In seinem Blickfeld erschien ein wei?gekleidetes Bein, und er horte Allday erstickt keuchen:»Weg von ihm!«Dann klirrte Stahl.»Weg, sag' ich!«Weiteres Klirren, und Bolitho begriff, da? Allday Tuke zurucktrieb. Allday fuhrte sein Entermesser wie einen Beidhander, etwas, das Bolitho nie zuvor gesehen hatte. Er wollte ihn zuruckrufen, seinen wutenden Angriff aufhalten, ehe er niedergestochen wurde. Allday war fast von Sinnen vor Wut und Gram, blind und taub gegenuber einer Schulterverletzung und allem anderen au?er dem Hunen, den er vor sich hatte. Zwischen den Schlagen keuchte er:»Du verfluchter, raudiger, feiger Schuft!«Er sah, da? Tuke zum erstenmal Furcht verriet, und schmetterte das schwere Entermesser mit aller Kraft gegen Tukes Degen, worauf dieser die Balance verlor und sturzte. Alldays Schatten fiel uber Tukes Kopf und Hals, wahrend er aufschluchzte:»Ich wunschte bei Gott, es ginge bei dir nicht so schnell!«Das Entermesser hieb einmal, dann ein zweites Mal zu.

Als Herrick und andere hinzusturzten, um ihn zuruckzurei?en, schleuderte Allday sein Entermesser uber die Netze und eilte zu Bolitho.

Bolitho packte seinen Arm, wollte ihn vor allem beruhigen. Aber er zitterte heftig und konnte kaum flustern. Allday sagte eindringlich:»Sie werden wieder gesund, Captain. «Trostsuchend sah er zu Herrick auf.»Nicht wahr,

Sir?»

Herrick erwiderte:»Helfen Sie ihm auf. Wir mussen ihn auf die Tempest bringen. «Er sah Keen auf sich zukommen.»Ubernehmen Sie hier das Kommando. «Von Herrick und Allday halb getragen, kehrte Bolitho auf sein Schiff zuruck.

Der Jubel war verstummt, und wahrend seine Leute auseinandertraten, um Bolitho durchzulassen, sahen sie ihn aus erschopften Augen fragend an.

Bolitho erkannte den zerschlagenen Niedergang und wu?te, da? er die Tempest irgendwie erreicht hatte. Aber die Kajute, wo er seine letzte gro?e Schwache vor den Leuten verbergen konnte, schien noch meilenweit entfernt.

Er horte sich murmeln:»Kummern Sie sich um die Leute,

Thomas. Anschlie?end werden wir…»

Herrick sah ihn verzweifelt an, wahrend der Schiffsarzt, die gro?e Schurze blutgetrankt, auf sie zugeeilt kam.

«Anschlie?end, Sir, fahren wir nach Hause.»

Gwyther sah zu, wie Allday den Kapitan auf seine Koje sinken lie?.»Er hort Sie nicht, Mr. Herrick. «Er kniete nieder und loste Bolithos Halsbinde.

Allday sah Herrick an.»Gehen Sie, Sir. Das ist auch in seinem Sinne. Sie haben jetzt die Verantwortung. Ich sage

Ihnen Bescheid, wenn es dem Captain besser geht.»

Das sagte er so eindringlich, da? Herrick nur entgegnen konnte:»Darauf verlasse ich mich.»

Oben setzte schlie?lich doch der Jubel ein, als die beiden treibenden Schiffe unter Kontrolle gebracht worden waren und Manner, die schon mit dem Tod gerechnet hatten, sich daruber klar wurden, da? sie einen Sieg errungen hatten.

Doch Herrick, der in dem Rechteck von Sonnenlicht unter dem Niedergang stehenblieb, konnte diesen Jubel nicht teilen und empfand nur Trauer und Fassungslosigkeit.

Gwyther sagte:»Da kann ich wenig tun.»

Er wurde gleichzeitig an einem Dutzend anderer Orte benotigt und hatte bereits mehr Manner operiert, als er in so kurzer Zeit fur moglich gehalten hatte. Dennoch konnte er sich nicht von der Stelle ruhren, sondern wurde durch

Alldays schlichten Glauben festgehalten.

Leise fugte er hinzu:»Wir konnen nur warten und hoffen.

Kein anderer Mann in seinem Zustand hatte das tun sollen,

was er heute getan hat.»

Allday sah ihn an und erwiderte fest:»Er ist eben kein Mann wie andere. «Er nickte.»Ich bleibe bei ihm. «Schweigend drehte Gwyther sich um und ging wieder ins Orlopdeck hinunter. Der Schiffsarzt hatte unter Bolitho einige Jahre gedient, ihn aber nie richtig kennengelernt. Doch jetzt wu?te er, da? er ihn zeit seines Lebens nicht vergessen wurde.

Epilog

An einem hellen Sommertag des Jahres 1791, fast achtzehn Monate, seitdem er mehr tot als lebendig von der eroberten Narval auf sein Schiff zuruckgetragen worden war, wu?te Kapitan Richard Bolitho, da? er den schwersten Kampf gewonnen hatte.

