Harry rappelte sich auf, schnell und flach atmend, und sein Herz vollfuhrte eine Art Trommelwirbel gegen seine Rippen. Mit fiebrigem Blick spahte er den verlassenen Korridor hinunter und sah, wie ein paar Spinnen so schnell sie konnten von den Korpern fortkrabbelten. Alles, was er horte, waren die gedampften Stimmen der Lehrer aus den Klassenzimmern zu beiden Seiten des Ganges.

Er hatte losrennen konnen, und keiner hatte je erfahren, da? er hier war. Aber er konnte sie nicht einfach hier liegen lassen… er mu?te Hilfe holen… wurde auch nur einer glauben, da? er damit nichts zu tun hatte?

Wahrend er dastand und Panik in ihm hochstieg, schlug gleich neben ihm krachend eine Tur auf Peeves, der Poltergeist, kam herausgeschossen.

»Sieh an, es ist der putzige kleine Potter!«, gackerte Peeves und schlug Harry im Vorbeihupfen die Brille von der Nase.»Was fahrt Potter im Schilde? Warum lummelt Potter hier -«

Mitten in einem Salto hielt Peeves inne. Kopfuber in der Luft hangend erkannte er Justin und den Fast Kopflosen Nick. Er vollendete seinen Purzelbaum und bevor Harry ihn aufhalten konnte, fullte er seine Lungen und brullte:

»ANGRIFF! ANGRIFF! WIEDER EIN ANGRIFF! KEIN STERBLICHER ODER GEIST IST SICHER! RENNT UM EUER LEBEN! AAAANGRIFF!«

Knall – knall – knall – den Gang entlang flog eine Tur nach der anderen auf und eine Flut von Schulern quoll heraus. Mehrere lange Minuten herrschte solches Durcheinander, da? Justins Korper Gefahr lief, ziemlich Schaden zu nehmen, und manche mitten im Kopflosen Nick standen. Von den andern gegen die Wand gedruckt horte Harry die Lehrer mit lauter Stimme Ruhe gebieten. Professor McGonagall kam herbeigeeilt, gefolgt von ihren Schulern, von denen einer immer noch schwarzwei? gestreiftes Haar hatte. Ein lauter Knall aus ihrem Zauberstab lie? Ruhe einkehren, und sie wies alle zuruck in die Klassenzimmer. Kaum hatte sich der Korridor etwas geleert, kam auch schon Ernie von den Hufflepuffs keuchend angerannt.

»Auf frischer Tat ertappt!«, rief Ernie und deutete mit schneewei?em Gesicht und dramatischer Geste auf Harry.

»La? gut sein, Macmillan!«, sagte Professor McGonagall scharf.

Uber ihnen hupfte Peeves auf und ab und wachte bosartig grinsend uber das Schauspiel; wenn heilloses Durcheinander herrschte, war Peeves immer bester Laune. Wahrend die Lehrer sich uber Justin und den Fast Kopflosen Nick beugten, um sie zu untersuchen, schmetterte Peeves ein Liedchen:

»Ach, Potter, du Schwein, was hast du getan.

Du meuchelst die Schuler und freust dich daran -«

»Das reicht, Peeves!«, blaffte ihn Professor McGonagall an, und Peeves schwebte rucklings, nicht ohne Harry die Zunge rauszustrecken, davon.

Professor Flitwick und Professor Sinistra aus dem Fachbereich Astronomie trugen Justin in den Krankenflugel, doch niemand schien zu wissen, was man fur den Fast Kopflosen Nick tun konnte. Professor McGonagall beschwor schlie?lich einen gro?en Fohn aus dem Nichts herauf und reichte ihn Ernie mit der Anweisung, den Fast Kopflosen Nick die Treppe hochzupusten. Und Ernie fohnte Nick vor sich her wie ein stummes schwarzes Hovercraft-Boot. Nun waren Harry und Professor McGonagall allein.

»Hier lang, Potter«, sagte sie.

»Professor«, sagte Harry sofort,»ich schwore, ich habe es nicht -«

»Das liegt jetzt nicht mehr in meiner Hand, Potter«, sagte Professor McGonagall kurz angebunden.

Schweigend bogen sie um eine Ecke und sie hielt vor einem gro?en und au?erst ha?lichen steinernen Wasserspeier an.

»Scherbert Zitrone!«, sagte sie. Das war offenbar ein Passwort, denn der Wasserspeier erwachte plotzlich zum Leben und hupfte zur Seite. Die Wand hinter ihm teilte sich. Obwohl Harry Angst hatte vor dem, was ihn jetzt erwartete, mu?te er einfach staunen. Hinter der Wand war eine Wendeltreppe, die sich langsam nach oben bewegte wie ein Aufzug. Er und Professor McGonagall betraten die Treppe und die Wand hinter ihnen schlo? sich mit einem dumpfen Gerausch. Sich im Kreise drehend stiegen sie nach oben, hoher und hoher, bis Harry endlich, leicht schwindlig im Kopf, eine schimmernde Eichentur vor sich sehen konnte, mit einem bronzenen Turklopfer in Gestalt eines Geiers.

