IX Hinterhalt
«Mein Gott, Mr. Pyper, warum dauert das so lange?«Herrick wischte sich mit dem Armel uber das Gesicht und blickte zum heller werdenden Himmel auf. Zum Teil hufttief in der schaumenden Brandung, kampfte sich unter ihm der Rest seiner Gruppe an Land, wahrend andere, vorwiegend Finneys Milizmanner, schon hoch auf dem steilen, felsigen Abhang vorgingen; die beiden Boote des Schoners hatten sie hierher gebracht.
Herrick beobachtete, wie Midshipman Pyper im Wasser schwankte. Mehrere braunhautige Insulaner bemuhten sich, das Boot davor zu bewahren, da? es an den Felsen zerschmettert wurde. Es war Herrick zuwider, da? Unternehmen schiefgingen, weil sie schlecht geplant waren, oder, wie in diesem Fall, uberhaupt kein Plan vorlag. Finney und der andere Leutnant der Miliz, ein trubseliger Mann namens Hogg, waren uberzeugt gewesen, da? sie an der richtigen Stelle an Land gingen. Herrick sah zu dem stampfenden Schoner zuruck, der fast eine Kabellange[14] vom Ufer entfernt hatte ankern mussen. Das bewies schlagend, wie wenig die beiden uber den Landeplatz hier Bescheid wu?ten.
Das Ergebnis waren mehrere ermudende Bootsfahrten, und jetzt war der Zeitpunkt, zu dem sie sich auf dem Marsch landeinwarts hatten befinden sollen, schon lange verstrichen. Pyper kletterte den Abhang empor, Wasser rann ihm von Hemd und Breeches. Wie Swift war er siebzehn und hoffte auf eine Beforderung, wenn und falls die Chance dazu kam. Deshalb wollte er seinen Ersten Offizier nicht reizen.»Alles klar, Sir.»
Von der Hohe der Steilkuste rief Hauptmann Prideaux herab:»Das will ich, verdammt noch mal, auch hoffen!«Trotz aller Muhseligkeiten sah er untadelig wie immer aus. Herrick unterdruckte einen Fluch.»Schicken Sie Ihre Kundschafter vor.»
«Schon geschehen. «Prideauxs Fuchsgesicht lachelte verschlagen.»Ich habe auch diese verdammten Fuhrer veranla?t, ihre fetten Arsche in Bewegung zu setzen. «Er zog den Degen und kopfte damit eine Pflanze.»Und nun?«Herrick knirschte mit den Zahnen.»Dann also vorwarts!«Er hob signalisierend die Hand uber den Kopf, und nach einer weiteren Verzogerung machte sich sein gemischtes Kommando auf den Weg landeinwarts. Finney erlauterte vergnugt:»Das Dorf liegt unmittelbar uber der Bucht. Die meisten Hutten stehen auf Pfahlen, mit der Ruckseite zum Abhang. Falls Tukes Leute drin sind, stecken sie wie Ratten in einem Fa?, wenn Ihr Schiff die Ausfahrt blockiert. «Die Aussicht auf einen Kampf schien ihm zu gefallen.
Von der schwankenden Reihe einheimischer Fuhrer und britischer Kundschafter lief eine Meldung zuruck: Sie hatten Rauch wahrgenommen, dazu starken Brandgeruch. Prideaux sagte:»Anscheinend vernichten sie das Dorf. «Es klang unberuhrt.
Herrick schlug klatschend nach einem Insekt und versuchte, die Situation zu durchschauen. Tuke hatte also die Insel uberfallen und verbreitete den ublichen Schrecken. Aber warum? Wenn er Nachschub brauchte, was angesichts seiner reichen Beute auf der Eurotas unwahrscheinlich schien, warum uberfiel und verwustete er dann eine Insel wie diese? Und ferner, wenn er sich ein neues Versteck zulegen wollte, warum brannte er es dann erst nieder? Das alles ergab keinen Sinn. Er uberlegte, ob er mit Prideaux daruber sprechen sollte, unterlie? es aber. Der Hauptmann schien jeden zu verhohnen, dessen Position er fur unterlegen hielt. Viel zu sehr von sich eingenommen. Herrick sah zu den beiden Milizleuten hinuber, die gelassen mit ihren zerlumpten Mannschaften vorgingen. Auch sie wurden ihm nichts sagen konnen. Anscheinend hatten sie alles Nachdenken und Uberlegen Hardacre uberlassen. Was hatte Bolitho hier oben und in diesem Augenblick getan? Herrick grinste trotz seiner Unsicherheit. Bolitho war aber nicht hier, sondern hatte seinen Ersten Offizier geschickt.
In der Luft hing wirklich unverkennbar Rauch. Er quoll uber einer niedrigen Anhohe empor, bildete Wolken am Himmel.
Prideaux sagte heiser:»Bei Gott, hier ist schwer vorwartskommen.»
Midshipman Pyper wandte sich an Herrick.»Ich sollte vielleicht mit einem der Fuhrer vorgehen, Sir. «Er war ein recht ernsthafter junger Mensch, aber nicht uneben. Herrick blieb stehen, denn er begriff uberrascht: Genau das hatte Bolitho jetzt getan.
