Aber Max horte gar nicht zu. Schlagartig wurde ihm bewusst, was er da gerade gesagt hatte. Es ist noch nie jemandem gelungen, Menschen in Frosche zu verwandeln. Es ist noch nie jemandem gelungen …
»Das ist es!«, stie? er hervor.
»Der Umkehrzauber?«, fragte Olivia hoffnungsvoll.
»Nein, du Dummkopf! Ich habe einen neuen Zauber erfunden! Etwas nie Dagewesenes! Ich werde den Zauberer-Nachwuchs-Wettbewerb gewinnen! Ich werde Adrian Hogsbottom besiegen!! Und danach muss Papa mich einfach Zauberer werden lassen und mit diesem dummen Ritter-Quatsch aufhoren! Ich hab’s geschafft! Ich werde beruhmt!«
»Au?er, dass nie jemand erfahren wird, dass du es bist, der gewonnen hat. Ganz abgesehen davon, dass sie dich zum Wettbewerb erst gar nicht zulassen werden, weil du namlich, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, jetzt ein Froschbist«, sagte Grimm.
Das stimmte. Grimms Worte holten Max wieder auf den Boden der Tatsachen zuruck. Als Frosch konnte er wirklich nicht am Zauberer-Nachwuchs-Wettbewerb teilnehmen. Und er konnte sich vorstellen, was Mama und Papa sagen wurden, wenn sie nach Hause kamen und statt ihrer spurlos verschwundenen Kinder zwei knallbunte Frosche vorfanden. Wie konnte er den Zauber ruckgangig machen? Er brauchte einen Plan.
»Vielleicht schauen wir doch im Zauberbuch nach«, sagte er schlie?lich. »Es konnte ja eine Art allgemeinen Umkehrzauber geben.«
Die drei Frosche hupften uber die Steinplatten auf das aufgeschlagene Zauberbuch zu. Es war nicht ganz leicht, die steifen, vergilbten Seiten mit den Schwimmfu?en umzublattern. Und die Worte auf den Seiten zu lesen, war noch schwerer. Der Frosch-Blick war fabelhaft, wenn es darum ging, in einem dunklen Keller Fliegen zu erspahen. Worter sahen allerdings mit Froschaugen blo? wie verwischte Schnorkel aus.
»Ich glaube, hier steht etwas uber einen Umkehrzauber«, sagte Olivia, der vor Konzentration die Zunge aus dem Froschmaul hing.
»Mich musst du nicht fragen«, sagte Grimm. »Ich konnte schon als Ratte nicht lesen und als Frosch kann ich es schon gar nicht. Das ist eure Sache.«
Max starrte auf die Seite. Olivia hatte recht, da stand etwas.
»Ein allgemeiner Umkehrzauber fur die meisten Zauber-und Hexspruche«, las er langsam. »Das konnte das Richtige sein. Welche Zutaten braucht man?«
»Spinnwebwedel, abendroten Dammerungspuder, gemahlene Igelstacheln und – ah – schwarze Pfefferkorner«, sagte Olivia und verdrehte die Augen.
»Schwarze Pfefferkorner?!«, rief Max voller Grauen. »Aber die sind in der Kuche!«
Olivias runde Froschaugen sahen ihn mitleidig an.
»So ein Pech, Max. Ausgerechnet in der Kuche. Aber da du uns in diesen Schlamassel gebracht hast, musst du wohl …«
»Neiiiin!«, heulte Max auf. »Das kann ich nicht. Da muss ich an Miss Mudfoot vorbei! Sie wird Eintopf aus mir machen, mich in ein Glas stopfen oder noch viel Schlimmeres …«
»Das ist hart«, sagte Grimm unbarmherzig. »Aber du musst wieder ein richtiger Junge sein. Und ich will auch wieder eine richtige Ratte werden. Und so bezaubernd deine Schwester in Lila mit roten Punkten auch aussieht – deine Eltern werden trotzdem nicht gerade begeistert sein, sollte das so bleiben. Sieh den Tatsachen ins Auge, Max. Du dienst dem Wohle der Allgemeinheit.«
Max kroch durch den Gang zur Kuche. Er presste sich so dicht wie moglich an die feuchte, graue Wand aus Stein und hoffte, dass die Schatten seine grell orange Farbung ein bisschen weniger auffallig machten. Die schwere Eichentur zur Kuche stand halb offen und dahinter konnte er Miss Mudfoot leise mit sich selbst reden horen.