Er wu?te, wo sie ihn hinfuhrte. Das mu?te der Ort sein, wo Dumbledore lebte.

Der Vielsaft-Trank

Sie stiegen die letzte Stufe der steinernen Treppe empor und Professor McGonagall klopfte an die Tur. Gerauschlos offnete sie sich und die beiden traten ein. Professor McGonagall gebot Harry zu warten und lie? ihn allein.

Harry sah sich um. Eins war gewi?: von allen Lehrerburos, die Harry bisher gesehen hatte, war Dumbledores das bei weitem interessanteste. Wenn er vor Angst nicht fast vergangen ware, man wurde ihn von der Schule werfen, dann hatte er ganz gerne einmal hier herumgestobert.

Es war ein gro?er und schoner runder Raum, erfullt mit merkwurdigen leisen Gerauschen. Auf den storchbeinigen Tischen standen merkwurdige silberne Instrumente, die surrten und kleine Rauchwolken ausstie?en. An den Wanden hingen Bilder ehemaliger Schulleiter und Schulleiterinnen, die alle friedlich in ihren Rahmen dosten. Es gab auch einen gewaltigen klauenfu?igen Schreibtisch, und auf einem Bord dahinter lag ein schabiger und rissiger Zaubererhut – der Sprechende Hut.

Harry zogerte. Er warf einen wachsamen Blick auf die schlafenden Hexen und Zauberer an den Wanden. Gewi? konnte es nicht schaden, wenn er den Hut herunternahm und ihn noch mal anprobierte? Nur mal sehen… einfach um sicherzugehen, da? er ihn tatsachlich ins richtige Haus gesteckt hatte -

Leise ging er um den Schreibtisch herum, nahm den Hut vom Bord und lie? ihn langsam auf seinen Kopf sinken. Er war ihm viel zu gro? und rutschte ihm uber die Augen, genau wie das letzte Mal, als er ihn aufgesetzt hatte. Harry starrte ins Schwarze im Innern des Hutes und wartete. Schlie?lich wisperte ihm eine leise Stimme ins Ohr:

»Hast 'nen kleinen Fimmel, Harry Potter?«

»Ahm, ja«, murmelte Harry.»Ahm – tut mir Leid, da? ich dich store – ich wollte nur fragen -«

»Du fragst dich, ob ich dich ins richtige Haus gesteckt habe«, sagte der Hut gewitzt. >ja… bei dir war es besonders schwierig. Aber ich bleibe bei dem, was ich schon gesagt habe«- Harrys Herz machte einen Hupfer -»dir ware es in Slytherin gut ergangen -«

Harrys Magen krampfte sich zusammen. Er packte den Hut an der Spitze und zog ihn vom Kopf. Lasch baumelte er in seiner Hand, schmutzig und verschlissen. Harry schob ihn zuruck ins Regal. Ihm war ubel.

»Das stimmt nicht«, sagte er laut zu dem reglosen und stummen Hut. Er bewegte sich nicht. Harry wich zuruck, die Augen starr auf ihn gerichtet. Dann horte er hinter sich ein merkwurdig wurgendes Gerausch und wirbelte herum.

Er war doch nicht allein. Auf einer goldenen Stange hinter der Tur sa? ein altersschwacher Vogel, der aussah wie ein halb gerupfter Truthahn. Harry starrte ihn an und der Vogel starrte boshaft zuruck und lie? erneut sein wurgendes Gerausch horen. Er sieht sehr krank aus, dachte Harry. Die Augen des Vogels waren trube, und wahrend Harry ihn ansah, fielen Federn aus dem Schwanz.

Hatte mir gerade noch gefehlt, wenn Dumbledores Vogel stirbt, wahrend ich allein mit ihm bin, dachte Harry gerade – als der Vogel in Flammen aufging.

Vor Schreck schrie Harry auf, wich zuruck und stie? mit dem Rucken gegen den Schreibtisch; fieberhaft schaute er sich um, ob es nicht irgendwo ein Glas Wasser gabe, aber er sah keines; der Vogel war mittlerweile ein Feuerball geworden; er gab einen lauten Schrei von sich und schon war nichts mehr von ihm ubrig als ein schwelender Haufen Asche auf dem Boden.

Die Burotur ging auf und Dumbledore kam mit ernstem Gesichtsausdruck herein.

»Professor«, keuchte Harry,»Ihr Vogel – ich konnte nichts machen – er hat einfach Feuer gefangen -«

Zu Harrys Verbluffung lachelte Dumbledore.