Harry wurde das Herz schwer wie Stein.

»Das Spiel ist abgesagt«, rief Professor McGonagall durch das Megafon hinuber zu den voll besetzten Rangen. Zuruck kamen Buhrufe und Pfiffe. Oliver Wood, au?er sich vor Verzweiflung, landete und rannte, ohne vom Besen zu steigen, auf Professor McGonagall zu.

»Aber Professor«, rief er.»Wir mussen spielen – der Pokal – Gryffindor -«

Professor McGonagall achtete gar nicht auf ihn und hob erneut das Megafon:»Alle Schuler gehen zuruck in die Gemeinschaftsraume, wo die Hauslehrer ihnen alles Weitere erklaren. So schnell Sie konnen, bitte!«Dann lie? sie das Megafon sinken und winkte Harry zu sich heruber.

»Potter, ich denke, Sie kommen besser mit mir…«

Wie konnte sie ihn nur diesmal schon wieder verdachtigen, fragte sich Harry, als sie zum Schlo? aufbrachen, und sah gleichzeitig, wie Ron sich aus der protestierenden Menge loste und zu ihnen herubergerannt kam. Zu Harrys Uberraschung hatte Professor McGonagall nichts einzuwenden.

»Ja, vielleicht sollten Sie auch mitkommen, Weasley…«

Manche der Schuler, die um sie herumschwarmten, grummelten, weil das Spiel ausfiel, andere sahen besorgt aus. Harry und Ron folgten Professor McGonagall zuruck in die Schule und die Marmortreppe empor. Doch diesmal ging es nicht in das Buro eines Lehrers.

»Das wird ein ziemlicher Schock fur Sie sein«, sagte Professor McGonagall mit uberraschend sanfter Stimme, als sie sich dem Krankenflugel naherten.»Es gab einen weiteren Angriff… einen Doppelangriff.«

Harrys Eingeweide krampften sich heftig schmerzend zusammen. Professor McGonagall offnete die Tur und er und Ron traten ein. Madam Pomfrey beugte sich uber eine Funftklasslerin mit langem Lockenhaar. Harry erkannte sie; es war das Madchen aus Ravenclaw, das sie zufallig nach dem Weg zum Gemeinschaftsraum der Slytherins gefragt hatten. Und im Bett neben ihr lag -

»Hermine!«, stohnte Ron. Hermine lag vollkommen reglos da, mit aufgerissenen, glasigen Augen.

»Sie wurden in der Nahe der Bibliothek gefunden«, sagte Professor McGonagall.»Ich nehme an, keiner von Ihnen kann das erklaren? Und das lag neben ihnen auf dem Boden…«

Sie hielt einen kleinen runden Spiegel hoch.

Harry und Ron schuttelten die Kopfe, ohne den Blick von Hermine zu wenden.

»Ich begleite Sie zuruck in den Gryffindor-Turm«, sagte Professor McGonagall mit trauriger Stimme.»Ich mu? ohnehin zu den Schulern sprechen.«

»Sie alle kehren spatestens um sechs Uhr abends zuruck in die Gemeinschaftsraume. Danach verla?t keiner mehr den Schlafsaal. Ein Lehrer wird Sie zu jeder Unterrichtsstunde begleiten. Kein Schuler geht ohne Begleitung eines Lehrers auf die Toilette. Quidditch-Training und -Spiele sind bis auf weiteres gestrichen. Es gibt keine abendlichen Veranstaltungen mehr.«

Die Gryffindors, die sich im Gemeinschaftsraum zusammendrangten, lauschten Professor McGonagall schweigend. Sie rollte das Pergament ein, von dem sie abgelesen hatte, und sagte mit fast erstickter Stimme:

»Ich mu? wohl kaum hinzufugen, da? ich in gro?ter Sorge bin. Wahrscheinlich wird die Schule geschlossen, wenn der Schurke, der hinter diesen Angriffen steckt, nicht gefa?t wird. Ich ermahne eindringlich jeden, der glaubt, etwas daruber zu wissen, mit der Sprache herauszurucken.«

Etwas ungelenk kletterte sie aus dem Portratloch und sofort begannen die Gryffindors laut zu schwatzen.

»Jetzt sind schon zwei Gryffindors au?er Gefecht, einen Geist von uns nicht mitgezahlt, und eine Ravenclaw und ein Hufflepuff«, sagte der Freund der Weasley-Zwillinge, Lee Jordan, und zahlte die Opfer an den Fingern ab.»Hat denn von den Lehrern keiner mitgekriegt, da? die Slytherins noch vollzahlig sind? Ist es nicht glasklar, da? diese Angriffe von Slytherin ausgehen? Der Erbe von Slytherin, das Monster von Slytherin – warum werfen sie nicht einfach alle Slytherins raus?«, polterte er unter Kopfnicken und vereinzeltem Beifall der Umstehenden. Percy Weasley sa? in einem Stuhl hinter Lee, doch er schien diesmal nicht erpicht darauf, seine Meinung zu sagen. Er sah bla? und ratlos aus.