«Daran habe ich auch schon gedacht, Mr. Pyper. Aber ich gehe besser selbst. «Er winkte Finney heran.»Lassen Sie die Leute ausruhen, aber stellen Sie Wachen auf. Der beste Fuhrer auf der Stelle zu mir!«Es uberraschte ihn, wie leicht ihm jetzt alles fiel.»Gut, Mr. Pyper, Sie konnen mitkommen. «Er klopfte ihm auf die Schulter. Pyper starrte ihn an. Er verstand nicht, was seinen Leutnant so plotzlich animierte.»Jawohl, Sir.»
Prideaux sagte gelangweilt:»Ein Angriff von ruckwarts, funf oder sechs Salven mit Kartatschen, und sie rennen wie die Hasen. Direkt vor die Geschutze der Tempest.«Herrick sah ihn an und versuchte, seinen Arger zu unterdrucken. Prideaux fegte immer die Plane anderer mit ein paar abfalligen Bemerkungen beiseite. Das Argerlichste war dabei sein selbstherrlicher Ton.»Wir werden sehen«, entgegnete Herrick steif.»Inzwischen…»
Er drehte sich um und ging zu dem wartenden Fuhrer, einem untersetzten, fast nackten Eingeborenen, dessen Ohrlappchen von spitzen Knochenstucken durchbohrt waren. Pyper schnitt eine Grimasse.»Er stinkt ziemlich, Sir. «Der Fuhrer zeigte grinsend die Zahne; sie waren spitz wie die eines Hais gefeilt.
«Mein Gott!«Herrick uberprufte seine Pistole und lockerte den Degen.»Gehen wir also.»
Die Insel war winzig, doch nach ihrem Stolpern und Kriechen uber Stock und Stein, ihrem Vordringen durch dicht verschlungene Farne hatte Herrick sie fur doppelt so gro? wie Kent gehalten.
Der Fuhrer hupfte uber einige verrottete Baumstumpfe vor ihnen und wedelte mit den Handen zum dichter werdenden
Rauch hin. Er war sichtlich aufgeregt.
Herrick sagte beklommen:»Sehen wir selbst.»
Er lie? sich wieder auf die Knie sinken und kroch dem narbigen und staubigen Fuhrer nach durch ein dichtes
Gewirr stachliger Busche.
Pyper rief aus:»Masten und Rahen, Sir. Sie ankern unmittelbar unterhalb des Dorfes, aus dem der Rauch kommt!»
Herrick schuttelte den Kopf.»Freche Schurken! Sie fuhlen sich also absolut sicher bei ihrem blutigen Geschaft. «Er rieb sich die Hande.»So kann sich die Tempest wenigstens Zeit lassen und sie nach Belieben beharken. «Er drehte sich muhsam um.»Wir wollen die anderen benachrichtigen. «Er sah den Midshipman an.»Was gibt's?«Pyper errotete.»Ich meine — also, mir wurde einmal gesagt…»
«Was? Heraus mit der Sprache!»
Pyper sagte fest:»Sollten wir diese Schiffe nicht erst beobachten?
Eines davon konnte besser bewaffnet sein. Vielleicht sollten wir unsere Scharfschutzen in eine Position bringen, aus der sie die Besatzung ausschalten konnen, falls sie Anstalten treffen, Anker zu lichten. «Lahm fugte er hinzu:»Ich meine nur, Sir… Pardon.»
Herrick seufzte.»Sie haben vollig recht. «Es mu?te an der Hitze liegen.»Ich hatte selbst daran denken sollen. «Sie lie?en den verblufften Fuhrer im Gebusch versteckt zuruck und robbten nach vorn zu einer Gelandefalte im Hang. Von dort aus sahen sie die Bucht und auf dem gegenuberliegenden Ufer eine Reihe wie Fackeln brennender Hutten. Rauch verhullte das Wasser unter ihnen. Nach links erstreckte sich keilformig eine Landzunge; naher am Hang und fur Herrick deshalb teilweise verdeckt, lagen weitere Hutten. Doch er konnte den Blick nicht von der Landzunge und dem Strand wenden.»Das sind Ihre >Schiffe<, Mr. Pyper. «Er konnte es immer noch nicht fassen. Die Masten und Rahen wirkten durchaus echt, aber sie standen direkt auf dem kleinen Strand, wurden durch Streben und
Lianengeflecht aufrecht gehalten. Von einem Mast flatterte sogar ein Wimpel, doch die lose aufgegeiten Segel waren in Wirklichkeit nichts anderes als grobgeflochtene Matten. Die Wahrheit ernuchterte ihn wie Eiswasser. Wenn diese Masten ihm aus kurzer Entfernung schon echt erschienen waren, mu?ten sie den Ausguck der Tempest vollig tauschen und ihm zwei ankernde Schiffe vorgaukeln, deren Besatzungen vom Morden und Plundern an Land vollig absorbiert waren.
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ca. 185 m