Aber die Hyperion schwang schon wieder herum. Die Manner an den Brassen keuchten und husteten, als die Geschutze erneut feuerten. Der Larm und Qualm des Kampfes machten sie taub und blind. Bolitho eilte ubers Deck, ohne druben die rauchumwehten, durchlocherten, in Fetzen hangenden Segel aus den Augen zu lassen, denn jetzt passierte die Hyperion das Heck des Feindes. Eine Fallbo brachte etwas bessere Sicht; die Heckaufbauten lagen, knapp funfzig Fu? vor dem eigenen Bug, frei im Schu?feld. Er unterschied die hohen Kajutfenster, das wohlbekannte, hufeisenformige Heck, das die franzosische Schiffskonstrukteure so liebten, und die Manner, die sich uber dem Schiffsnamen Saphir zusammendrangten. Sie schossen mit Musketen, und er sah einige seiner Vorschiffmatrosen fallen und sich in Qualen winden; der Geschutzdonner ubertonte ihre Schreie.

Aber dann, als der Bugspriet der Hyperion seinen schwarzen Schatten uber den Streifen sichtbaren Wassers warf, feuerte die Karronade. Einen Sekundenbruchteil, bevor der Rauch wieder uber das Wasser wirbelte, sah Bolitho, da? die Reihe der Heckfenster wie unter einem wilden Windsto? barst, und er konnte sich das Blutbad im uberfullten unteren Batteriedeck der Saphir vorstellen — vom Heck zum Bug war die geballte Ladung durch den ganzen Rumpf geflogen. In einem engen Raum voller Matrosen, die von der schnellen Rache der Hyperion schon halb betaubt gewesen waren, mu?te die Holle ausgebrochen sein.

Er zwang sich, nicht mehr daran zu denken, sondern sich auf das Oberdeck der Hyperion zu konzentrieren. Als das Schiff gewichtig das Heck des Feindes rundete, konnte die Backbordbatterie nur halb so viele Schusse losen wie beim ersten Angriff. Die angstliche Spannung, unter der die Manner gestanden hatten, als die Saphir so selbstbewu?t herankam, hatte sich in rauschartige Erregung verwandelt; Bolitho sah, als er durch die Rauchwolken spahte, mehr als einen Kanonier, der, statt sich um seinen Dienst zu kummern, entzuckt hoch in die Luft sprang, weil er von den Schrecknissen dort druben, jenseits des schmalen Streifens Wasser, auch etwas sehen wollte.

Bolitho legte die hohlen Hande an den Mund und brullte:»Mr. Inch! Backbordgeschutze doppelt laden! Durchsagen an Unterdeck: ebenfalls!»

Inch nickte heftig. Sein Dreispitz sa? schief, sein langes Gesicht war von Pulverrauch geschwarzt.

Die Saphir krangte leicht nach Backbord; der ins Wasser gefallene Mast wirkte wie ein gro?er Treibanker, so da? es ein paar kostbare Minuten langer dauerte, ihr Heck zu runden. Obgleich die Hyperion nun praktisch wieder in Lee stand, hatte die Saphir mit ihren zerschossenen Spieren und Segeln keinen Vorteil von der Luvposition. Als der Bugspriet der Hyperion scharf an der hohen Kampanje des Franzosen vorbeischnitt und die Buggeschutze mit erneuter Wut ihre Ladung ausspuckten, sah Bolitho gro?e Stucke Holz aus dem Schanzkleid hochfliegen; in einem Funkenregen ri? eines der feindlichen Geschutze aus der Halterung und rutschte seitlich auf die Bedienungsmannschaft, deren Todesschreie die britischen Kanoniere nur zu gro?eren Anstrengungen anspornten.

Dann, als beide Schiffe quer durch den Qualm pflugten, feuerte die obere Batterie der Saphir zum erstenmal. Es war eine stotternde Salve, deren Flammenzungen jetzt durch den treibenden Rauch stie?en. Ihre Detonationen mischten sich mit denen der Breitseite der Hyperion. Die Distanz hatte sich wieder verringert, und beide Schiffe lagen jetzt knapp drei?ig Fu? auseinander. Die Kanoniere der Saphir hatten gefeuert, als das Schiff im Wellental lag, und Bolitho spurte das Deck unter sich erzittern, als eine Kugel nach der anderen in den massigen Rumpf seines Schiffes einschlug oder jaulend in die unsichtbare Welt jenseits der Rauchwolken flog. Aus den Masten des Franzosen kamen Musketenschusse, und Bolitho erhaschte einen kurzen Blick auf einen Offizier, der mit seinem Degen auf ihn deutete, als wolle er den Schutzen das Ziel weisen. Musketenkugeln schlugen dumpf in die Finknetze neben ihm, und er sah einen Matrosen entgeistert auf seine Hand starren: ein Querschlager hatte ihm einen Finger abgeschnitten, so sauber wie mit der Axt.