»Eine Gemusesuppe, also nee … ein feines Stuck Rinderhirn braucht’s dazu, das gibt Geschmack …«
Max streckte den Kopf durch die Tur. Er sah ein breites, in die Luft gestrecktes Hinterteil. Die Kochin buckte sich gerade nach einem Korb zu ihren Fu?en. Ihre langen grauen Rocke hatten schmutzige Falten, und Max konnte sehen, wie ihre fleischigen Hande nach zwei erdverschmierten Bund Mohren griffen. Er wollte nicht mal in die Nahe dieser Hande kommen …
»Abwaschen, hat sie gesagt. Abwaschen! Wo doch die Erde das Einzige ist, das nach was schmeckt. Zimperliches Pack! So’n bisschen Dreck hat noch keinem geschadet …«
Miss Mudfoot ging zur Spule, tauchte die Mohren einen Augenblick lang ins Wasser und warf sie dann auf den langen Holztisch, wo sie sie mit einem gro?en Knochenbeil zerhackte. Hack! Hack! Hack!
Max zuckte bei jedem Hieb zusammen. Er kroch uber die Turschwelle und wagte sich auf Zehenspitzen (soweit das mit Schwimmfu?en ging) in den Schatten des gro?en Gewurzschranks. Da musste der Pfeffer sein. Er war fast da. Alles gut so weit.
Er schluckte. Wem machte er hier etwas vor? Der schwierigste Teil lag noch vor ihm.
Miss Mudfoot war immer noch mit ihren Mohren beschaftigt. Also warf er einen prufenden Blick zum Gewurzschrank hinauf. In welchem Fach wurden die Pfefferkorner sein? Er hupfte ein Stuckchen naher und las das Etikett auf der untersten Schublade. Senfkornerstand da, in ordentlicher schwarzer Schrift. Daruber stand Safranund daneben Froschschenkel. Max erschauderte. Und dann sah er es. Das Pfefferfach. Oben rechts, genau vor Miss Mudfoots blitzenden schwarzen Augen …
Beinahe hatte Max jetzt und sofort aufgegeben. Er sah beim besten Willen keine Moglichkeit, an diese Schublade zu kommen. Geschweige denn, sie aufzukriegen, die Pfefferkorner zu erbeuten und dann auch nochaus der Kuche zu entwischen, ohne vorher zu einem Froschpfannkuchen oder einer deftigen Suppe verarbeitet zu werden. Er seufzte. Vielleicht wurde er besser gleich zum Burgteich hupfen und sich mit den anderen Froschen bekannt machen. Er konnte den Rest seines Lebens damit verbringen, von Seerosenblatt zu Seerosenblatt zu springen und Insekten mit Apfel-Krokant-Geschmack zu naschen.
Doch die Vorstellung, dass Adrian Hogsbottom dann zum dritten Mal in Folge den Zauberer-Nachwuchs-Wettbewerb gewinnen wurde, war mehr, als Max ertragen konnte. Er mussteeinfach an diese Pfefferkorner kommen.
Miss Mudfoot war mit ihren Mohren fertig und wandte sich dem Schrank zu. Max erstarrte.
»So, jetzt noch fiese Krauter, frisch aus dem Garten. Wenigstens werden ein paar krosse Kafer dabei sein, fur ein bisschen Wurze.« Schwerfallig machte sie kehrt und stampfte Richtung Tur, einen Korb in der Hand. Max hatte am liebsten auf der Stelle einen Purzelbaum geschlagen. Fantastisch!, dachte er. Sie verschwindet in den Krautergarten! Ich bin allein in der Kuche!
Er hupfte auf einen Stuhl und schatzte die Entfernung zum Schrank ab. Es sah weit aus. Andererseits war er ja ein Frosch. Er spannte seine kraftigen Hinterbeine an und sprang.
Mit einem Rums, der ihm den Atem raubte, knallte er gegen die obere Schrankkante, kriegte sie mit den Vorderfu?en zu fassen und strampelte wild mit den Hinterbeinen. Nach einer gefuhlten Ewigkeit, die er gefahrlich von der Kante baumelte, gelang es Max, sich hinaufzuziehen.
Puh! Vorsichtig sah er uber die Kante zu den Fachern hinab. Da war das richtige – Pfefferkorner–, mit einem blanken Messinggriff, um die Schublade herauszuziehen.
Max hockte sich hin und uberlegte. Dass er jetzt ein Frosch und kein Junge war und auf dem Schrank sa?, statt vor ihm zu stehen, machte die Sache ein klein wenig komplizierter. Am besten ware es, beschloss er schlie?lich, sich auf den Bauch zu legen und die Schublade mit den Hinterbeinen zu offnen.
So gut es ging, klammerte sich Max mit den Vorderfu?en an der glatten Oberflache fest, wahrend er die Hinterbeine uber die Kante schob, bis er den Messinggriff spurte. Dann holte er tief Luft und zog.