Sie schlief in der Hutte, wo er sie zuruckgelassen hatte. Er hatte neben ihr gekniet, auf ihren regelma?igen Atem gelauscht, sorgsam vermieden, sie zu beruhren, um ihren Schlaf nicht zu storen.

Der Sergeant fragte:»Verzeihen Sie, Sir, aber was werden wir tun?»

«Tun?«Bolitho strich sich mit den Fingern durch das Haar.»Warten. Wenn der Schoner kommt, spreche ich mit seinem Kapitan. Zumindest wird er wissen, ob die Narval sich noch hier aufhalt.»

«Diese Insel, Sir, von der Sie gesprochen haben — wie weit ist es bis dorthin?»

«Rutara liegt etwas uber funfhundert Meilen entfernt im Norden.»

Bolitho uberlegte, wahrend er antwortete. Der Wind war schwach, aber gunstig gewesen. Herrick mu?te seine Position erreicht haben, selbst wenn es ihm nicht moglich gewesen war, Tukes Schoner zu vernichten. Ganz gewi? wurde er nicht in eine Falle gehen, wie sie ihnen schon einmal gestellt worden war.

Er beobachtete, wie die Sterne kleiner und blasser wurden. Bald war es wieder Zeit, Rationen auszugeben, sich zu vergewissern, da? die Leute sich sauberten, zu versuchen, sie bei Laune zu halten. Wenigstens war dieses Fieber nicht wie die Pocken, die zwei Drittel einer Schiffsbesatzung innerhalb weniger Wochen dahinraffen konnten. Er sagte:»Kommen Sie mit zur Pier. Es wird bald hell. «Wie still es im Dorf war. Es fiel ihm schwer zu glauben, da? der Strand und die seichten Wellen voll lachender Madchen und junger Manner gewesen waren, unter ihnen Keens schone Malua.

«Sir!«Quares Stimme ri? ihn aus seinen Gedanken.»Ich habe Segel gesehen.»

Bolitho sprang auf einen Felsen und spahte angestrengt in die Dammerung hinaus. Doch alles, was er zwischen

Himmel und Wasser ausmachen konnte, waren die Brecher auf den vorgelagerten Riffen jenseits der Lagune.

Es wurde schnell heller, und er konnte bereits den stattlichen

Umri? der Eurotas ausmachen, auf der noch ein Ankerlicht flackerte.

Bolitho sah sich nach der Siedlung um, doch dort regte sich noch kein Leben.

Quare wiederholte hartnackig:»Dort, Sir.»

Diesmal nahm er es wahr, eine bleiche Finne uber den fernen Brechern, von Gischt verwischt, aber auf das Land zustrebend.

Ein Schoner, klein und gut gefuhrt.

Er sagte:»Wecken Sie Mr. Keen. Er soll Mr. Hardacre benachrichtigen, da? sein Schoner kommt.»

Der Kapitan dort drau?en wurde eher auf Hardacre als auf

Raymond horen. Er horte Quares knirschende Schritte auf dem Abhang, und irgendwo weinte ein Kind. Es klang bedruckend.

Und dann sagte sie hinter ihm:»Ich bin aufgewacht, aber du warst fort.»

Sie kam an seine Seite, und er legte ihr den Arm um die Schultern und spurte ihre Warme.

«Es ist der Schoner. «Er versuchte, ruhig zu sprechen.»Ich bin neugierig, was er fur Nachrichten bringt.»

Die Rahen waren fast mittschiffs geholt, bogen sich beinahe unter dem Winddruck. Es mu?te drau?en starker wehen als in der geschutzten Bucht, dachte er wehmutig.

Er druckte ihre Schulter.»Gro?er Gott, la? es bitte gute

Nachricht sein«, sagte sie.

Dunstiges Licht stieg uber den Horizont wie dampfende Flussigkeit, die am Rand der Erde uberlief. Es flo? um die beiden Masten mit Hardacres zerfetztem Wimpel. Das Schiff naherte sich den Riffen, ging in einer Wolke von Gischt und Spruhwasser meisterlich uber Stag. Keen kam den Pfad herab, schob sich dabei das Hemd in den Hosenbund. Er sah Viola Raymond und sagte:»Guten Morgen, Ma'am.»

«Hallo, Val. «Sie lachelte, entdeckte dann die dunklen Schatten unter seinen Augen und teilte seinen Kummer. Bolitho sagte:»Hardacre wird bald hier sein, nehme ich an. «Er sah zu der Palisade. Er wurde warten, bis der Schoner festgemacht hatte, und dann an Bord gehen. Niemand aus der Siedlung konnte ihn daran hindern, denn sie hatten zuviel Angst, den Schutz des Forts zu verlassen. Die Bucht lag nach beiden Seiten offen, und sie standen schweigend da, beobachteten, wie aus der Dunkelheit Farben wuchsen, die stillen, drohenden Schatten von Bewegung und schlichter Schonheit belebt wurden.

