hielt.
Ein schmales, dunkelhaariges Madchen in Knappenkleidung trat in den Raum. Sie kam ihm bekannt vor. Aber woher? Er zog die Augenbrauen hoch.
»Olivia Pendragon, Sir.« Sie machte einen Knicks.
»Ah ja, naturlich! Entschuldige, dass ich dich nicht gleich erkannt habe. Was kann ich fur dich tun?«
»Also, es geht um die Mohre, Sir«, sagte Olivia, hielt inne und guckte verwirrt.
»Die Mohre?«, fragte Merlin sanft.
»Ja!«, sagte Olivia und schuttelte dazu heftig den Kopf. »Sie mussen wissen, dass die Mohre nicht mit der Pastinake zu verwechseln ist.«