«Setzen Sie die Fock, Mr. Herrick. «Bolitho uberquerte das Achterdeck und kletterte in die Besanwanten.»Mir ist wohler, wenn wir naher bei unserem Schutzling liegen. «Die Matrosen eilten auf Stationen, und wenige Minuten spater fullte sich das gro?e Focksegel mit Wind und sandte ein Vibrieren durch die Wanten und die gesamte Takelage. Bolitho wartete mit dem Glas vor Augen, da? die lange Dunung das andere Schiff hob, damit er es genau betrachten konnte. Als dank einer Laune des Ozeans gleichzeitig auch die Tempest hoher lag, hatte er es einige Augenblicke scharf im Blickfeld, dann verwischten es Dunst und Entfernung, und er lie? sich wieder an Deck hinab.»Eine Fregatte. Den Linien nach franzosisch. «Er blickte zum Wimpel im Masttopp auf.»Wenn der Wind bleibt, sind wir in zwei Stunden bei ihr. In Schu?weite kommen wir entsprechend fruher.»
Lakey erinnerte sachlich:»Wir sind nicht im Krieg mit Frankreich.»
«Wahrscheinlich nicht, Mr. Lakey. Aber wir wollen trotzdem nichts riskieren. «Vor seinem geistigen Auge hullte sich sein Schiff in Kugelhagel und Pulverqualm. Doch diesmal wurde es nicht dazu kommen. Der Franzose lie? sich Zeit und kreuzte nicht auf, um den Windvorteil zu bekommen.
«Schicken Sie die Mannschaft rechtzeitig auf Gefechtsstationen, und sorgen Sie dafur, da? erfahrene Leute im Ausguck beobachten, ob der Franzose das gleiche tut. «Wieder griff er nach dem Glas und richtete es diesmal auf die Eurotas. Er sah ihr Kleid aufleuchten, als sie uber das Achterdeck ging, mit einer Hand den Hut im Wind festhaltend. Mein Gott… Momentan uberwaltigt, senkte er das Glas, und Viola verschwand in der Ferne; nur das Schiff blieb zuruck.
«An Deck! Sie hissen die Flagge!«Eine Pause.»Tatsachlich ein Franzmann, Sir.»
Auch mit blo?em Auge konnte Bolitho den winzigen Flecken Wei? erkennen, welcher plotzlich vom Masttopp des anderen auswehte, der nun scharf an den Wind ging, die Rahen so gebra?t, da? sie fast mitschiffs standen. Ein seltsames Gefuhl. Wie viele an Bord war Bolitho einem franzosischen Schiff selten anders begegnet als mit schu?bereiten, ausgerannten Geschutzen. Mit Bedauern dachte er an Le Chaumareys und sein vergeudetes Leben. An Bord war der Kommandant Konig, doch fur die Macht, die ihn einsetzte und benutzte, blieb er der entbehrliche Bauer im Spiel.
Bolitho zwang sich, das Deck zu verlassen, fast geblendet vom Starren uber das schimmernde blaue Wasser. Allday kam in die Kajute.»Ich sage Noddall, er soll Ihren Rock und Hut bereitlegen, Captain. «Und grinsend:»Die Breeches sind fur einen Franzmann noch gut genug. «Bolitho nickte. Wenn der franzosische Kommandant ein Neuling in diesen Gewassern war, wurde er jeden Kontakt suchen. Wurde er auf die Tempest kommen oder Bolitho zu sich bitten?
Noddall huschte aus der Schlafkabine, uber dem Arm Bolithos Rock. Der hatte sich gerade umgezogen, als er die Pfeifen horte:»Alle Mann auf Stationen! Klarschiff zum Gefecht!»
Trommeln wirbelten, und er spurte den Rumpf unter dem hastigen Getrappel der Besatzung beben. Als er das Achterdeck betrat, war der Befehl ausgefuhrt, selbst die Planken rund um die Geschutze waren schon mit Sand bestreut. Sie wurden ihn nicht brauchen, dessen war er vollig sicher. Aber Sand war reichlich vorhanden, und die Mannschaft gewann mit jeder Ubung mehr Erfahrung.»Laden und ausrennen, Sir?»
«Nein, Mr. Herrick. «Er sprach ebenso formell. Uber die schwarzen Kanonen und nackten Rucken der Manner blickte er nach vorn und wunschte sich, es ware der Pirat Tuke, der ihm dort entgegensegelte.
Midshipman Fitzmaurice kam zum Achterdeck gerannt und rief hinauf:»Verzeihung, Sir, aber Mr. Jury meldet mit Respekt, es ist die Fregatte Narval, sechsunddrei?ig Geschutze, und er hat sie schon in Bombay gesehen. «Bolitho lachelte.»Meinen Dank an den Bootsmann. «Er sah Herrick an. Immer war es das Gleiche; immer war einer da, der auf dem anderen Schiff gedient oder es schon einmal gesehen hatte. Zweifellos erhielt der Kommandant der Narval die gleiche Meldung uber die Tempest: sechsunddrei?ig Kanonen, die gleiche Bewaffnung wie seine.