»Percy steht unter Schock«, sagte George leise zu Harry.»Dieses Ravenclaw-Madchen war Vertrauensschulerin. Er glaubte wohl, das Monster wurde es nicht wagen, einen Vertrauensschuler anzugreifen.«

Doch Harry horte nur mit halbem Ohr zu. Das Bild Hermines wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf, wie sie da auf dem Krankenbett lag, als ware sie aus Stein gemei?elt. Und wenn der Schuldige nicht bald gefa?t wurde, mu?te er den Rest seines Lebens bei den Dursleys verbringen. Tom Riddle ware in ein Waisenhaus der Muggel gekommen, wenn sie die Schule geschlossen hatten, und deshalb hatte er Hagrid verraten. jetzt wu?te Harry genau, wie ihm zumute gewesen war.

»Was tun wir jetzt?«, fragte Ron leise in Harrys Ohr.»Glaubst du, sie verdachtigen Hagrid?«

Harry hatte sich entschlossen.»Wir mussen mit ihm reden«, sagte er.»Ich kann einfach nicht glauben, da? er es diesmal wieder ist, aber wenn er das Monster losgelassen hat, wei? er, wie man in die Kammer des Schreckens kommt, und dann sehen wir weiter.«

»Aber Professor McGonagall sagt, wir mussen im Turm bleiben, wenn wir nicht im Unterricht sind -«

»Ich glaube«, sagte Harry noch leiser»es ist Zeit, den alten Umhang meines Vater wieder auszupacken.«

Harry hatte nur eines von seinem Vater geerbt: einen langen, silbern schimmernden Umhang, der unsichtbar machte. Das war ihre einzige Chance, sich unbemerkt aus der Schule hinaus zu Hagrid zu schleichen. Sie gingen zur ublichen Zeit zu Bett und warteten, bis Neville, Dean und Seamus endlich aufgehort hatten, uber die Kammer des Schreckens zu diskutieren, dann standen sie wieder auf, zogen sich an und warfen sich den Tarnumhang uber.

Der Streifzug durch die dunklen Korridore war nicht gerade ein Vergnugen. Harry war schon ofter nachts im Schlo? umhergewandert, aber so viel wie jetzt war nach Sonnenuntergang noch nie los gewesen. Lehrer, Vertrauensschuler und Geister streiften paarweise durch die Gange und hielten Ausschau nach verdachtigen Vorkommnissen. Zwar waren sie unsichtbar, aber ihr Tarnumhang sorgte nicht dafur, da? sie keine Gerausche machten, und es gab einen besonders brenzligen Moment, als Ron sich den Zeh stie?. Nur ein paar Meter entfernt stand Snape Wache. Glucklicherweise nieste Snape in fast demselben Augenblick, in dem Ron fluchte. Als sie das eichene Schlo?tor erreichten, fiel ihnen ein Stein vom Herzen. Langsam schoben sie es auf

Es war eine klare, sternenhelle Nacht. Sie rannten so schnell sie konnten hinuber zu den erleuchteten Fenstern von Hagrids Hutte und streiften den Umhang erst ab, als sie vor seiner Tur standen.

Sekunden nachdem sie geklopft hatten, offnete Hagrid die Tur. Sie starrten ihm ins Gesicht. Hagrid hielt eine Armbrust auf sie gerichtet, und Fang, sein Saurude, stand laut klaffend hinter ihm.

»Oh«, sagte er, senkte die Waffe und starrte sie an.»Was macht'n ihr beide hier?«

»Was soll das denn?«, sagte Harry, als sie eintraten, und deutete auf die Armbrust.

»Nichts, nichts«, murmelte Hagrid.»Ich hab jemanden erwartet, tut jetzt nichts zur Sache, setzt euch, ich koch Tee.«

Hagrid schien nicht recht zu wissen, was er tat. Beinahe hatte er das Feuer geloscht, weil er Wasser aus dem Kessel darauf schuttete, und dann zerschlug er mit einem nervosen Zucken seiner massigen Hand die Teekanne.

»Alles in Ordnung mit dir, Hagrid?«, sagte Harry.»Hast du von Hermine gehort?«

»Oh, hab ich, j a«, sagte er ein wenig zogernd.

Standig warf er nervose Blicke zum Fenster. Er servierte ihnen gro?e Becher mit hei?em Wasser (die Teebeutel hatte er vergessen) und legte gerade eine Scheibe Fruchtekuchen auf einen Teller, als jemand an die Tur pochte.

Hagrid lie? den Fruchtekuchen fallen. Harry und Ron tauschten panische Blicke, dann warfen sie sich den Tarnumhang uber und verdruckten sich in eine Ecke. Hagrid vergewisserte sich, da? sie nicht zu sehen waren, dann packte er die Armbrust und offnete die Tur.