Und die Legende sagt weiter, da? Slytherin diese Kammer versiegelt hat, so da? keiner sie offnen kann, bis sein eigener wahrer Erbe zur Schule kommt. Der Erbe allein soll in der Lage sein, die Kammer des Schreckens zu entsiegeln, den Schrecken im Innern zu entfesseln und mit seiner Hilfe die Schule von all jenen zu saubern, die es nicht wert seien, Zauberei zu studieren.«

Ein Schweigen trat ein, als er zu Ende erzahlt hatte, doch es war nicht das ubliche, schlafrige Schweigen, das Professor Binns' Unterricht erfullte. Die Stimmung war unangenehm gespannt, denn alle sahen ihn an und warteten auf mehr. Professor Binns sah ein wenig ungehalten aus.

»Die ganze Geschichte ist naturlich bluhender Unsinn«, sagte er.»Naturlich haben die gelehrtesten Hexen und Zauberer die Schule nach einer solchen Kammer durchsucht, viele Male. Es gibt sie nicht. Eine Mar, die dazu taugt, den Leichtglaubigen Furcht einzujagen.«

Hermines Hand war schon wieder oben.

»Sir – was genau meinen Sie mit dem >Schrecken(in der Kammer?«

»Das soll eine Art Monster sein, das nur der Erbe von Slytherin im Griff hau, sagte Professor Binns mit seiner trockenen, schrillen Stimme.

Die Klasse tauschte beunruhigte Blicke aus.

»Ich versichere Ihnen, dieses Wesen existiert nicht«, sagte Professor Binns und blatterte durch seine Unterlagen.»Es gibt weder eine Kammer noch ein Monster.«

»Aber Sir«, sagte Seamus Finnigan,»wenn die Kammer nur von Slytherins wahrem Erben geoffnet werden kann, dann kann sie ja kein anderer finden, nicht wahr?«

»Unsinn, Flaherty«, sagte Professor Binns nun in ernsterem Ton.»Wenn eine lange Reihe von Schulleitern und Schulleiterinnen in Hogwarts das Ding nicht gefunden hat -«

»Aber, Professor«, piepste Parvati Patil,»man braucht wahrscheinlich schwarze Magie, um sie zu offnen -«

»Wenn ein Zauberer keine schwarze Magie gebraucht, hei?t das noch lange nicht, da? er sie nicht auch beherrscht, Miss Pennyfeather«, antwortete Professor Binns barsch.»Ich wiederhole, wenn Leute wie Dumbledore -«

»Aber vielleicht mu? man mit Slytherin verwandt sein, also konnte Dumbledore nicht -«, begann Dean Thomas, doch Professor Binns hatte genug.

»Das reicht jetzt«, sagte er scharf»Es ist ein Mythos! Die Kammer existiert nicht! Es gibt racht den Zipfel eines Beweises, da? Slytherin auch nur einen geheimen Besenschrank gebaut hat! Ich bereue es, Ihnen eine so hanebuchene Legende erzahlt zu haben! Wir werden jetzt, wenn Sie erlauben, zur Geschichte zuruckkehren, zu den harten, glaubhaften und nachprufbaren Tatsachen!«

Und funf Minuten spater war die Klasse wieder in ihren ublichen Wachschlaf gesunken.

»Ich hab immer gewusst, da? Salazar Slytherin ein verruckter alter Schwachkopf war«, sagte Ron zu Harry und Hermine, als sie sich nach Ende der Stunde durch die dicht gedrangten Gange kampften, um ihre Taschen vor dem Abendessen nach oben zu bringen.»Aber ich hab nicht gewusst, da? er diesen ganzen Unsinn mit dem reinen Blut angefangen hat. Ich wollte nicht in seinem Haus sein, und wenn man mich dafur bezahlte. Ehrlich gesagt, wenn der Sprechende Hut versucht hatte, mich nach Slytherin zu stecken, hatte ich gleich wieder den Zug nach Hause genommen…«

Hermine nickte eifrig, doch Harry sagte kein Wort. In seinem Inneren hatte sich gerade etwas schmerzhaft verkrampft.

Harry hatte Ron und Hermine nie erzahlt, da? der Sprechende Hut ernsthaft erwogen hatte, ihn nach Slytherin zu stecken. Als ob es erst gestern gewesen ware, konnte er sich noch an die leise Stimme erinnern, die in sein Ohr gesprochen hatte, als er vor einem Jahr den Hut aufgesetzt hatte.

»Du konntest gro? sein, wei?t du, es ist alles da in deinem Kopf, und Slytherin wird dir auf dem Weg zur Gro?e helfen. Kein Zweifel…«

Doch Harry, der schon gehort hatte, da? das Haus Slytherin in dem Ruf stand, schwarze Magier hervorzubringen, hatte verzweifelt gedacht:»Nicht Slytherin!«, und der Hut hatte gesagt:»Nun, wenn du dir sicher bist – dann besser nach Gryffindor…«

Wahrend der Schulerstrom sie in die eine Richtung trug, schwamm in der Gegenrichtung Colin Creevey vorbei.

