»Eindeutig ein Fluch, der sie umgebracht hat – vermutlich die Transmutations-Tortur – ich hab's viele Male mit angesehen, leider war ich hier nicht dabei. Ich kenne namlich den Gegenfluch, der sie gerettet hatte…«

Wahrend Lockharts Auslassungen waren immer wieder Filchs trockene, markerschutternde Schluchzer zu horen. Er war auf einem Stuhl neben dem Schreibtisch zusammengesunken, das Gesicht in den Handen vergraben und nicht fahig, einen Blick auf Mrs Norris zu werfen. Sosehr er Filch verabscheute, Harry konnte nicht anders, er empfand ein wenig Mitleid fur ihn, wenn auch nicht so viel wie fur sich selbst. Wenn Dumbledore Filch glaubte, wurde er ihn ohne Frage von der Schule weisen.

Dumbledore murmelte jetzt seltsame Worte vor sich hin und tippte Mrs Norris mit seinem Zauberstab an, doch nichts passierte: sie sah weiterhin aus, als ware sie gerade ausgestopft worden.

»… ich kann mich an einen ganz ahnlichen Vorfall in Ouagadogou erinnern«, sagte Lockhart,»eine Serie von Attacken, nachzulesen in meiner Autobiographie; ich konnte die Dorfbevolkerung mit verschiedenen Amuletten ausstatten, und die Sache war sofort erledigt…«

Die Lockharts an den Wanden nickten allesamt zustimmend. Einer davon hatte vergessen, sein Haarnetz abzunehmen.

Endlich richtete sich Dumbledore auf,

»Sie ist nicht tot, Argus«, sagte er sanft.

Lockhart, der gerade die Zahl der Morde zahlte, die er verhindert hatte, verstummte jah.

»Nicht tot«, wurgte Filch hervor und sah Mrs Norris durch einen Fingerspalt an.»Aber warum ist sie ganz… ganz steif und erstarrt?«

»Sie wurde versteinert«, sagte Dumbledore. (»Ah! Hab ich's mir doch gedacht!«, rief Lockhart.)»Doch wie, kann ich nicht sagen…«

»Fragen sie ihn!«, kreischte Filch und wandte sein fleckiges und tranenverschmiertes Gesicht Harry zu.

»Kein Zweitkla?ler hatte das geschafft«, sagte Dumbledore bestimmt.»Dafur ware schwarze Magie der fortgeschrittensten -«

»Er hat's getan, er hat's getan«, keifte Filch, und sein teigiges Gesicht lief purpurrot an.»Sie haben gesehen, was er an die Wand geschrieben hat! Er hat – in meinem Buro – er wei?, da? ich ein – ich ein -«in Filchs Gesicht trat etwas furchterlich Gequaltes,»er wei?, da? ich ein Squib bin«, stie? er hervor.

»Ich habe Mrs Norris nicht einmal angefasst!«, sagte Harry laut und im Bewusstsein, da? ihn alle ansahen, auch alle Lockharts an den Wanden.»Und ich wei? nicht mal, was ein Squib ist.«

»Unsinn«, schnarrte Filch,»er hat meinen Kwikzaubern-Brief gesehen!«

»Wenn ich etwas dazu sagen darf, Direktor«, sagte Snape aus dem Schatten heraus, und Harrys ungute Vorahnung verstarkte sich; gewi? wurde Snape nichts zu sagen haben, was ihm helfen konnte.

»Potter und seine Freunde waren vielleicht nur zur falschen Zeit am falschen Ort«, sagte er, und seine Lippen krauselten sich in einem Anflug von Hame, als ob er dies bezweifelte,»aber wir haben hier eine Reihe von verdachtigen Umstanden. Warum war er uberhaupt in diesem Korridor? Warum war er nicht beim Halloween-Fest?«

Harry, Ron und Hermine sprudelten gleichzeitig los, um die Sache mit der Todestagsfeier zu erklaren:»… da waren hunderte von Geistern, die werden Ihnen sagen, da? wir dort waren -«

»Aber warum seid ihr hinterher nicht zum Fest gekommen?«, sagte Snape, und seine dunklen Augen glitzerten im Kerzenlicht.»Warum seid ihr hoch in diesen Korridor?«

Ron und Hermine sahen Harry an.

»Weil… weil…«, sagte Harry mit heftig pochendem Herzen, und etwas sagte ihm, es wurde weit hergeholt klingen, wenn er ihnen erklarte, da? eine korperlose Stimme, die nur er horen konnte, ihn dorthin gelockt habe.»Weil wir mude waren und ins Bett gehen wollten«, sagte er.

»Ohne noch etwas zu Abend zu essen?«, fragte Snape mit einem triumphierenden Lacheln auf dem hageren Gesicht.»Ich dachte, Geister wurden bei ihren Partys keine Speisen servieren, die Lebenden bekommlich waren.«

»Wir hatten keinen Hunger«, sagte Ron laut, um ein gewaltiges Knurren seines Magens zu ubertonen.

Snapes gehassiges Lacheln verwandelte sich in ein breites Grinsen.