Keen dachte zweifellos an Malua, wie sie mit ihm lachend den Strand hinunter und ins Meer gelaufen war.»Er ist also zuruck. «Hardacre stand auf dem festen Sand, die Hande in die Huften gestemmt, und beobachtete, wie der Schoner immer klarer erkennbar wurde.»Wird auch Zeit. «Bolitho beschattete seine Augen und spahte nach irgendeinem Signal von der Eurotas oder von den Palisaden aus. Falls Raymond dem Schoner befahl zu ankern und auf weitere Anweisungen zu warten, wurde er eine Uberraschung erleben.

Plotzlich bemerkte Hardacre:»Das ist ungewohnlich. «Bolitho sah ihn fragend an.»Was?«»Der Kapitan kennt die Bucht wie die eigene Tasche. Gewohnlich beginnt er an diesem Punkt zu halsen, wenn der Wind so steht wie heute.»

Bolitho wandte sich wieder dem kleinen Schoner zu. Plotzlich lief eiskalt ein warnender Schauer durch sein Gehirn.

«Mr. Keen, gehen Sie zum Tor und alarmieren Sie die Posten. Sagen Sie den Narren, sie sollen den Schoner auffordern, sich zu erkennen zu geben. «Er beobachtete das kleine Fahrzeug, dann horte er Keen oben am Tor rufen. Er erstarrte. Der Schoner wechselte schon wieder den Kurs, steuerte auf die Eurotas zu. Hardacre sagte:»Was, in Gottes Namen, macht dieser Wahnsinnige?»

Bolitho rief:»Gebt mir eine Muskete!«Er sah Quare auf dem Hang.»Schnell! Schie?en Sie Ihre ab!«Aber durch Feuchtigkeit oder Ubereifer versagte die Muskete, und Bolitho horte Quare wutend knurren, als er sie neu lud.

Von der Palisade ertonte eine belegte, undeutliche Stimme, verschlafen und protestierend. Keen kam zuruck und sagte wutend:»Diesen Kerl sollte man…«Er bemerkte Bolithos Ausdruck und drehte sich schnell nach dem Schoner um. Selbst der Knall der Muskete lenkte ihre konzentrierte Aufmerksamkeit nicht ab, wenn auch der Chor der aufgeweckten Vogel genugte, die gesamte Insel zu alarmieren.

Langsam, zuerst schwach, doch gleich darauf mit einer schrecklichen Endgultigkeit, stieg vom Deck des Schoners eine Rauchsaule auf. Dann eine Flamme, die wie eine orange Zunge aus einer Luke aufscho? und den Kluver zu

Asche verwandelte.

Keuchend sagte Keen:»Ein Brander!»

«Alarmieren Sie die Leute!»

Bolitho sah den Schoner schwanken, als ein Teil seines Hauptdecks mit einem gro?en Ausbruch von Flammen und Funken einbrach. Wie der Holle entsprungene Ungeheuer breiteten sich die Flammen uber Segel und das geteerte Rigg aus, verwandelten das kleine Schiff in eine riesige Fackel. Bolitho nahm sogar den Widerschein der Flammen auf den festgemachten Segeln und den Wanten der Eurotas wahr, wahrend der Wind den Schoner unausweichlich gegen das verankerte Schiff trieb.

«Ein Boot hat abgelegt, Sir!«Quare lud in wilder Hast abermals.»Die Schufte entkommen!«Er unterbrach das Laden, als der Schoner drohnend gegen den Rumpf der Eurotas stie? und ein weiterer Ausbruch von Rauch und wirbelnden Funken bis hoch uber ihre Mastspitzen aufstieg.

Bolitho konnte jetzt horen, wie das Feuer ubergriff, sich vorstellen, wie das zundertrockene Holz, das Tauwerk in einer einzigen Riesenfackel aufloderten. Er glaubte, einige Manner ins Meer springen zu sehen, und konnte das Entsetzen zwischen den Decks mitempfinden, als die Manner der Freiwache zu ihrem grauenhaften Flammentod erwachten.

Er spurte Violas Zittern und horte sie leise an seiner Schulter schluchzen.

«Wir konnen gar nichts tun, Viola«, sagte er gepre?t.»Manche werden den Strand erreichen, aber ich furchte, da? die meisten umkommen.»

Damit war die Eurotas direkt vor Raymonds Augen ausgeschaltet worden. Sein Schiff, seine Rettung, sein Fluchtweg fur den Fall, da? alles andere fehlschlug, stand knisternd in Flammen. Der Rauch rollte in einer dichten, erstickenden Woge vor dem Wind daher. Masten und

Spieren wurden von den Flammen verzehrt und sturzten funkenspruhend herab, innere Explosionen schleuderten Bruchstucke in die Luft, die die umliegende Wasserflache wie mit wei?schaumenden Pockennarben ubersaten. Ein lauter Knall erschutterte den Rumpf und rollte als Echo donnernd um die Bucht. Als der Larm schlie?lich verklang, begann die Eurotas zu sinken. Dampf wallte zischend auf und verdeckte ihren letzten Todeskampf, ehe sie auf Grund sank und nur noch das verkohlte Achterdeck uber der Wasseroberflache sichtbar blieb. Keen fragte leise:»Warum, Sir?»