Unter gebrullten Beschimpfungen erwiderten Ashbys Seesoldaten das Feuer, und bald hing mehr als ein Franzose leblos im Rigg, als Zeichen ihrer Treffsicherheit.

Wieder kam eine unregelma?ige Salve aus den oberen Stuckpforten der Saphir, doch die Masten der Hyperion blieben unbeschadigt. Zwar waren die Segel ziemlich durchlochert, aber nur wenige Blocke und Spieren baumelten frei oder fielen in die Netze, die er zum Schutz der Kanoniere hatte aufriggen lassen. Eben rannte ein kleiner Schiffsjunge ubers Deck, gebeugt unter einer Last Pulver aus dem Magazin. Ein Kanonier wurde von seinem Zwolfpfunder weg durch die Luft geschleudert und fiel mit aufgerissenem Leib, aus dem die Eingeweide hingen, dem Jungen vor die Fu?e. Der hielt nur einen Moment inne und rannte dann blindlings weiter an sein Geschutz, zu entgeistert, um uberhaupt auf das Ding zu achten, unter dessen Todeszuckungen die Decksplanken sich immer roter farbten.

Oben im Qualm sah Bolitho die franzosische Flagge an der Gaffel wehen. Das wei?e Tuch mit der blau-wei?-roten Gosch wirkte seltsam sauber und schien mit der irrsinnigen Holle unten kaum etwas zu tun zu haben; Bolitho hatte gerade noch Zeit, sich zu fragen, wer sich wohl die Muhe gemacht hatte, die Flagge noch zu hissen.

«Ihr Gro?mars hat's weggerissen, Sir«, brullte Gossett heiser und schuttelte vor lauter Begeisterung den Ruderganger im Takt zu seinen Worten.»Mein Gott, sehen Sie sich das arme Luder blo? an!»

Ashby schritt uber das Achterdeck, die Breeches blutbespritzt, der Degen baumelte an einer Goldschnur von seinem Handgelenk. Er fa?te gru?end an den Hut, unbekummert um die jaulenden Musketenkugeln und das Schmerzgebrull, das jetzt auf beiden Schiffen ertonte.»Sobald Sie befehlen, konnen wir entern, Sir! Ein ordentlicher Ansturm, und wir hauen ihnen das Ruckgrat aus dem Leib!«Dabei grinste er tatsachlich.

Ein Seesoldat, die Hande vors Gesicht geschlagen, fiel rucklings aus den Netzen und lag reglos an Deck. Eine Musketenkugel hatte ihm den Schadel fast auseinandergerissen. Wie Porridge war sein Hirn auf den Planken verschmiert.

Bolitho blickte weg.»Nein, Captain, so gern ich sie als Prise hatte — ich mu? zuerst an das Geleit denken. «Er sah einen hochgewachsenen franzosischen Matrosen druben an den Finknetzen stehen und seine Muskete genau auf ihn richten. Der Mann hob sich scharf von der Rauchwand ab, unbekummert um alle Gefahr, nur von dem Drang beseelt, den britischen Kapitan zu toten. Seltsamerweise konnte Bolitho einfach dastehen und es sich wie ein Zuschauer ansehen: hell blitzte die Muskete auf, der Knall ging unter im Donnern der schweren Geschutze, wahrend die Hyperion vom Rucksto? der Breitseite bockte. Bolitho spurte, wie die Kugel ihn am Armel zupfte — nicht starker als eines Mannes Finger. Hinter sich horte er einen schrillen Aufschrei, und ohne aufzusehen wu?te er, da? die Kugel doch noch ein Opfer gefunden hatte. Aber sein Blick hing an dem unbekannten Schutzen. Der mu?te ein tapferer Mann sein, oder das Schicksal seines Schiffes hatte ihn in eine so irre Wut versetzt, da? er seiner eigenen Sicherheit nicht achtete. Er stand noch auf dem Schandeck, da ri? ihn ein Neunpfun-dergescho? der Hyperion mitten auseinander, so da? der Oberkorper mit wild schlagenden Armen langsseit ins schaumende Wasser sturzte, wahrend die gespreizten Beine noch sekundenlang fest und entschlossen stehenblieben.

Mit der Saphir sah es ubel aus. Die Segel waren schwarzliche Fetzen, nur Kluver und Besanuntersegel schienen noch intakt. Dunne rote Blutstrome rannen aus ihren Speigatten und zu Seiten der Pforten herab. Bolitho konnte den Umfang der Zerstorung nur raten. Bezeichnenderweise griff die untere Batterie des Feindes uberhaupt nicht in den Kampf ein, die machtigen Vierundzwanzig-pfunder blieben stumm und ohnmachtig. Ein Wunder, da? das ganze Schiff noch nicht in Flammen aufgegangen war. Doch er wu?te aus boser Erfahrung, da? solche Au?erlichkeiten tauschen konnten. Die Saphir mochte immer noch zum Kampf fahig sein, und ein einziger, genau gezielten Schu? konnte die Hyperion so lange au?er Gefecht setzen, da? sie den schwer errungenen Vorteil wieder einbu?te.