«An Deck!«Aller Augen wandten sich nach oben zum Ausguck im Vormast.»Schiff vor Anker hinter der Landzunge!»
Wieder rollte Kanonendonner uber das blaue Wasser, und Bolitho sah Hunderte von Seevogeln wie winzige wei?e Federn uber der nachstgelegenen Anhohe kreisen. Er wartete, bis die Matrosen die Luvbrassen belegt hatten, dann machte er kehrt und ging zum Ruder zuruck. Er spurte, wie die Ruderganger und auch Keen und Lakey jeder seiner Bewegungen folgten.
Der dienstaltere Ruderganger sagte rauh:»Kurs Nord zu West liegt an, Sir.»
Bolitho blickte auf den Kompa? und uberprufte die Stellung der Rahen. Dann sah er Herrick an und erinnerte sich fluchtig all der fruheren, ahnlichen Gelegenheiten.
«Also gut. Sie konnen alle Mann auf Station rufen und das
Schiff gefechtsklar machen lassen.»
Herrick nickte mit unbewegtem Gesicht.
Die beiden Trommler kamen nach achtern gestampft, zogen ihre Schlegel und ruckten ihre Trommeln zurecht, ehe sie mit ihrem wilden Wirbel begannen, wahrend die Bootsmanns-maaten von Luke zu Luke rannten und brullten:»Alle Mann! Alle Mann! Klar Schiff zum Gefecht!«Bolitho wurde sich bewu?t, da? Midshipman Romney immer noch neben den aufmerksamen Rudergangern stand, und fragte:»Was halt Sie auf?»
Der Junge, eine kleine, reglose Gestalt in dem scheinbar wilden Durcheinander, stammelte benommen:»Es — es tut mir leid, Sir, ich dachte…«Er brach ab. Herrick befahl scharf:»Ins Vorschiff mit Ihnen! Melden Sie sich bei Mr. Jury. Ihm fehlen an Steuerbord einige Leute. «Er hob seine Stimme:»Nun gehen Sie schon, Mr. Romney!«Er sah dem davoneilenden Midshipman nach und murmelte:»Gott sei ihm gnadig.»
Der Lotgast, den fast alle vergessen hatten, rief aus:»Zehn Faden, Sir!»
Bolitho beobachtete den Kutter, der hinter ihnen zuruckblieb. Starling im Heck winkte gru?end, als sie vorbeizogen. Ungeduldig zog er seine Uhr. Das dauerte alles viel zu lange. Aber er wagte nicht, mehr Segel zu setzen. Wenn die Tempest hier ohne Grundberuhrung davonkommen wollte, durfte sie nicht zu schnell sein. Herrick rief:»Gefechtsklar, Sir!«Sein Blick fiel auf Bolithos Uhr, und er fugte hinzu:»Ich bedaure, da? es funfzehn Minuten dauerte, Sir.»
Bolitho schob die Uhr in die Tasche zuruck. Dieses eine Mal hatte er ausnahmsweise nicht an seine Standardforderung gedacht, da? Gefechtsbereitschaft in zehn Minuten oder schneller erreicht werden mu?te.
«Schon gut. Wir mussen eben versuchen, die funf Minuten wieder aufzuholen.»
Besser fur Herrick, sich daruber den Kopf zu zerbrechen, als zu horen, da? sein Kommandant neue Sorgen hatte. Er blickte uber die Querreling auf die nackten Rucken der Matrosen an den Zwolfpfundern nieder und zum Vorschiff, wo die langen Buggeschutze und die plumpen Karronaden feuerbereit warteten. Es war die buntest gemischte Besatzung, die er je gesehen hatte.
Und ganz gleich, was hinter der Landzunge oder dem nachsten Horizont auf sie warten mochte, sie waren alles, was er hatte.
Langsam sagte er:»Gut denn, Mr. Herrick. Setzen Sie die Flagge.»
Mit abwechselnd vollen und wieder killenden Segeln, als ob sie atme, steuerte die Tempest zielstrebig auf die Insel der funf Hugel zu. Bolitho konnte sich an eine ahnlich frustrierende Annaherung nicht erinnern und war sich der Spannung ringsum bewu?t.
Wieder hob er das Glas an die Augen: die Klippen am Fu? des Vorlandes wirkten wie abgebrochene Zahne; er konnte das zwischen ihnen aufgefangene Wasser auf- und abschwappen sehen und dahinter ein kurzes Stuck Sandstrand. Zu steil, um dort an Land zu gehen, entschied er, selbst wenn es gelang, ein Boot zwischen den Felsen durchzumanovrieren.
Da — der Knall der einzelnen Kanone hallte erneut uber die nachste Halbinsel heruber, wo das Steilufer direkt ins Meer abzufallen schien.