»Ich denke, da? Potter nicht die ganze Wahrheit sagt«, verkundete er.»Es ware angeraten, ihm gewisse Vergunstigungen zu entziehen, bis er bereit ist, uns die ganze Geschichte zu erzahlen. Ich personlich meine, er sollte aus dem Quidditch-Team ausgeschlossen werden, bis er sich entschlossen hat, alle Unklarheiten zu beseitigen.«

»Nun mal halblang, Severus«, sagte Professor McGonagall scharf,»ich sehe keinen Grund, dem Jungen das Quidditch zu verbieten. Diese Katze hat keinen Schlag mit dem Besenstiel abbekommen. Es gibt keinerlei Beweise dafur, da? Potter etwas Unrechtes getan hat.«

Dumbledore sah Harry prufend an. Seine blinkenden hellblauen Augen gaben Harry das Gefuhl, gerontgt zu werden.

»Unschuldig bis zum Beweis der Schuld, Severus«, sagte er entschieden.

Snape sah zornig aus, ebenso wie Filch.

»Meine Katze ist versteinert worden!«, kreischte er mit hupfenden Augenballen,»ich will eine Bestrafung sehen«

»Wir werden sie heilen konnen, Argus«, sagte Dumbledore geduldig,»Madam Sprout ist es kurzlich gelungen, einige Alraunen zu zuchten. Sobald sie ihre volle Gro?e erreicht haben, werde ich einen Trank brauen lassen, der Mrs Norris wieder beleben wird.«

»Das erledige ich«, warf Lockhart ein.»Ich mu? es schon hundertmal getan haben, ich konnte einen Alraune-Wiederbelebungstrank im Schlaf zusammenbrauen.«

»Verzeihen Sie«, sagte Snape eisig,»doch ich denke, ich bin der Experte fur Zaubertranke an dieser Schule.«

Eine peinliche Pause trat ein.

»Sie konnen gehen«, sagte Dumbledore zu Harry, Ron und Hermine.

Sie gingen so schnell sie konnten, ohne zu rennen. Ein Stockwerk uber Lockharts Buro huschten sie in ein leeres Klassenzimmer und schlossen die Tur leise hinter sich. Harry versuchte in der Dunkelheit die Gesichter seiner Freunde auszumachen.

»Meint ihr, ich hatte ihnen von der Stimme erzahlen sollen, die ich gehort habe?«

»Nein«, sagte Ron ohne Zogern.»Stimmen zu horen, die niemand sonst horen kann, ist kein gutes Zeichen, nicht einmal in der Zaubererwelt.«

Etwas in Rons Stimme lie? Harry fragen:»Du glaubst mir doch, oder?«

»Naturlich«, sagte Ron rasch.»Aber, du mu?t zugeben, es ist unheimlich…«

»Ich wei?, es ist unheimlich«, sagte Harry.»Die ganze Geschichte ist unheimlich. Was stand da an der Wand? Die Kammer wurde geoffnet… Was soll das hei?en?«

»Wart mal, da klingelt etwas in meinem Kopf«, sagte Ron langsam.»Ich glaube, jemand hat mir mal eine Geschichte uber eine geheime Kammer in Hogwarts erzahlt… vielleicht war es Bill…«

»Und was in aller Welt ist eigentlich ein Squib?«, fragte Harry.

Uberrascht horte er, wie Ron verdruckst kicherte.

»Nun ja – eigentlich ist es nicht lustig – aber wenn es um Filch geht«, sagte er,»ein Squib ist jemand, der aus einer Zaubererfamilie stammt, aber keine magischen Krafte besitzt. Sozusagen das Gegenteil der Zauberer aus den Muggelfamilien, aber Squibs sind ganz selten. Wenn Filch ein wenig Magie in diesem Kwikzaubern-Kurs lernen will, mu? er ein Squib sein. Das wurde vieles erklaren. Zum Beispiel, warum er Schuler so ha?t.«Ron lachelte zufrieden.»Er ist verbittert.«

Irgendwo lautete eine Glocke.

»Mitternacht«, sagte Harry.»Wir gehen besser zu Bett, bevor Snape kommt und versucht, uns wegen etwas anderem dranzukriegen.«

Ein paar Tage lang sprachen sie in der Schule von nichts anderem als vom Angriff auf Mrs Norris. Filch erinnerte sie alle immer wieder daran, indem er am Tatort auf und ab marschierte, als ob er glaubte, der Angreifer werde zuruckkehren. Harry hatte gesehen, wie er die Schrift an der Wand mit»Mrs Skowers Allzweck-Magische-Sauerei-Entferner«schrubbte, doch ohne Erfolg. Die Worte leuchteten so hell wie zuvor auf der steinernen Wand. Wenn Filch nicht den Schauplatz des Verbrechens bewachte, schlurfte er mit roten Augen durch die Gange, sturzte sich drohend auf arglose Schuler und versuchte ihnen Nachsitzen aufzubrummen fur Dinge wie»lautes Atmen«oder»gluckliches Aussehen«.