Immerhin wu?te er, da? Lorient weiter nordlich lag; und damit ein bi?chen naher an England.

Der kleine Kommandant stand wartend unter der Tur und sah Bo-litho an.»Es wird Zeit, M'sieu.»

Bolitho blickte sich noch einmal in dem Raum um, der so lange jhre Zelle gewesen war. Den bewu?tlosen Neale hatte man auf einer Bahre festgebunden und, begleitet von Allday, schon am fruhen Nachmittag weggeschafft. Ohne Neale und seine verzwe i-felten Versuche, das ihm entgleitende Leben festzuhalten, wirkte der Raum ode und leer.

Browne fragte:»Horen Sie den Wind?»

Auch das war ein schlechtes Vorzeichen. Neale war kaum eine Stunde weg gewesen, da hatte der Wind aufgefrischt. Das Wetter mit seinen Launen hatte sie in dem exponierten Festungsturm auch vorher stark beeinflu?t, aber als sie sich jetzt an der Tur zusammendrangten, schien es sich eindeutig zu verschlechtern. Der Wind strich heulend um die Mauern und ruttelte an den kleinen Fenstern wie ein lebendes Wesen, auf der Suche nach ihnen, um sie zu vernichten.

Bolitho sagte:»Hoffentlich ist Neale inzwischen wohlbehalten an Bord.»

Der Kommandant fuhrte sie die enge, gewundene Steintreppe hinunter, wobei seine Stiefel immer die richtige Stelle auf den ausgehohlten Stufen fanden — wohl aus langer Gewohnheit.

Uber die Schulter sagte er:»Heute abend oder nie. Das Schiff kann nicht warten.»

Bolitho lauschte dem anschwellenden Sturm. Kein Wunder, dachte er.

Als er vors Tor trat, wurde ihm der Gegensatz zu jenem warmen Augustmorgen, an dem er mit Browne zur hugeligen Kuste spaziert war, dramatisch bewu?t: Diesmal zogen graue schwere Wolken tief uber ihnen dahin und lie?en nur selten einen silberwei?en Strahl Mondlicht hindurch, der die Szenerie in ein scharfes, verzerrendes Licht tauchte. Zwischen tanzenden Laternen schritten sie auf einen Kommandoruf zur Ruckseite der Festung, hinter dem

Kommandanten her, der unbeirrt, auch ohne Laterne oder Mondlicht, seinen Weg fand. Sie schlugen denselben Pfad ein, den sie damals entdeckt hatten, doch diesmal, vom Sturm geschuttelt und in der Finsternis halb blind, hatte Bolitho sich darauf nie allein zurechtgefunden.

Er merkte, da? die Soldaten ihn beobachteten, und erinnerte sich an die letzten Worte des Festungskommandanten:»Ich entlasse Sie nicht wie Diebe, sondern wie Offiziere. Deshalb schlie?e ich Sie weder an Handen noch an den Fu?en in Eisen. Aber wenn Sie zu fliehen versuchen.»

Angesichts der wachsamen Soldaten mit ihren langen Bajonetten konnte er sich weitere Erlauterungen sparen.

Browne meldete:»Jetzt geht es abwarts.»

Der Pfad machte einen Bogen nach rechts und fiel steil ab. Als sie in den Windschatten der Steilkuste gelangten, wurde das Heulen des Sturms etwas schwacher.

Sowie Bolitho stolperte, horte er sofort ein metallisches Klik-ken hinter sich. Tatsachlich, ihre Bewacher waren auf der Hut und jederzeit bereit, beim ersten Fluchtversuch gezielt zu schie?en.

Dann endlich horten sie die See, die wild gegen den Strand anbrandete, sich fur die Augen aber nur hier und da mit einem hellen Gischtstreifen zu erkennen gab. Bolitho ertappte sich dabei, da? er die Sekunden und Minuten zahlte, als sei es ausschlaggebend, die Stelle genau zu erkennen, wo sie die Klippe verlassen und eine andere Richtung einschlagen wurden.

Andere Laternen schwankten ihnen strandaufwarts entgegen, Stiefel stapften quietschend durch nassen Sand.

Bolitho horte den Kiel eines Bootes im Flachwasser knirschen und fragte sich, wo das Schiff wohl geankert hatte. Das Vorland gab ihnen jetzt Schutz vor dem Wind, woraus zu schlie?en war, da? sich der Sturm nicht nur verstarkt hatte, sondern auch umgesprungen war. Wehte es jetzt aus Ost? Wahrscheinlich, obwohl man sich in der Biskaya auf nichts verlassen konnte.

Im Schein einer Laterne tauchte das Gesicht des Festungskommandanten aus dem Dunkeln auf.

«Leben Sie wohl, M'sieu. Wie ich hore, ist Ihr verwundeter Kapitan sicher an Bord der Ceres gelangt. «Gru?end griff er zum Hut und trat zuruck.»Viel Gluck.»

Der Lichtschein verschwand und mit ihm der Kommandant.

Eine fremde Stimme befahl grob:»In die chaloupe, schnell!»