Er hielt das Glas still und musterte die Masten und Rahen des ankernden Schiffes, das leichte Flattern der aufgegeiten Segel. Es befand sich so dicht unter Land, da? es zeitweise trockengefallen sein mu?te. Moglicherweise, um einen Schaden zu beheben, wie Lakey vermutet hatte. Bolitho sagte:»Andern Sie den Kurs, um diesen Felsen auszuweichen, Mr. Lakey. Wir uberqueren die Bucht und zeigen uns, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, auf was sie schie?en. «Damit sprach er aus, was Herrick und manch anderer dachte, seit sie den ersten Schu? vernommen hatten. Die Eurotas — und es s chien kein Zweifel daran moglich, da? sie es war — war gut bewaffnet, wie ein Handelsschiff es in diesen Gewassern sein mu?te. Aber da kein Anzeichen fur ein anderes Schiff zu entdecken war, wurde sie entweder von Eingeborenenkanus oder vom Ufer selbst bedroht. Ihre Kanone konnte jede solche Gefahr abwehren, und da sie keine schweren Waffen erwidern horten, wurde das Geheimnis immer gro?er.»An die Brassen!»
Die Manner bewegten sich langsam in dem sengenden Sonnenglast — und dann plotzlich eilig, als die Maate dazwischenfuhren.»Hart Steuerbord!»
Bolitho beobachtete, wie die dunnen Schatten der Masten uber die ausgedorrten Planken glitten, als die Tempest auf Ruder und Wind reagierte. Sie drehte weiter und weiter herum, wobei das bucklige Vorland an Backbord voruberzog und endlich den Blick auf die Bucht unter dem zweiten Hugel freigab.»Recht so!»
«Nordost zu Nord, Sir!»
Die Tempest schien von sich aus Fahrt aufzunehmen, als sie vor dem Wind, der fast in ihrem Kielwasser folgte, dahinzog, wahrend jetzt das Vorschiff und die an den Karronaden geduckten Manner von Gischt uberspruht wurden.
Herrick rief aus:»Ich sehe sie, Sir! Ein Dutzend oder mehr Kanus. Gro?e, mit Auslegern!»
Eine Kanone auf der ihnen abgekehrten Seite des Schiffes feuerte, und man sah die Fontane bei einem der nachsten Kanus aufspruhen.
Bolitho studierte die niedrigen, schnellen Bootsrumpfe, die gestikulierenden Gestalten, welche die heftig arbeitenden Paddler antrieben.
«Lassen Sie ein Buggeschutz feuern, Mr. Herrick. Und zwar mitten zwischen die Kanus. Der Abstand ist noch zu gro? fur Schrapnells.»
Herrick blickte ihn an.»Soll ich Befehl zum Laden und Ausrennen geben, Sir?»
«Nein. Das ware, als ob man mit einer Axt auf Ameisen losginge. «Er lachelte, wobei ihm seine ausgedorrten Lippen aufplatzten. Das erinnerte ihn daran, da? er nun schon Stunden ohne Unterbrechung in dieser erbarmungslosen Sonne zubrachte.»Sie hi?t ein Signal, Sir!»
Bolitho hielt in seinem rastlosen Auf und Ab inne und wartete, bis Midshipman Swift erganzte: «Welches Schiff?«Bolitho beschattete seine Augen, als ein Teil der Kanus kehrt machte und mit voller Kraft zuruckpaddelte. Endlich hatten sie erkannt, da? die Tempest in die Bucht einlief. Er ignorierte die leuchtend bunten Flaggen, die Swifts Signalgasten zu den Rahen hinauf schickten. Das alles konnte er anderen uberlassen. Er mu?te nachdenken, denn irgend etwas stimmte nicht. Wie bei einem Bild, auf dem der Maler vergessen hatte, ein Gesicht oder einen Schatten auszumalen.
Von vorn horte er den Ruf:»Backbord-Buggeschutz feuerklar, Sir!»
«Gut. «Er hob die Hand.»Feuer!»
Der Knall des langen Neunpfunders kam zwar erwartet, schreckte aber dennoch die meisten auf. So war es immer. Bolitho verfolgte die Bahn des Geschosses, das erst zwei Wogenkamme beruhrte, die von den Felsen zuruckfluteten, und dann inmitten der Kanuflotte einschlug. Paddel fuhren wild ins Wasser, und wie auf Befehl drehten alle schlanken Rumpfe ab und strebten der Landzunge zu, welche die Tempest gerade gerundet hatte.»Noch einen Schu?, Sir?»
«Nein. Das bringt nichts, selbst wenn wir ein Kanu treffen. Die anderen konnen sich durchs Riff davonmachen, ehe wir auch nur gewendet haben, um ihnen zu folgen. «Er schuttelte den Kopf.»Die Eurotas hat Schwierigkeiten.«»Entschuldigung, Sir. «Lakey machte ein besorgtes Gesicht.»Aber der Wind frischt auf. Noch nicht stark. «Er deutete mit einer Hand, so braun wie Mahagoni.»Sehen Sie nach achtern. Tongatapu liegt schon fast ganzlich im Dunst. Das Glas wird uns nicht viel verraten, aber ich bin fur Vorsicht. «Bolitho nickte. Die Hauptinsel, die sie als erste gesichtet hatten, war nur mehr ein grunvioletter Schimmer. Doch der neuesten Karte zufolge war die Kustenlinie zehn Meilen lang. Da? sie jetzt, obwohl nur wenige Meilen weit entfernt, in dichtem Dunst lag, warnte sie, da? Schlimmeres bevorstand.