Mit Sachkunde beobachtete er, wie das andere Schiff Segel kurzte: ein schlankerer Rumpf als die Tempest und wettergegerbt, als ware es schon lange Zeit im Einsatz. Die Segelmanover klappten ausgezeichnet, ein weiteres Zeichen fur lange Dienstzeit.
Bolitho beschattete die Augen und blickte zum eigenen Masttopp auf. Hier drau?en segelte die Tempest unter der wei?en Nationalflagge, und er fragte sich, ob der franzosische Kommandant ebenfalls erinnerungsschwer zu ihr hinaufsah.
«Sie hat beigedreht!«Keen spahte auf dem Batteriedeck uber einen Zwolfpfunder.»Und sie setzt ein Boot zu Wasser.»
Herrick grinste.»Nur ein Leutnant, Sir. Wahrscheinlich will er von uns den richtigen Kurs nach Paris wissen.»
Doch als der junge Leutnant schlie?lich an Bord geklettert war, schien er keineswegs ratlos zu sein. Er salutierte zum
Achterdeck und stellte sich Bolitho vor.
«Ich uberbringe die Empfehlungen meines capitaine, m'sieu,
und seine Einladung, ihn an Bord zu besuchen. «Die dunklen Augen wanderten schnell uber die bemannten
Geschutze, die lange Linie der angetretenen Seesoldaten.
«Gewi?.»
Bolitho trat zur Pforte und sah auf das franzosische
Langboot hinunter. Die Matrosen waren sauber in gestreifte
Hemden und wei?e Hosen gekleidet. Aber es war kein
Leben in ihnen; sie wirkten verschreckt.
«Und wer ist Ihr Kapitan?»
Der Leutnant schien um einen Zoll zu wachsen.
«Es ist Jean Michel Comte de Barras, m'sieu.»
Bolitho hatte noch nie von ihm gehort.
«Danke.»
Leise sagte er zu Herrick:»Gehen Sie in Luv-Position und sorgen Sie dafur, da? sich die Eurotas in Deckung halt, bis ich zuruckkomme.»
Dann folgte er mit einem Nicken fur die salutierende Seitenwache dem Leutnant ins Boot. Die Matrosen zogen die Riemen gleichma?ig durchs Wasser, nahmen und uberwanden jeden Wellenkamm mit geubter Leichtigkeit. Bolitho spurte, wie ihm Gischt erfrischend ins Gesicht spruhte. Der Gischt des endlos weiten Ozeans, auf dem sich durch Zufall zwei Schiffe an einem Punkt trafen: das eines franzosischen Grafen und eines englischen Kapitans.
Der Offizier bellte einen Befehl, und die Riemen hoben sich in zwei triefenden Reihen aus dem Wasser, wahrend der Buggast das Boot mit einer schwungvollen Bewegung an der Hauptkette der Narval festhakte. Eine vorzugliche Leistung, aber Bolitho hatte das Gefuhl, da? ebensoviel
Angst wie Ubung dahintersteckte.
Er hielt seinen Degen fest und zog sich unter den beobachtenden Augen oben an Bord zur Schanzkleidpforte hinauf.
Die gro?e Kajute der Narval unterschied sich drastisch von Bolithos eigener. Bolitho war von dem franzosischen Kapitan mit kaum einem Wort an Bord empfangen worden; die Eile, mit der die Begru?ungszeremonie durch die Seitenwache erfolgte, grenzte schon an Unhoflichkeit. Jetzt sa? Bolitho in einem prunkvollen, vergoldeten Sessel, die Augen vom grellen Sonnenlicht noch halb geblendet, und musterte seinen Gastgeber zum erstenmal genauer. Der Comte de Barras war sehr schlank und wirkte beinahe madchenhaft. Sein Uniformrock war leicht ausgestellt und erstklassig geschnitten; jetzt wunschte Bolitho, er hatte sich von Allday nicht zu seinen Alltagsbreeches verleiten lassen. Der einzig weitere Anwesende war ein junger Inder oder Ma-laye, der geschaftig Glaser und ein schon geschnitztes Weinkabinett auf einem der beiden Tische bereitstellte. Die Kajute war atemberaubend. Zwar hatten auch die Erbauer der Tempest ihr ganzes Konnen eingesetzt, um die Unterkunft des Kommandanten mit Schnitzarbeiten und den besten Holzern auszustatten, doch die der Narval konnte man dagegen nur als luxurios bezeichnen. Schwere Portieren verhullten die Turen, und die Bodenplanken waren von mehreren gro?en Teppichen bedeckt, die ein Vermogen gekostet haben mu?ten.