Nur jene, die ihn bei seinem taglichen Ringen mit dem Fieber bewacht hatten, kannten die ganze Geschichte. Ihm selbst erschien es wie ein einziger Wachtraum. Er erinnerte sich nur schwach an die Ruckfahrt nach Neusudwales und seinen Aufenthalt im Hause des Gouverneurs. Oder an seinen Abschied von Herrick und den anderen, die ihn vor dem Auslaufen der Tempest nach England besucht hatten. Langsamer und weniger anstrengend hatte Bolitho mit Allday an seiner Seite die Reise auf einem Indienfahrer zuruckgelegt. Manche Erinnerungen waren verschwommen und qualvoll. Wie die an seine verheiratete Schwester Nancy, die ihn in dem alten Haus unterhalb von Pedennis Castle empfing, tapfer ihren Schreck uber seine ausgemergelte Erscheinung verbergend und uber seine Unfahigkeit, mehr als nur wenige Worte mit ihr zu wechseln. An Mrs. Ferguson, seine Haushalterin, mit rotgeranderten Augen und zwischen Weinkrampfen geschaftig um ihn besorgt. An Ferguson, seinen einarmigen Hausmeister, der Allday half, Bolitho in dem gro?en Bett unterzubringen: dem Bett, von dem aus man im Sitzen die blaue Linie der Kimm und eine Ecke der Festung auf dem Vorland sehen konnte. Allerdings hatte niemand geglaubt, da? er das Bett jemals wieder verlassen wurde. Das hei?t, niemand au?er Allday. Doch als die Monate verstrichen, Tage und Wochen der Leere und Ubelkeit sich aneinanderreihten, erkannte er, da? er allmahlich neue Krafte gewann. Er war in der Lage, nach Menschen zu fragen, nach Ereignissen au?erhalb seines Schlafzimmers.

Bei den ersten Anzeichen fur besseres Wetter machte er kurze Spaziergange, wobei er sich meistens auf Allday stutzte.

Und er hatte einen Besucher. Kapitan William Tremayne von der Brigg Pigeon kam bereits eine Stunde, nachdem er in den Carrick Roads Anker geworfen hatte, ins Haus. Da war es, als waren die Monate dazwischen nie gewesen. Bolitho sa? in einem hochlehnigen Sessel beim Fenster, Tremayne mit einem Becher Wein in seiner gro?en Faust daneben.

Die Pigeon war mit Depeschen gekommen, und Tremayne hatte es alles in Erinnerung gerufen: die Inseln, die nickenden Palmen und die lachenden Madchen. Anscheinend war Hardacre von der Regierung die standige Aufsicht uber die Levu-Inseln ubertragen worden. In diesem Punkt hatte man kaum eine Wahl gehabt, denn Raymond war tot aufgefunden worden, dem Anschein nach durch eigene Hand gestorben.

Doch die uberraschendste Nachricht betraf Yves Genin. Er war mit den ubrigen gefangen worden, als die Tempest ihren blutigen Kampf gegen die Narval gewann. Die Fregatte war zwar einem Prisengericht ubergeben worden, Genin aber hatte man erlaubt, nach Frankreich zuruckzukehren, mehr weil man ihn als Belastung empfand, denn als Beweis guten Willens gegenuber der neuen Regierung. Genin, der so vieles getan hatte, um der Revolution den Weg zu ebnen, wurde dafur mit einem schnellen Ende auf der Guillotine entlohnt. Die neue Regierung war der Ansicht, da? ein Mann, der einen gro?en Aufstand planen konnte, es auch ein zweites Mal tun mochte.

An diesem Tag nun stand Bolitho am offenen Fenster und bewunderte die verschiedenen Gruntone und wogenden Felder, die sich zur See hinab erstreckten. Er dachte viel an die Tempest und fragte sich, wo sie sein mochte. Wie er gehort hatte, war sie in Plymouth neu ausgerustet und mit einer neuen Besatzung wieder in Dienst gestellt worden. Sein einziger Wunsch war, da? er hatte auf dem Schiff sein konnen, als die Besatzung abmusterte. Ein paar der alten Leute blieben an Bord, und ihr neuer Kapitan sollte dankbar sein, da? er sie hatte: Lakey, den schweigsamen Steuermann, Toby, den Zimmermann, Jury, den Oberbootsmann und noch ein paar andere. Die ubrigen waren, den Bedurfnissen der wachsenden Flotte entsprechend, auf Schiffe verteilt worden, die dringend benotigt wurden, wenn der Sturm aus den uber dem Kanal drauenden Wolken der Politik endlich losbrach. Selbst der kleine Romney hatte ein neues Schiff gefunden, und Bolitho wunschte ihm diesmal mehr Gluck. Keen, Swift und so viele, die er gekannt hatte, sie alle standen vor einem neuen Beginn.