Man fuhrte, stie? oder zerrte sie zu einer Barkasse, und kaum hatten sie sich in ihrem Heck zwischen einige nur undeutlich erkennbare Matrosen gequetscht, da wurde der Bug schon in tieferes Wasser geschoben; wild schlugen die Riemen, um das Boot in Fahrt zu bringen.

Sowie sie aus dem Windschatten der Steilkuste kamen, wurde die Fahrt zu einer Art Ritt auf dem Delphin. Das Boot hob sich und fiel schwindelerregend, die Mannschaft kampfte — vom Bootssteu-rer an der Pinne zum au?ersten getrieben — verzweifelt gegen Wind und Seegang an. Es war eine rauhe Nacht, die bald noch rauher werden mu?te. Daruber war sich Bolitho klar. Er dachte an Neale, der hoffentlich in der vertrauteren Umgebung an Bord eines Schiffes, auch wenn es ein franzosisches war, inzwischen etwas mehr Ruhe gefunden hatte. Uberhaupt war jetzt alles anders; es roch nach Teer und Rum, nach Salz und dem Schwei? der Seeleute, die mit ihrem Feind von altersher rangen, der See.

Also Ceres. Den Namen hatte er schon irgendwo gehort. Sie mu?te eine der Fregatten sein, die als Blockadebrecher und Kuriere zwischen den franzosischen Flotten eingesetzt waren. Wenn die Franzosen erst die Kette der optischen Telegraphen weiter ausgebaut hatten, mu?te der Dienst fur diese Fregatten etwas leichter werden.

Browne griff nach seinem Arm, er blickte auf und sah den Umri? des franzosischen Schiffes vor und uber sich in der Dunkelheit aufragen; um Steven und Ankertrosse kochte die See, als sei die Fregatte soeben erst aus der Tiefe emporgetaucht.

Nach drei vergeblichen Versuchen bekam der Buggast die Rusten zu packen, das Fallreep schwang heran, und Bolitho sprang um sein Leben, ehe das Boot wieder unter seinen Fu?en in das nachste tiefe Wellental absacken konnte; Browne folgte ihm ebenso.

Na? bis auf die Haut erreichten sie das Deck; die tropfenden Bootsmantel, von denen Knopfe und Rangabzeichen langst abgerissen waren, hingen ihnen von den Schultern wie die Lumpen einer Vogelscheuche.

Bolitho spurte an Bord drangende Eile und das Bestreben, moglichst schnell Segel zu setzen. Deshalb vermerkte er mit Respekt, da? der franzosische Kommandant, den man uber den Dienstrang seines Gefangenen sicherlich informiert hatte, sich die Zeit nahm, sie an der Schanzkleidpforte zu empfangen.

Aber auch das ging vorbei, und dann wurde Bolitho uber Niedergange und unter niedrigen Balkendecken hindurch nach unten in eine Welt gefuhrt, die ihm nur allzu vertraut war.

Unter Deck wirkten die Schiffsbewegungen noch heftiger. Er glaubte zu spuren, wie die Fregatte an ihrer Ankertrosse zerrte, um endlich der gefahrlichen Umarmung des Landes zu entkommen und die Sicherheit der offenen See zu gewinnen.

Als sie den letzten Niedergang ins Orlopdeck hinunterkletterten, horte Bolitho das Gangspill oben klicken und vom Sturm halb verwehte Befehle, die das Ankerlichten und Segelsetzen begleiteten.

Im Halbdunkel eilten gebuckte Gestalten an ihnen vorbei; Bo-litho erkannte dunkle Flecken auf den Decksplanken, die nur von Blut herruhren konnten. Kein frisches Blut, aber zu tief ins Holz eingesickert, um jetzt noch abgeschrubbt zu werden. Wie immer im Orlopdeck, dachte er grimmig. Hier im Lazarett des Schiffes arbeiteten Feldscher und Arzt, so gut sie konnten, wahrend uber ihren Kopfen die Kanonen brullten und der Strom ihrer Opfer nicht abri?, die — auf rohen Holztischen festgebunden — auf die Sage oder das Wasser warteten.

Auf einer Koje zwischen den machtigen Spanten erkannte Boli-tho den verwundeten Neale; daneben erhob sich Allday, um ihn so erleichtert zu begru?en, als sei ihr Wiedersehen das einzige, was fur ihn auf dieser Welt noch zahlte.

Mit den Worten:»Das ist die Ceres, Sir, mit zweiunddrei?ig Geschutzen«, empfing ihn Allday und fuhrte sie alle zu einer Reihe alter Seekisten, die er mit Persenningen abgedeckt hatte, damit sie bequemer daraufsitzen konnten. Er fuhr fort:»Vor einiger Zeit geriet sie mit einem unserer Patrouillenschiffe aneinander. Der Koch hat mir von dem Gefecht erzahlt. «Er grinste.»Ein Ire. Auf jeden Fall ist sie unterwegs nach Lorient. «Mit schrag gelegtem Kopf lauschte er auf Wind und See, die drau?en gegen die Bordwand ansturmten.»Au?erdem sind sie seither unterbemannt. Hoffentlich stranden sie, diese Hunde!«»Wie geht es Kapitan Neale?»