»Hi, Harry!«

»Hallo, Colin«, sagte Harry beilaufig.

»Harry – Harry – ein Junge in meiner Klasse hat gesagt, da? du -«

Doch Colin war so klein, da? er nicht gegen die Welle von Schulern ankampfen konnte, die ihn zur Gro?en Halle trug; sie horten ihn noch quieken:»Bis nachher, Harry«, und dann war er verschwunden.

»Was sagt ein Junge in seiner Klasse uber dich?«, fragte Hermine.

»Da? ich der Erbe von Slytherin bin, vermute ich«, sagte Harry, und sein Magen machte eine Umdrehung, als ihm plotzlich einfiel, wie Justin Finch-Fletchley am Mittag vor ihm Rei?aus genommen hatte.

»Die Leute hier glauben auch alles«, sagte Ron angewidert. Die Menge verlor sich allmahlich und die nachste Treppe nahmen sie ohne Muhe.

»Glaubst du wirklich, da? es eine Kammer des Schreckens gibt?«, fragte Ron Hermine.

»Ich wei? nicht«, sagte sie stirnrunzelnd.»Dumbledore konnte Mrs Norris nicht heilen, und deshalb denke ich, was immer sie angegriffen hat, ist vielleicht kein – nun ja -menschliches Wesen.«

Wahrend sie sprach, bogen sie um eine Ecke und fanden sich nun ganz am Ende jenes Korridors, in dem der Angriff geschehen war. Sie hielten inne und sahen sich um. Der Schauplatz sah genauso aus wie in jener Nacht, nur hing keine steife Katze vom Fackelhalter, und ein leerer Stuhl stand an der Wand, auf der immer noch zu lesen war:»Die Kammer wurde geoffnet.«

»Da hat Filch Wache gehalten«, murmelte Ron.

Sie sahen sich an. Der Korridor war menschenleer.

»Kann nicht schaden, wenn wir uns ein wenig umsehen«, sagte Harry. Er stellte seine Tasche ab, ging auf die Knie und kroch nach Spuren suchend auf dem Boden umher.

»Brandflecken!«, sagte er,»hier – und hier -«

»Komm und schau dir das an«, sagte Hermine,»das ist merkwurdig…«

Harry stand auf und ging hinuber zum Fenster neben der Schrift an der Wand. Hermine deutete auf die oberste Fensterscheibe, wo sich etwa zwanzig Spinnen auf einem Haufen drangten und offenbar mit aller Kraft versuchten durch einen kleinen Ri? zu kommen. Ein langer silberner Faden pendelte hin und her wie ein Seil, als ob sie alle schnell daran hochgekrabbelt waren, um hinauszugelangen.

»Hast du jemals so etwas bei Spinnen gesehen?«, sagte Hermine kopfschuttelnd.

»Nein«, sagte Harry,»und du, Ron? Ron?«

Er wandte den Kopf. Ron hielt weiten Abstand zu ihnen und schien gegen den Drang anzukampfen, einfach wegzulaufen.

»Was ist los?«, sagte Harry.

»Ich mag keine Spinnen«, sagte Ron gepre?t.

»Das hab ich nicht gewu?t«, sagte Hermine und sah Ron uberrascht an.»Du hast doch so oft Spinnen in Zaubertranke gemischt…«

»Gegen tote hab ich ja nichts«, sagte Ron, der sorgfaltig den Blick aufs Fenster vermied.»Ich mag nur nicht, wie sie sich bewegen…«

Hermine kicherte.

»Das ist nicht komisch«, sagte Ron beleidigt.»Wenn du's wissen willst: Als ich drei war, hat Fred meinen… meinen Teddybaren in eine eklige gro?e Spinne verwandelt, weil ich seinen Spielzauberstab zerbrochen hatte… Du wurdest sie auch nicht ausstehen konnen, wenn du deinen Baren geknuddelt hattest, und der hatte plotzlich zu viele Beine…«

Erschaudernd brach er ab. Hermine bemuhte sich offenbar immer noch, sich das Lachen zu verkneifen. Harry hatte das dringende Gefuhl, sie sollten lieber das Thema wechseln, und sagte:»Erinnert ihr euch an das viele Wasser auf dem Boden? Wo kam das her? jemand hat es aufgewischt.«

»Es war ungefahr hier«, sagte Ron, der sich wieder gesammelt hatte, und ging ein paar Schritte an Filchs Stuhl vorbei:»Auf Hohe dieser Tur.«

Er streckte die Hand nach dem bronzenen Turknopf aus, zog sie aber jah wieder zuruck, als ob er sich verbrannt hatte.

»Was ist denn jetzt wieder los?«, wollte Harry wissen.

»Ich kann da nicht rein«, sagte Ron grantig.»Das ist ein Madchenklo.«